1 00:00:01,767 --> 00:00:17,966 JK: Ich heiße Jerzy Kucharski und bin am 06.02.1929 in Warschau geboren. Ich besuchte bis 1939 eine Volksschule in Warschau. 2 00:00:17,967 --> 00:00:30,032 Als 1939 der Krieg ausbrach, wurde die Schule unterbrochen und im gleichen Jahr noch fortgesetzt. 3 00:00:30,033 --> 00:00:38,066 Ich habe die Grundschule, die sogenannte Volksschule, abgeschlossen. 4 00:00:38,067 --> 00:00:47,566 Danach machte ich eine Ausbildung zum Automechaniker in einer Fachschule für Mechanik. 5 00:00:47,567 --> 00:01:05,666 Ich besuchte die Schule bis zum 01. August 1944. Am 01. August 1944 brach der Warschauer Aufstand aus. 6 00:01:05,667 --> 00:01:16,032 Ich nahm am Warschauer Aufstand vom 01. August bis zum 02. September teil. 7 00:01:16,033 --> 00:01:27,532 Wenn ich meine aufständische Aktivität beschreiben soll, war ich einer der jüngsten Soldaten. 8 00:01:27,533 --> 00:01:39,899 Wir haben die Redoute der Altstadt sowie das Gebäude der Wertpapierdruckerei verteidigt. 9 00:01:39,900 --> 00:01:49,399 Es war ein großer Gebäudekomplex, der ein Stadtviertel Warschaus abgrenzte und zugleich den Eingang zur Stadt darstellte. 10 00:01:49,400 --> 00:01:58,099 Das Gebäude ist an der Weichsel an der Eisenbahnlinie gelegen. 11 00:01:58,100 --> 00:02:12,299 Es war eine heikle Angelegenheit, denn der Panzerzug, der auf die Brücke fuhr, unmittelbar das Gebäude der Wertpapierdruckerei beschoss. 12 00:02:12,300 --> 00:02:20,666 Es gab bis zum 02. September 1944 Kämpfe um den Erhalt des Stadtviertels und der Redoute. 13 00:02:20,667 --> 00:02:32,932 Nach der Kapitulation der Altstadt, in der gekämpft wurde und die sehr verbunden mit Warschau war, 14 00:02:32,933 --> 00:02:44,032 war die Genfer Konvention mit den Aufständischen, wie im Warschauer Aufstand, noch nicht unterschrieben. 15 00:02:44,033 --> 00:02:58,832 Erst nach der Kapitulation hat General Bór-Komorowski einen Waffenstillstand mit der deutschen Armee unterzeichnet. Die Aufständischen galten fortan als Kriegsgefangene. 16 00:02:58,833 --> 00:03:14,632 Alle wurden in die Kriegsgefangenenlager deportiert. Bis zu diesem Zeitpunkt wurden wir als Rebellen und nicht als Armee angesehen. 17 00:03:14,633 --> 00:03:32,332 Und diese Rebellen wurden einfach ermordet bzw. erschossen. Aus diesem Grund mussten wir alle Grade und Abzeichen ablegen, 18 00:03:32,333 --> 00:03:44,932 die darauf Hinweis geben konnten, dass wir Aufständische waren. Als Zivile wurden wir in das nahe Übergangslager Pruszków bei Warschau geführt. 19 00:03:44,933 --> 00:03:57,966 Von dort wurde die Warschauer Bevölkerung in verschiedene abgelegene Orte deportiert, teilweise wurde sie in die Konzentrationslager geschickt. 20 00:03:57,967 --> 00:04:08,899 Teilweise wurde sie an vierschiedenen Orten in Polen verstreut. Einige wurden zur Zwangsarbeit ins Deutsche Reich deportiert. 21 00:04:08,900 --> 00:04:20,699 IV: Ich hätte eine Frage: Was war der konkrete Grund für Ihre Verhaftung? Welche Funktion hatten Sie im Aufstand? Waren Sie ein Aufständischer? 22 00:04:20,700 --> 00:04:28,566 JK: Ich war ein aktives Aufstandsmitglied und habe mit der Waffe in der Hand im Bataillon "Leśnik" gekämpft. 23 00:04:28,567 --> 00:04:38,232 Die Aufständischen waren in verschiedenen Formationen gruppiert. Es war keine reguläre Armee, sondern eine Untergrundarmee. 24 00:04:38,233 --> 00:04:50,499 Wir waren in verschiedenen Gruppen. Aber ich hatte keinen Rang, da ich erst 15 Jahre alt war. 25 00:04:50,500 --> 00:04:57,866 Ich habe wie viele andere, meistens, junge Aufständische gekämpft. 26 00:04:57,867 --> 00:05:00,766 IV: Wie sah die Verhaftung aus? 27 00:05:00,767 --> 00:05:07,799 JK: Die Verhaftung beruhte darauf, dass wir in dieses Übergangslager deportiert wurden und danach wurden wir ausgesucht... 28 00:05:07,800 --> 00:05:19,099 Die Deutschen suchten diese aus, die sie als Arbeitskraft ausnutzen konnten. Die Verhafteten stiegen in die Güterwaggons ein und wurden weggebracht. 29 00:05:19,100 --> 00:05:32,032 Wir fuhren durch die polnischen Gebiete und als wir in Oświęcim ankamen und der Zug losfuhr, dachten wir, 30 00:05:32,033 --> 00:05:40,832 dachten wir, dass wir weiter fahren würden. Der Name Oświęcim war in Polen bekannt als ein Vernichtungslager. 31 00:05:40,833 --> 00:05:52,432 Es stellte sich aber heraus, dass der Zug nur deswegen weiter rollte, weil er auf einem Abstellgleis fuhr. Wir fuhren auf dem Gleis nach Auschwitz-Birkenau. 32 00:05:52,433 --> 00:05:56,066 IV: Gab es Kriterien für die Verhafutng? 33 00:05:56,067 --> 00:05:56,699 JK: Nein. 34 00:05:56,700 --> 00:05:57,866 IV: Warum wurden Sie verhaftet? 35 00:05:57,867 --> 00:06:06,566 JK: Nein, nach dem Aufstand gab es keine Kriterien. Die Aufständischen kämpften bis zu dem Moment, 36 00:06:06,567 --> 00:06:19,899 bis sie als Soldaten und als Kriegsgefangene anerkannt wurden. Vorher hatten die Aufständischen keine Chance darauf. 37 00:06:19,900 --> 00:06:34,199 Selbst wenn wir in Uniformen und mit militärischen Abzeichen verhaftet worden wären, wären wir erschossen worden. 38 00:06:34,200 --> 00:06:46,666 Wir waren nämlich Aufständische und Rebellen, wir waren Banditen, die gegen die Nazi-Besatzung kämpften. 39 00:06:46,667 --> 00:06:52,166 IV: Wurden Sie also in ziviler Bekleidung verhaftet? 40 00:06:52,167 --> 00:06:52,399 JK: Ja. 41 00:06:52,400 --> 00:06:55,399 IV: Also nicht nur in Armeenuniformen? 42 00:06:55,400 --> 00:07:07,899 JK: Jeder hat es vermieden, seine Mitgliedschaft beim Aufstand öffentlich zu machen, denn wir wussten nicht, was mit uns passieren würde. 43 00:07:07,900 --> 00:07:17,632 Die Aufständischen aber, die bis zum Schluss gekämpft haben, bis die offizielle Kapitulation unterzeichnet wurde, 44 00:07:17,633 --> 00:07:23,466 wurden als Kriegsgefangene der Untergrundarmee anerkannt und in die Kriegsgefangenenlager geschickt. 45 00:07:23,467 --> 00:07:33,799 Wir als Zivile wurden in unterschiedliche Lager, in Konzentrationslager, ein Teil nach Deutschland zur Zwangsarbeit deportiert. 46 00:07:33,800 --> 00:07:41,499 Viele Frauen und Kinder wurden in ganz Polen an verschiedene Orten verstreut. 47 00:07:41,500 --> 00:07:52,166 IV: Kehren wir zu der Zeit vor dem Kriegsausbruch zurück. Erzählen Sie bitte über Ihre Familie. 48 00:07:52,167 --> 00:08:09,932 JK: Mein Vater war bei der Polizei. Er war ein Gendarm bei der Polizeistelle in der Altstadt. Er lernte dort meine Mutter kennen. 49 00:08:09,933 --> 00:08:25,799 Aus dieser Beziehung wurde 1925 meine Schwester Krystyna und ich im Jahr 1929 geboren. 50 00:08:25,800 --> 00:08:36,899 Mein Vater arbeitete dann im Innenministerium als Sekretär des Innenministers. 51 00:08:36,900 --> 00:08:49,132 Danach wurde er zum persönlichen Schutz des polnischen Präsidenten Ignacy Mościcki abkommandiert. 52 00:08:49,133 --> 00:09:02,466 Er begleitete den Präsidenten Mościcki bis zum Kriegsbeginn und die polnische Regierung bei der Evakuierung nach Rumänien. 53 00:09:02,467 --> 00:09:13,232 Die polnische Regierung fand in Rumänien als seinem Verbündeten Zuflucht. Rumänien war zu der Zeit nicht im Kriegsgeschehen involviert. 54 00:09:13,233 --> 00:09:30,399 Als der Präsident Mościcki in der Schweiz angekommen war, kehrte mein Vater nach Warschau zurück. Während der Besatzungszeit arbeitete er bei der Kripo in Warschau. 55 00:09:30,400 --> 00:09:41,399 Er war zugleich Offizier der Armia Krajowa, der Untergrundarmee. 56 00:09:41,400 --> 00:10:04,932 Meine Schwester und ich besuchten die Schule. Meine ganze Familie lebte in einem Stadtviertel von Warschau, in der Altstadt. 57 00:10:04,933 --> 00:10:17,132 IV: Ihr Vater hat also die Evakuierung der polnischen Regierung nach Rumänien begleitet? Und kehrte dann nach Warschau zurück, ja? 58 00:10:17,133 --> 00:10:30,432 JK: Ja. Er kehrte Anfang 1940 zurück, vielleicht war es noch Ende 1939. Ich kann mich nicht genau erinnern. 59 00:10:30,433 --> 00:10:39,099 Aber es war vielleicht doch Ende 1939, vermutlich im September. Es ist schwer zu sagen, ich erinnere mich nicht mehr an die Zeit. 60 00:10:39,100 --> 00:10:52,266 IV: Erzählen Sie noch einmal bitte. Sie sagten, in Pruszków war ein Übergangslager, von dem aus in unterschiedliche Lager deportiert wurde. Wie sah es aus? 61 00:10:52,267 --> 00:11:03,666 JK: Alle Warschauer, die in den Stadtvierteln wohnten, die vom Aufstand betroffen und durch die deutsche Armee besetzt waren, wurden in dieses Übergangslager deportiert. 62 00:11:03,667 --> 00:11:15,632 Warum Pruszków? Dort befanden sich große Eisenbahnwerke. Die Werkshallen standen leer und dort wurden die Warschauer Zivilisten zwischenzeitlich festgehalten. 63 00:11:15,633 --> 00:11:34,766 Dort fand eine Selektion statt. Einige kamen in die KZs, andere wurden in andere polnische Städte geschickt. Manche wurden zur Zwangsarbeit nach Deutschland deportiert. 64 00:11:34,767 --> 00:11:46,166 Da waren alle zivile Warschauer versammelt, die beim Aufstand am Leben geblieben sind, die aber vertrieben wurden. 65 00:11:46,167 --> 00:11:55,466 Sie mussten Warschau verlassen, weil die Stadt zerstört war. Auch nach der Kapitulation wurde in der Stadt weiter gebombt und die Häuser in Brand gesetzt. 66 00:11:55,467 --> 00:12:03,799 Wir hatten keine Möglichkeit, in unseren Häusern zu bleiben. 67 00:12:03,800 --> 00:12:06,266 IV: Was war weiter nach Pruszków? 68 00:12:06,267 --> 00:12:24,599 JK: Nach Pruszków wurden wir in die Güterwaggons verfrachtet und wir kamen in Auschwitz-Birkenau an. Wir wurden dort registriert. 69 00:12:24,600 --> 00:12:34,499 Jeder von uns bekam eine Nummer. Wir wurden nach dem Beruf und der schulischen Bildung gefragt. 70 00:12:34,500 --> 00:12:45,899 Wahrscheinlich war das auch ein Kriterium, warum wir aus Auschwitz in andere Lager überstellt wurden. 71 00:12:45,900 --> 00:12:56,666 Ich kam nach Flossenbürg, wo ich bei Messerschmitt in der Flugzeugproduktion arbeitete. 72 00:12:56,667 --> 00:13:10,132 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 73 00:13:10,133 --> 00:13:11,832 JK: {putzt sich die Nase}. 74 00:13:11,833 --> 00:15:38,366 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 75 00:15:38,367 --> 00:15:54,699 IV: Ich möchte nochmal kurz zu Ihrer Familie zurückkehren. Sie erzählten, dass Ihre Familie getrennt wurde. Wie haben Sie überhaupt den Kriegsbeginn empfunden? 76 00:15:54,700 --> 00:16:05,466 JK: Mir war es damals überhaupt nicht bewusst, was der Kriegsbeginn und der Krieg bedeutete. 77 00:16:05,467 --> 00:16:20,632 Der Krieg aus den Schulbüchern war das eine. Aber den Krieg habe ich mir ganz anders vorgestellt. Der Krieg war für uns nicht präsent, es kämpften Soldaten irgendwo außerhalb der Städte. 78 00:16:20,633 --> 00:16:35,166 Und der Gewinner ist, wer mehr Land unter seine Kontrolle nimmt. Der Krieg 1939 begann mit den Massenluftangriffen auf die Städte. 79 00:16:35,167 --> 00:16:50,899 Außerdem war Polen auf den Blitzkrieg nicht vorbeireitet. Nicht nur unter dem Aspekt der Größe waren wir den Deutschen unterlegen, 80 00:16:50,900 --> 00:16:58,266 sondern auch technisch waren wir um 20 Jahre im Rückstand gegenüber der deutschen Armee. 81 00:16:58,267 --> 00:17:09,332 Polen hat nach 1920, 1918 erst seine Staatlichkeit, seinen Staat innerhalb von 19 Jahren erst wieder aufbauen müssen. 82 00:17:09,333 --> 00:17:22,399 Es war schwer, eine schlagkräftige Armee aus dem Boden zu stampfen, die gegen die deutsche Armee Widerstand leisten konnte. Die Deutschen bereiteten sich viele Jahre auf den Krieg vor. 83 00:17:22,400 --> 00:17:35,866 Hitler bereitete sich mehrere Jahre auf den Krieg vor. Der Anschluß Polens war ein wichtiger Pfeiler seiner Strategie. 84 00:17:35,867 --> 00:17:47,099 Als Vorwand diente der sogenannte Korridor, der das Deutsche Reich von Ostpreußen trennte. 85 00:17:47,100 --> 00:18:00,199 Es ging um die Integrität von Ostpreußen und des Deutschen Reiches. Das war der Grund für den Kriegsbeginn. 86 00:18:00,200 --> 00:18:06,899 Niemand konnte sich aber vorstellen, dass der Krieg mit der Zerstörung der zivilen Städte losgehen würde. 87 00:18:06,900 --> 00:18:18,399 Es gab die Annahme, dass die Zivilbevölkerung aus dem Kriegsgeschehen ausgeschlossen ist und dass Frauen, Kinder und Alte am Krieg nicht teilnehmen werden. 88 00:18:18,400 --> 00:18:29,166 Es stellte sich aber heraus, es handelte sich grundsätzlich um Terrorismus gegen die Bevölkerung durch die Bombardierung der Städte. 89 00:18:29,167 --> 00:18:42,499 Es kam danach zur Massenflucht aus den Städten. Menschen flohen vor der deutschen Armee, die Richtung Osten vordrang. Die Straßen waren voll mit Flüchtlingen. 90 00:18:42,500 --> 00:18:55,899 Die Flüchtlinge wurden aus der Luft mit Maschinengewehren beschossen. Viele Tausende starben bei der Massenflucht aus den Städten. 91 00:18:55,900 --> 00:19:09,432 Man darf ebenfalls nicht vergessen, dass ein Teil Polens am 17. September von der Sowjetunion besetzt wurde. 92 00:19:09,433 --> 00:19:20,366 Auch die Sowjetunion verschonte die Polen nicht vor der Deportation aus den besetzten Gebieten. 93 00:19:20,367 --> 00:19:37,132 Viele Mitglieder der Oberschicht, die Akademiker, Wissenschaftler, Polizisten, Offiziere und Staatsbeamte wurden verhaftet. Der Exodus kam von beiden Seiten. 94 00:19:37,133 --> 00:19:43,999 IV: Ich würde gerne zu Ihrer Familie zurückkehren. Was passierte mit Ihrer Familie während des Krieges und während des Warschauer Aufstandes? 95 00:19:44,000 --> 00:19:54,132 Was passierte mit Ihnen, wie wurde es von Ihrer Familie empfunden, dass Sie verhaftet wurden? Was passierte mit ihr nach dem Ausbruch des Warschauer Aufstandes? 96 00:19:54,133 --> 00:20:06,332 JK: Als der Aufstand begann, wohnte meine Familie in der Altstadt. Alle haben in einem Haus gewohnt: meine Mutter, meine Schwester und ich. 97 00:20:06,333 --> 00:20:18,066 Außerdem wohnten dort meine Großmutter mütterlicherseits mit ihrem Sohn und dem Bruder meiner Mutter, sowie Schwestern meiner Großmutter mit ihren Männern. 98 00:20:18,067 --> 00:20:27,699 Wir waren mehrere Personen aus einer Familie, alle waren Verwandte meiner Mutter. 99 00:20:27,700 --> 00:20:39,532 Als mein Vater am 1. August zur Arbeit ging, wusste er bereits vom Beginn des Aufstandes. Er verabschiedete sich merkwürdig von uns und redete kaum. 100 00:20:39,533 --> 00:20:53,566 Er wusste, dass heute der Aufstand losgeht. Er versuchte sogar, mich mitzunehmen, aber der Vorgesetzte meines Vaters war dagegen. 101 00:20:53,567 --> 00:21:08,932 Als der Aufstand um 17.00 ausbrach, meldete ich mich freiwillig bei der Führung der Armia Krajowa und wurde zu einem Bataillon zugeteilt, der am Aufstand teilnahm. 102 00:21:08,933 --> 00:21:22,199 Meine ganze Familie wohnte in einem Haus bis zur Kapitulation. Während des Aufstandes, während der Kämpfe in der Altstadt, ist niemand aus meiner Familie getötet worden. 103 00:21:22,200 --> 00:21:38,332 Nach der Kapitulation der Altstadt suchte die Mehrheit der Bevölkerung den Schutz in den Kirchen. Sie suchten dort nach Asyl, weil man glaubte, 104 00:21:38,333 --> 00:21:45,066 dass die Kirche die Menschen vor massenhaftem Mord bewahren könne. 105 00:21:45,067 --> 00:22:01,366 Meine ganze Familie fand sich in der St. Franziskus-Kirche in der Zakroczymska-Straße. Wer beweglich war und zu Fuß gehen konnte, sollte zum Sammelplatz am Krasińskich-Platz gehen. 106 00:22:01,367 --> 00:22:10,366 Diejenigen, die nicht mehr im Stande waren, sei es wegen des Alters oder der fehlenden Kräfte, sollten mit Fahrzeugen transportiert werden. 107 00:22:10,367 --> 00:22:20,332 Meine Großmutter sagte zu meiner Mutter, dass sie meine Schwester nehmen und zum Krasińskich-Platz gehen sollte. 108 00:22:20,333 --> 00:22:31,999 Da sie selbst im betagten Alter war und nicht mehr gehen konnte, sagte sie, dass sie hier bleiben würde. Da der Bruder meiner Mutter meine Oma nicht alleine zurücklassen wollte, blieb er mit ihr zurück. 109 00:22:32,000 --> 00:22:43,766 Obwohl wir sie gesucht haben, stellte sich nach dem Krieg heraus, dass niemand aus der Verwandtschaft meiner Mutter den Krieg überlebte. 110 00:22:43,767 --> 00:22:56,966 Später nach dem Krieg haben wir erfahren, dass die deutsche Armee alle alten Menschen in die Ruinen des Ghettos deportiert haben. 111 00:22:56,967 --> 00:23:11,699 Es war ein jüdisches Viertel, das komplett während der Kämpfe im Ghetto zerstört wurde. Alle alten Menschen wurden dorthin gebracht und erschossen. 112 00:23:11,700 --> 00:23:28,832 Sie wurden erschossen und die Leichen verbrannt. Vom Aufstand kam ich zum Krasińskich-Platz, habe aber meine Mutter nicht getroffen. Von da ging es nach Pruszków. 113 00:23:28,833 --> 00:23:36,066 Von Pruszków kam ich nach Oświęcim, Auschwitz. 114 00:23:36,067 --> 00:23:41,699 IV: Wie war das weitere Schicksal Ihrer Familie, Ihrer Mutter, Ihres Vaters und Ihrer Schwester? 115 00:23:41,700 --> 00:23:54,966 JK: Mein Vater als Mitglied des Geheimdienstes durfte nicht zum Gefangenen werden. Er bekam einen Befehl, sich nicht festnehmen zu lassen. 116 00:23:54,967 --> 00:24:06,599 Mein Vater kämpfte bis zum letzten Tag des Aufstandes, bis zur offiziellen Kapitulation. Er kam dann nach Poznań. 117 00:24:06,600 --> 00:24:18,132 Dagegen kamen meine Mutter und meine Schwester auf Umwegen nach Krakau. Wir hatten dort weder Bekannte noch Verwandte. Sie wurden nach Krakau evakuiert. 118 00:24:18,133 --> 00:24:38,032 Mein Vater wurde durch einen ehemaligen Mitarbeiter der Polizei verraten. Dieser Mitarbeiter war deutscher Herkunft und während der Besatzung war er ein deutscher Polizist. 119 00:24:38,033 --> 00:24:53,432 Sein Sohn hat meinen Vater auf der Straße erkannt, worauf er festgenommen wurde. Auf verschiedenen Informationswegen haben wir erfahren, dass er im Gefängnis in Sochaczew ermordet wurde. 120 00:24:53,433 --> 00:25:00,732 Meine Mutter kehrte nach der Befreiung der Stadt durch die Sowjetische Armee nach Warschau zurück. 121 00:25:00,733 --> 00:25:13,199 Das Stadtviertel Praga befand sich am anderen Ufer der Weichsel und war nicht zerstört. Dort haben meine Mutter und meine Schwester bei Bekannten eine Bleibe gefunden. 122 00:25:13,200 --> 00:25:22,332 Meine Mutter suchte mich lange Zeit über das Rote Kreuz. Ich war in Flossenbürg inhaftiert. 123 00:25:22,333 --> 00:25:34,899 Im Januar 1946 bekam sie eine Information vom Polnischen Roten Kreuz, dass ich Häftling des KZs Flossenbürg war. 124 00:25:34,900 --> 00:25:54,632 Es wurde ihr sogar meine Häftlingsnummer genannt: 30990. Sie erfuhr auch, dass ich hier bis zum 23. April verblieben und am 5. Mai nach Auerbach gegangen war. 125 00:25:54,633 --> 00:26:07,966 IV: Wir machen hier kurz eine Pause. Beschreiben Sie bitte, was weiter nach Auschwitz passierte. Wie wurden Sie nach Flossenbürg gebracht? 126 00:26:07,967 --> 00:26:16,966 JK: Wir kamen mit einem Güterzug nach Flossenbürg. Ich kann mich nicht erinnern... Es gibt eine Bahnstation in Flossenbürg oder sie war zumindest da, wenn ich mich nicht irre. 127 00:26:16,967 --> 00:26:28,066 Ich kann mich auf jeden Fall erinnern, dass wir von der Bahnstation an der Kirche vorbei, zum Lager hoch gegangen sind. 128 00:26:28,067 --> 00:26:42,966 Als Jugendlicher wurde ich im Block für die Jugendlichen bis zum 19. Lebensjahr einquartiert. 129 00:26:42,967 --> 00:26:59,532 Es war der Block Nummer 19 und ich blieb dort bis Februar, März 1944, 1945. 130 00:26:59,533 --> 00:27:13,799 Danach kam ich in die Baracke für Erwachsene und ich wurde von Messerschmitt in den Steinbruch versetzt. Dort habe ich gearbeitet. 131 00:27:13,800 --> 00:27:20,999 IV: Erzählen Sie bitte über die Arbeit bei Messerschmitt und im Steinbruch. 132 00:27:21,000 --> 00:27:32,899 JK: Die ganze Fabrik war in Abteilungen unterteilt. Die Abteilung, in der ich arbeitete, war keine Fabrikhalle, 133 00:27:32,900 --> 00:27:49,066 sondern sozusagen ein Schuppen, er hieß Abteilung 8. Dort wurden unterschiedliche Teile für die Flügel gefertigt. 134 00:27:49,067 --> 00:28:01,099 Wir zeichneten auf dem Aluminiumblech Muster. Meine Aufgabe war, das Blech mit einem Handschneidegerät zu schneiden. 135 00:28:01,100 --> 00:28:07,566 Ich schnitt die Muster aus dem Blech, aus dem später Teile für die Flügel zurecht gebogen wurden. 136 00:28:07,567 --> 00:28:26,166 Die Arbeit war so... Entschuldigung... Darf ich? {putzt sich die Nase}. Es war Arbeit in drei Schichten. 137 00:28:26,167 --> 00:28:38,066 Es gab Frühschicht, Nachmittagsschicht und die Nachtschicht. Wir arbeiteten 24 Stunden pro Tag. 138 00:28:38,067 --> 00:28:52,099 Jede Woche gab es Schichtwechsel. Wenn eine Gruppe morgens arbeitete, übernahm sie in der nächsten Woche die Spätschicht und eine Woche später die Nachtschicht. 139 00:28:52,100 --> 00:29:05,799 Die Arbeit war für einen Jugendlichen besonders anstrengend. Anstrengend war die Arbeit auch deswegen, 140 00:29:05,800 --> 00:29:15,232 da man den Arbeitsplatz nicht verlassen durfte und die ganze Zeit stehen musste. Es war sehr kalt, es war gerade Winter. 141 00:29:15,233 --> 00:29:23,932 Während der Arbeit haben wir nichts zum Essen bekommen. 142 00:29:23,933 --> 00:29:29,999 Das Essen bekamen wir erst im Lager, entweder nach der Rückkehr von der Arbeit oder vor der Arbeit. 143 00:29:30,000 --> 00:29:41,432 Als ich zur Baracke für die Erwachsenen und zum Steinbruch wechselte, war ich ein sogennanter Träger. 144 00:29:41,433 --> 00:29:54,799 Es gab solche Tragen. Sie hatten zwei dicke Stäbe, zwischen denen Bretter lagen. Größere Steine trugen wir zu viert, kleinere zu zweit. 145 00:29:54,800 --> 00:30:05,866 Wir schleppten die Steine vom Hauptsteinbruch zu einer Sammelstelle. Danach wurden sie verarbeitet. 146 00:30:05,867 --> 00:30:15,766 IV: Ich hätte jetzt eine Frage: Sie haben bei Messerschmitt gearbeitet. War die Versetzung in den Steinbruch eine Strafe? 147 00:30:15,767 --> 00:30:29,566 JK: Es war eine Strafe für das Interesse am Verhalten des Blockältesten im Block 19. 148 00:30:29,567 --> 00:30:38,032 Es war ein Homosexueller und er hat versucht, die Jungen für seine Untaten zu mißbrauchen. 149 00:30:38,033 --> 00:30:52,032 Ich äußerte mich kritisch. Einer der Häftlinge verhielt sich gegenüber seinen Kameraden nicht angemessen. 150 00:30:52,033 --> 00:31:00,399 Ich konnte den Blockältesten nicht direkt kritisieren, sonst wäre ich bestraft worden, sondern diesen Mithäftling. 151 00:31:00,400 --> 00:31:08,532 Ich habe ihm eine Bemerkung gemacht, dass sein Verhalten nicht korrekt ist und dass er dafür die Konsequenzen tragen würde. 152 00:31:08,533 --> 00:31:18,066 Anscheinend beschwerte er sich beim Blockältesten und ich wurde sofort in eine andere Baracke versetzt. 153 00:31:18,067 --> 00:31:28,066 Ich hatte keine Möglichkeiten, den Grund für die Versetzung zu ermitteln. Ich vermute, dass das der einzige Grund sein kann. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. 154 00:31:28,067 --> 00:31:34,666 IV: Also sind Sie wegen der Kritik am Verhalten des Blockältesten in den Steinbruch versetzt worden? 155 00:31:34,667 --> 00:31:41,366 JK: Als ich in die Baracke für Erwachsene wechselte, kam ich sofort in den Steinbruch. 156 00:31:41,367 --> 00:31:48,099 IV: Wie war die Arbeit im Steinbruch? 157 00:31:48,100 --> 00:32:02,499 JK: Ich war gerade 15 Jahre alt. Die Arbeit war sehr schwer und Flossenbürg war eins der KZs, in dem die Verpflegung erbärmlich war. 158 00:32:02,500 --> 00:32:12,666 Wir bekamen gerade einen Laib schlechten Brotes für vier Personen. 159 00:32:12,667 --> 00:32:28,999 Am Morgen bekamen wir... Zum Mittagessen gab es eine Suppe aus Zuckerrübenblättern. Auch die Deutschen hatten kein besseres Essen. 160 00:32:29,000 --> 00:32:44,032 Die Häftlinge wurden mit Resten ernährt: Mit Kartoffeln, mit Grünzeug, aus dem eine Suppe gekocht wurde. Wir bekamen eine Schüssel Suppe und ein Stück Brot am Tag. 161 00:32:44,033 --> 00:32:54,366 Einmal in der Woche bekamen wir die sog. Zulage, also die zusätzliche Portion Brot. Das Brot wurde unter drei und nicht unter vier geteilt. 162 00:32:54,367 --> 00:33:04,066 Es war das Essen für den ganzen Tag. Es gab keine Möglichkeit, ein Lebensmittelpaket von Zuhause zu bekommen. 163 00:33:04,067 --> 00:33:14,132 Besonders aus Warschau konnte nichts kommen. Die inhaftierten Warschauer hatten keine Möglichkeiten. 164 00:33:14,133 --> 00:33:25,366 Wir hatten keinen Kontakt mit unseren Angehörigen. Keine Briefe, nichts. Wahrscheinlich wussten die Familien gar nicht, wo sich ihre Söhne oder Ehemänner befinden. 165 00:33:25,367 --> 00:33:28,932 IV: Wie lange haben Sie im Steinbruch gearbeitet? 166 00:33:28,933 --> 00:33:35,867 JK: Es dauerte bis...