1 00:00:00,067 --> 00:00:07,732 YD: Ja, ja, ja, ja, ja, ja, ja. 2 00:00:07,733 --> 00:00:13,332 IV: Ja, Sie sind in Belgien aufgewachsen, wahrscheinlich, als Kind. 3 00:00:13,333 --> 00:00:22,832 Wie sind Sie überhaupt so mit dem Thema Geschichte des Nationalsozialismus, Konzentrationslagern, aber auch der eigenen familiären Geschichte überhaupt … Wann haben Sie das erfahren? 4 00:00:22,833 --> 00:00:24,832 Wie sind Sie damit in Berührung gekommen? 5 00:00:24,833 --> 00:00:31,499 YD: Als ich klein war, etwa 12, 13, 14 Jahre alt, hatte ich gesehen, dass mein Papa eine Nummer hatte {deutet auf seinen Unterarm}. 6 00:00:31,500 --> 00:00:36,432 Ich habe meine Mutter gefragt, wieso mein Papa eine Nummer auf seinem Arm hat. 7 00:00:36,433 --> 00:00:40,099 Darauf sagte meine Mutter: „Du musst deinen Papa damit in Ruhe lassen.“ 8 00:00:40,100 --> 00:00:46,899 Darüber sollst du nicht reden, denn dein Papa ist an einem Ort gewesen, wo sehr vielen Menschen sehr viel Schmerz zugefügt wurde. 9 00:00:46,900 --> 00:00:51,732 Wenn du ihn danach fragst, muss er wieder daran denken und dann, ja, dann schläft er nicht mehr. 10 00:00:51,733 --> 00:00:53,732 Also lass deinen Papa damit in Ruhe. 11 00:00:53,733 --> 00:00:57,599 Wenn du alt genug bist, wird dein Vater das schon erzählen. 12 00:00:57,600 --> 00:01:03,232 Doch inzwischen hatte sie im Grunde mehr Dinge in mir geweckt, als sie eigentlich unter dem Deckel halten wollte. 13 00:01:03,233 --> 00:01:08,666 Ich war also neugierig. Ich wollte wissen, wieso Menschen eine Nummer auf ihrem Arm hatten. 14 00:01:08,667 --> 00:01:10,332 Und dann habe ich angefangen zu suchen. 15 00:01:10,333 --> 00:01:12,766 Dann habe ich mich auf die Suche gemacht, in der Geschichte. 16 00:01:12,767 --> 00:01:20,266 Denn ich wusste inzwischen schon aus Gesprächen zwischen meinem Vater und seinen Freunden, dass sie irgendwo in einem Konzentrationslager gewesen waren. 17 00:01:20,267 --> 00:01:23,832 Und dass sie irgendwo, ähm, in Flossenbürg und alles … Das war, das waren Dinge … 18 00:01:23,833 --> 00:01:30,966 Und Auschwitz und Buchenwald, das waren Namen, die ich schon kannte, aber ich konnte damit nichts anfangen. 19 00:01:30,967 --> 00:01:32,566 Und deshalb habe ich mich auf die Suche gemacht. 20 00:01:32,567 --> 00:01:41,732 Ich habe also selbst angefangen zu suchen. Ich habe angefangen, Bücher zu suchen, ähm, gelesen in diesen Büchern, ähm … daraus Informationen aller Art aufzunehmen versucht. 21 00:01:41,733 --> 00:01:53,232 Und vor allem viel zugehört. Jedes Mal, wenn sie mit Julien, mit, ähm … Armand Verstraete, mit noch ein paar Kameraden zusammen saßen, dann war ich dabei. 22 00:01:53,233 --> 00:01:55,899 Um die Ecke oder dazwischen. 23 00:01:55,900 --> 00:01:59,032 Zuhören. Einfach zuzuhören, was diese Menschen erzählen. 24 00:01:59,033 --> 00:02:03,399 Und jemand hatte sein … So konnte ich eigentlich sehr viele Geschichten bewahren. 25 00:02:03,400 --> 00:02:08,466 Und dann habe ich, ja, per Internet später, habe ich dort weitergesucht und weitergemacht. 26 00:02:08,467 --> 00:02:11,932 Also das ist eigentlich mein, mein Stück Geschichte. 27 00:02:11,933 --> 00:02:22,599 Auch die Totenzettel, ähm, die Tatsache, dass plötzlich Briefe auftauchten von meinem Papa, die er also eigentlich von dort nach Hause geschrieben hat. 28 00:02:22,600 --> 00:02:29,032 Die meine Großmutter aufbewahrt hat. Lauter solche Sachen konfrontierten mich mit der Geschichte meiner Familie. 29 00:02:29,033 --> 00:02:34,966 Auch andere Leute fragten mich manchmal: „Ja und Ihr Vater, denkt er manchmal noch an seine beiden Brüder?“ 30 00:02:34,967 --> 00:02:39,499 Ja? Oder wie war das noch mit seinen beiden Brüdern? Sie sind tot, bestimmt in Flossenbürg?" 31 00:02:39,500 --> 00:02:48,799 Und dann musste ich. Ja, ja, ja. Also, KZ Flossenbürg, Konzentrationslager, das ist etwas, das mich, ja, nach und nach eigentlich immer, ähm nun, 32 00:02:48,800 --> 00:02:51,999 hat sich immer durch die Geschichte meiner Familie gezogen. 33 00:02:52,000 --> 00:02:56,599 Aber ich wohne auch an einem Ort, wo der Erste Weltkrieg sehr heftig gewütet hat. 34 00:02:56,600 --> 00:03:06,332 Also der Erste Weltkrieg mit sehr vielen, ähm, Friedhöfen, der ist auch darunter. 35 00:03:06,333 --> 00:03:11,132 Eigentlich bin ich also ein bisschen zwischen dem Leid des Krieges aufgewachsen. 36 00:03:11,133 --> 00:03:19,199 Und … mit der Geschichte meines Vaters dazwischen, dann ist das, ähm, hat das bei mir sehr viele Dinge ausgelöst, ja. 37 00:03:19,200 --> 00:03:24,999 IV: Wann haben Sie denn das erste Mal dann gefr…, wieder sich getraut zu fragen. Sie haben gesagt, Sie haben immer gehört … 38 00:03:25,000 --> 00:03:26,632 YD: {seufzt} Ja. 39 00:03:26,633 --> 00:03:30,066 IV: Aber …, und immer so, sozusagen nur für sich. 40 00:03:30,067 --> 00:03:33,499 Und wann kam es dann mal zu einer Kommunikation darüber? 41 00:03:33,500 --> 00:03:41,132 YD: Das erste Mal hat mein Vater mir selbst gesagt: „Ich bin sehr schwer krank gewesen.“ Ja. 42 00:03:41,133 --> 00:03:48,632 Und ich kehre jetzt mit dir an einen Ort zurück, wo ich dir eigentlich einige Dinge zeigen sollte. 43 00:03:48,633 --> 00:03:55,099 Ich ähm …, ich muss das zeigen, denn angenommen, ich sterbe. Ich will dir alles darüber erzählen, was ich dort durchgemacht habe. 44 00:03:55,100 --> 00:03:59,266 Ich war damals, ach, ein paar Jahre verheiratet. 45 00:03:59,267 --> 00:04:08,632 Es muss 1995 gewesen sein, hm … oder 1994 sind wir zum ersten Mal hierher gekommen. 46 00:04:08,633 --> 00:04:13,299 Und hier hat er mir … Ich hatte jemanden dabei, aber das war eben nicht mein Vater. 47 00:04:13,300 --> 00:04:19,232 Also ich hatte jemanden. Ja, im Wagen war das, ja, er war, er, er schlief. 48 00:04:19,233 --> 00:04:23,499 Er …. Ja, ihn beschäftigten andere Dinge. Ich sah das. 49 00:04:23,500 --> 00:04:28,832 Es war nicht mein Papa. Ich komme hier an und er steigt aus. 50 00:04:28,833 --> 00:04:31,699 „Komm mal mit“, sagt er. Ich hatte meine beiden Töchter dabei. 51 00:04:31,700 --> 00:04:34,966 Meine Frau war dabei, meine Frau war, ähm, meine Mutter war dabei. 52 00:04:34,967 --> 00:04:38,199 Aber ich und mein Vater allein. Die anderen ein Stück hinter uns. 53 00:04:38,200 --> 00:04:43,632 Und dann begann er zu erzählen. Hier stand diese Baracke, das war Baracke 13, hier ist Daniel gestorben. 54 00:04:43,633 --> 00:04:51,499 Dort ist es. Dort ist es. Und er begann also, alles zu erzählen, und während er erzählte, konnte ich genau vor mir sehen, was dort alles stand. 55 00:04:51,500 --> 00:04:59,466 Er sprach in Bildern. Also das war so, wenn er sagte: „Hier war diese Baracke.“ Es war genau so, als stünde diese Baracke da. Er sah alles wieder vor sich. 56 00:04:59,467 --> 00:05:02,866 Und dann hat er einen Teil seiner Geschichte erzählt. 57 00:05:02,867 --> 00:05:08,066 Wie er hierher gekommen ist und wie er das hier, hier alles, empfunden hat. 58 00:05:08,067 --> 00:05:13,399 Ich habe ab 1995 sehr vieles auf Zetteln notiert. 59 00:05:13,400 --> 00:05:16,866 Und alles gesammelt. 60 00:05:16,867 --> 00:05:33,332 Und dann habe ich schließlich vor ein paar Jahren, vor zwei Jahren, habe ich schließlich meinen Vater gefragt: „Möchtest du nun eigentlich wirklich einmal deine ganze Geschichte erzählen von deiner Kindheit bis heute?“ 61 00:05:33,333 --> 00:05:42,766 Dann haben wir uns fast jeden Samstag und Sonntag, also jedes Wochenende, getroffen, mein Vater und ich. 62 00:05:42,767 --> 00:05:46,232 Das war ein Aperitif, aber ein Erzähl-Aperitif. 63 00:05:46,233 --> 00:05:53,666 Und jedes Mal sind wir dann so … Und ich habe jedes Mal notiert, ins Reine geschrieben. Wenn alles ins Reine geschrieben war, ging es zurück an meinen Vater. 64 00:05:53,667 --> 00:05:57,832 Nachgefragt: „Vater, stimmt es, was du alles erzählt hast? Habe ich es richtig formuliert? 65 00:05:57,833 --> 00:06:00,632 Habe ich es richtig gesagt? Richtig, die richtigen Worte? 66 00:06:00,633 --> 00:06:02,899 Ist es nicht zu heftig? Ist es nicht zu schwach? 67 00:06:02,900 --> 00:06:04,566 Stimmt es?“ 68 00:06:04,567 --> 00:06:12,999 Mein Vater hat das dann jedes Mal mit Tränen in den Augen…, er hat geweint. Das war für ihn ein emotionaler…, ja, schwieriger Vorgang. 69 00:06:13,000 --> 00:06:18,232 Hat er dann eigentlich all diesen Dingen zugestimmt und ist das Buch entstanden. 70 00:06:18,233 --> 00:06:25,799 Das Buch, das sich ganz aus Geschichten zusammensetzt, wurde also zu Ende geschrieben, auf etwa 160 Seiten 71 00:06:25,800 --> 00:06:35,366 mit der ganzen Geschichte meines Papas … von 1926, seiner Geburt, bis 1945, als er nach Hause zurückkehrte. 72 00:06:35,367 --> 00:06:41,332 Und das hat, ja, das hat sehr viel Zeit und sehr vieles gekostet, ja. 73 00:06:41,333 --> 00:06:49,099 IV: {hustet} Entschuldigung. Und als Sie hier das erste Mal … 74 00:06:49,100 --> 00:06:49,432 YD: Ja? 75 00:06:49,433 --> 00:06:53,399 IV: Als er Sie mitgenommen hat nach Flossenbürg… Vorher hat er nie die Geschichte erzählt? 76 00:06:53,400 --> 00:07:03,866 YD: Nein, ich hatte sehr viel vernommen von anderen Leuten und wenn ich da zusammen war mit … ja, ich bin natürlich in Deutsch, ja … Entschuldigung {lacht} 77 00:07:03,867 --> 00:07:10,999 Hm … 78 00:07:11,000 --> 00:07:14,632 IV: Das rote Licht in der Brille spiegelt oder irgendwas? 79 00:07:14,633 --> 00:07:17,299 YD: Ah ja, ok, kein Problem. 80 00:07:17,300 --> 00:07:23,932 Hm, er hatte mir viel erzählt, nun, ich hatte sehr viel gehört, während er mit anderen beisammensaß. 81 00:07:23,933 --> 00:07:32,399 Hin und wieder, wenn etwas passierte, sagte er schon mal: „Als wir in Deutschland waren, dann das, dies oder jenes.“ 82 00:07:32,400 --> 00:07:37,066 Oder: „Als wir in Deutschland waren, dann hatten wir das nicht zu essen. Dann hatten wir Krematorium-Pastete.“ 83 00:07:37,067 --> 00:07:45,066 So kam mal etwas heraus oder so hörte ich mal etwas, aber eigentlich hatte ich die ganze Geschichte der Reihe nach noch nie gehört. 84 00:07:45,067 --> 00:07:48,599 Das heißt nur durch das Aneinanderreihen dieser ganzen Zettel. 85 00:07:48,600 --> 00:07:54,532 Nur indem ich schließlich sagte: „Papa, jetzt fangen wir an, diese Geschichte aufzuschreiben. 86 00:07:54,533 --> 00:08:04,066 Jetzt musst du das erzählen. Ich mag nicht mehr warten, denn du bist schon 80… Noch fünf Jahre, wirst du noch da sein? Ich weiß es nicht. 87 00:08:04,067 --> 00:08:06,432 Also jetzt muss es sein, jetzt muss es passieren.“ 88 00:08:06,433 --> 00:08:09,866 Und dann hat mein Vater, ja, dann hat er angefangen zu erzählen. 89 00:08:09,867 --> 00:08:15,332 Aber das waren keine.. Nun, an manchen Tagen ging es, an manchen Tagen nicht. 90 00:08:15,333 --> 00:08:19,866 Manchmal musste ich warten und in der Nacht schrieb ich dann eigentlich am Buch. 91 00:08:19,867 --> 00:08:25,032 Und dann jedes Mal meinem Vater Fragen stellen. Aber im Grunde hat er davor nie wirklich die Geschichte erzählt. 92 00:08:25,033 --> 00:08:31,866 IV: Was hat Sie denn gehindert … Ich denke, Sie haben gesagt, Sie waren schon verheiratet, hatten Kinder … 93 00:08:31,867 --> 00:08:32,366 YD: Ja. 94 00:08:32,367 --> 00:08:35,166 IV: Als Sie hierher gefahren sind. Wie alt waren Sie da? Da waren Sie … 95 00:08:35,167 --> 00:08:42,532 YD: Hm, ach 1995, dann muss ich 25, 26, hm … 30, ich denke … 96 00:08:42,533 --> 00:08:43,399 IV: Ungefähr. 97 00:08:43,400 --> 00:08:45,266 YD: Ungefähr 30, ja. 98 00:08:45,267 --> 00:08:46,999 IV: Und ich meine, Sie hatten ja schon viel gehört? 99 00:08:47,000 --> 00:08:47,599 YD: Ja. 100 00:08:47,600 --> 00:08:48,932 IV: Und Sie haben sich sicher viel gedacht? 101 00:08:48,933 --> 00:08:49,399 YD: Ja. 102 00:08:49,400 --> 00:08:54,999 IV: Was hat Sie gehindert, schon vorher einfach mal zu sagen, jetzt, lass uns mal drüber reden? 103 00:08:55,000 --> 00:09:01,699 YD: Ach {seufzt}, weil ich gesehen habe, wenn mein Vater darüber redet, dass das emotional sehr schwer war. 104 00:09:01,700 --> 00:09:05,332 Er war dem nicht gewachsen. Das ging nicht. 105 00:09:05,333 --> 00:09:14,599 Und der Respekt vor dem eigenen Vater. Dass du das, nun, das du sagst, ach, du hast es hier eigentlich so, so schwer, es ist so schwierig für dich. 106 00:09:14,600 --> 00:09:20,599 Und meine Mutter, die dann sagt: „Jedes Mal, wenn er darüber spricht, schläft er nicht.“ 107 00:09:20,600 --> 00:09:29,966 Dann denke ich, dann dachte ich mir: Ich kann es meinem Vater eigentlich nicht antun, sehr viel darüber zu reden. 108 00:09:29,967 --> 00:09:35,332 Bis man schließlich an einen Punkt kommt, an dem man sagt, ja …Ich muss es jetzt aber wissen. 109 00:09:35,333 --> 00:09:37,832 Wenn ich …, denn bald, bald sind sie nicht mehr da. 110 00:09:37,833 --> 00:09:41,966 Denn … man denkt sich auch, ja, aber dein Vater, ja, aber ja, der bleibt am Leben. 111 00:09:41,967 --> 00:09:47,532 Doch letztendlich ist es nicht so. Und dann kommt man schließlich an einen Punkt, an dem man sagt: „Jetzt muss ich die Geschichte hören.“ 112 00:09:47,533 --> 00:09:52,699 Und dann mit seiner Zustimmung habe ich ihn ein paar Mal gefragt: „Papa, jetzt?“ 113 00:09:52,700 --> 00:09:55,066 Ja, dann hat er gesagt: „Ok, ich werde damit anfangen.“ 114 00:09:55,067 --> 00:10:02,166 Und …denn ich weiß, dass mein Vater nicht gut darüber sprechen kann. Also fünf Minuten, zehn Minuten und erledigt. 115 00:10:02,167 --> 00:10:06,999 Eine Viertelstunde geschafft. Und dann war es, war der Aperitif alle … 116 00:10:07,000 --> 00:10:09,766 IV: Also darum hat es gereicht, immer auf kleine Zettel zu schreiben ... 117 00:10:09,767 --> 00:10:10,332 YD: Ja, ja, ja. 118 00:10:10,333 --> 00:10:13,299 IV: Weil es nicht Stunden waren, sondern immer kleine Bruchstücke. 119 00:10:13,300 --> 00:10:14,666 YD. Ja, ja, kleine, ja … 120 00:10:14,667 --> 00:10:23,999 IV: Was hat das denn für Sie oder vielleicht auch für Ihren Vater verändert, dass er nach so langer Zeit dann doch angefangen hat, diese Geschichte zu erzählen? 121 00:10:24,000 --> 00:10:33,899 YD: Ach … Erstens: Er hat es sehr schwer. Diese Emotionen in Worte zu fassen, fällt meinem Vater unglaublich schwer. 122 00:10:33,900 --> 00:10:41,932 Zweitens: Er weint immer. Also nach fünf Wörtern fängt er an zu weinen. 123 00:10:41,933 --> 00:10:50,166 Drittens auch ein bisschen die Schwierigkeit: Werden sie es wohl alle glauben? 124 00:10:50,167 --> 00:11:02,232 Viertens: Nicht mehr daran erinnert werden wollen. Im Sinne von: Lass es ruhen, lass, lass vor allem mein Oberstübchen in Ruhe, ja? 125 00:11:02,233 --> 00:11:04,766 Denn sonst wird …, kommt das alles wieder zum Vorschein. 126 00:11:04,767 --> 00:11:12,132 In der Nacht will er wieder entkommen, will er wieder weglaufen, will er … Dann ist er wieder im Konzentrationslager, nachts. 127 00:11:12,133 --> 00:11:15,666 Meine Mutter mag dann nicht schlafen. Und mein Vater schläft auch nicht. 128 00:11:15,667 --> 00:11:22,666 Und ja, das sind in etwa die Dinge, wovon wir dann wissen, das geht dann nicht. 129 00:11:22,667 --> 00:11:29,132 IV: Und nachdem er es dann gemacht hat, war das vielleicht gut für ihn? Oder hat sich da was gelöst? 130 00:11:29,133 --> 00:11:33,499 Vielleicht auch von dieser Spannung, dass man das immer, diesen Deckel, in Deutschland sagt man den Deckel auf dem Topf halten? 131 00:11:33,500 --> 00:11:45,732 YD: Ja, ja, ja, hm. Zu einem bestimmten Zeitpunkt hatte ich gedacht: Ja, das hat ihn befreit, hm, er hat es geschafft. Denn zuletzt konnte er leichter darüber sprechen. 132 00:11:45,733 --> 00:11:52,799 Doch als ich ihn dann zwei, drei Monate später einiges erzählen hörte, war es wieder das Gleiche. 133 00:11:52,800 --> 00:11:58,332 Also letztendlich hat es ihm vorübergehend Erleichterung gebracht, ist es vorübergehend besser geworden. 134 00:11:58,333 --> 00:12:02,599 Doch, wenn ich ihn jetzt anschaue … Müsste er jetzt … 135 00:12:02,600 --> 00:12:10,666 Bei der Vorstellung, beim Theaterstück hat er sich am Freitag, am Samstag sehr gut gehalten. Am Sonntag kam der Einbruch. 136 00:12:10,667 --> 00:12:15,132 Also am Sonntag war er ganz … war es, war er zusammengebrochen. 137 00:12:15,133 --> 00:12:21,632 Und hat er wieder die ganze Nacht ausbrechen wollen, weglaufen wollen, hat kämpfen müssen, hat schlagen müssen, hat sich verteidigen müssen. 138 00:12:21,633 --> 00:12:26,899 Also hat meine Mutter auch nicht geschlafen. Das ist, hm …, das ist ja, das ist so ein bisschen … 139 00:12:26,900 --> 00:12:32,299 IV: Aber er ist doch auch immer wieder hierher gekommen? Und was hat ihn da auch …? Weil das ist ja auch schwierig, denke ich? 140 00:12:32,300 --> 00:12:35,499 YD: Ja, das ist, das ist schwierig, aber er will hier sein. 141 00:12:35,500 --> 00:12:41,999 Er hat hier seine Brüder, die hier geblieben sind. Das heißt, er kehrt ein Stück weit zurück. 142 00:12:42,000 --> 00:12:48,599 Aber er sieht, dass es weg ist. Also…, das Lager gibt es nicht mehr. 143 00:12:48,600 --> 00:12:52,499 Das heißt, die Gräuel gibt es nicht mehr, aber die Erinnerung ist noch da. 144 00:12:52,500 --> 00:12:54,866 Seine Freunde kehren auch hierher zurück. 145 00:12:54,867 --> 00:13:01,232 Und er will bestimmt hierher zurückkehren, weil ich und meine beiden Töchter auch hierherkommen. 146 00:13:01,233 --> 00:13:05,966 Denn in einem bestimmten Moment hat er Annelies und Elke auch noch sehr viel erzählt. 147 00:13:05,967 --> 00:13:09,532 Also … für diese Dinge kehrt er zurück. 148 00:13:09,533 --> 00:13:13,666 Hinzu kommt, dass er, nun, man wird hier auch gut aufgefangen. 149 00:13:13,667 --> 00:13:19,299 Die Menschen hier in der Gedenkstätte und die anderen, die hier sind, kümmern sich um die Menschen. 150 00:13:19,300 --> 00:13:27,166 Das steht im krassen Kontrast zu früher. Früher wurden sie hier nicht versorgt. Jetzt werden sie hier aufgefangen und versorgt. 151 00:13:27,167 --> 00:13:33,932 Man ist hier freundlich, man ist hier ermutigend. Das ist etwas ganz anderes als früher. 152 00:13:33,933 --> 00:13:40,699 IV: {sucht Geräusch} Lässt sich nicht orten. 153 00:13:40,700 --> 00:13:42,899 YD: Ja … 154 00:13:42,900 --> 00:13:51,499 IV: Als Sie selber zur Schule gegangen sind, war da so Nationalsozialismus oder die Geschichte dieser Vernichtungslager, war das Thema in der Schule? 155 00:13:51,500 --> 00:13:59,032 Haben Sie da was erfahren? Gab es Interesse von Leuten überhaupt für dieses Thema? Oder wollte jemand überhaupt hören, dass man darüber redet? 156 00:13:59,033 --> 00:14:08,066 YD: Ja, hm … Wenn ein Referat gehalten werden musste, habe ich recht häufig über Konzentrationslager gesprochen. Also das war so. 157 00:14:08,067 --> 00:14:17,666 Und im Geschichtsunterricht in der Grundschule, also für die Kinder im …, die echte Geschichte, im vierten, fünften Schuljahr. 158 00:14:17,667 --> 00:14:24,099 Das ist für Kinder zwischen 10 und 13 Jahren. Davon wird schon erzählt, aber nicht sehr häufig. 159 00:14:24,100 --> 00:14:32,199 Es wird etwas darüber gesagt, dass es das gab. Aber das steht natürlich in den Büchern. Und ein Buch ist ein Buch. Gut. 160 00:14:32,200 --> 00:14:42,032 Und wenn man dann in die weiterführende Schule kommt oder in die für die Kinder zwischen 13 und 18 Jahren, wird dort schon auch noch davon erzählt, 161 00:14:42,033 --> 00:14:51,599 aber eigentlich nicht so sehr viel … Das wird behandelt, aber, wie das präsentiert wird, hängt auch von der Lehrkraft ab, die da steht. 162 00:14:51,600 --> 00:14:54,499 Also es gibt eigentlich kein Material zu diesem Thema. 163 00:14:54,500 --> 00:15:00,132 Wenn man dann Lehrkräfte hat, die sehr viel darüber wissen und sehr viel davon erzählen wollen, ist das kein Problem. 164 00:15:00,133 --> 00:15:05,532 Doch es wird davon erzählt, aber nicht wirklich … sehr in die Tiefe gegangen. 165 00:15:05,533 --> 00:15:13,532 Also man weiß, was es gab. Man weiß, dass es Konzentrationslager gab. Man weiß, dass man … sehr viele … Menschen … vernichtet hat. 166 00:15:13,533 --> 00:15:18,332 Das man sehr viel …Leid verursacht hat in der Geschichte, das weiß man. 167 00:15:18,333 --> 00:15:22,599 Aber das war es dann meistens auch schon. Es gibt Schulen, die das eingehender behandeln. 168 00:15:22,600 --> 00:15:26,899 Aber in meiner Zeit war das nicht der Fall. In letzter Zeit geschieht das schon. Ja. 169 00:15:26,900 --> 00:15:31,832 IV: Wie sind Sie dann für sich auf die Idee gekommen jetzt, sich zu engagieren? 170 00:15:31,833 --> 00:15:31,999 YD: Ach. 171 00:15:32,000 --> 00:15:36,332 IV: Also ich meine, es ist ja eines … ein Buch zu schreiben, das ist ja noch sehr persönlich mit dem Vater. 172 00:15:36,333 --> 00:15:36,666 YD: Ja, ja. 173 00:15:36,667 --> 00:15:41,999 IV: Aber da auch zu sagen jetzt: Jugendaustausch organisieren … {Schnitt in der Montage} 174 00:15:42,000 --> 00:15:45,999 IV: Ja, die Frage war, wie sind Sie dann auf die Idee gekommen, sich zu engagieren? 175 00:15:46,000 --> 00:15:49,932 Also, mehr als auf der persönlichen Geschichte ... {Fehler im Video, nicht zu verstehen} 176 00:15:49,933 --> 00:15:51,999 YD: Ja, ja. 177 00:15:52,000 --> 00:15:56,999 IV: Aber jetzt auch in die Öffentlichkeit zu gehen und diese Gedenkstättenarbeit zu machen, wie kam das so dann? 178 00:15:57,000 --> 00:16:01,566 YD: Hm, es sind verschiedene Ur… Ähm, ja es gibt verschiedene Ursachen, ja? 179 00:16:01,567 --> 00:16:07,899 Charles Dekeyser ist im selben Verein wie wir. 180 00:16:07,900 --> 00:16:18,432 Also Charles kommt in einem bestimmten Moment auf mich zu und sagt: „Ach, es wird jetzt dort ein Jugendtreffen von Christina und Jörg organisiert und es sind keine Belgier dabei. 181 00:16:18,433 --> 00:16:21,566 Wir müssten jemanden haben, der das machen will." 182 00:16:21,567 --> 00:16:25,999 {Hebt seinen Finger} Ich! Ich will das machen, ganz unbesorgt. Ich kann mir das vorstellen. 183 00:16:26,000 --> 00:16:31,999 Ich will mich dafür engagieren und ich will die Jugend in Belgien anschreiben, dorthin zu gehen. 184 00:16:32,000 --> 00:16:37,332 Darf ich das machen? Klar darfst du das machen. Nur zu, Junge, du hast freie Hand. Nur zu. 185 00:16:37,333 --> 00:16:49,832 Also das war das eine. Zweitens: Ich hatte ein paar Kollegen, die sehr motiviert waren und immer Leute befragten über die Konzentrationslager, was dort alles passiert ist. 186 00:16:49,833 --> 00:16:54,532 Dann … Sie baten auch immer meinen Vater zu erzählen, aber mein Vater kann nicht erzählen; das geht nicht. 187 00:16:54,533 --> 00:16:57,299 Also diese Leute fragten deshalb immer: „Kennst du jemanden?“ 188 00:16:57,300 --> 00:17:08,699 Da ich wusste, dass diese Leute in ihrer Schule für 15-, 16-, 17-, 18-Jährige, dass sie dort sehr gut über das Thema Konzentrationslager …, dass sie das dort sehr gut behandelten. 189 00:17:08,700 --> 00:17:14,666 Also diese Leute haben mich auch ein bisschen dazu gebracht, den Mut zu fassen, mich da im Grunde hineinzustürzen. 190 00:17:14,667 --> 00:17:17,499 Und dann habe ich gesagt: „Schau, es gibt da ein Jugendtreffen. 191 00:17:17,500 --> 00:17:22,899 Habt ihr nicht Lust, mit ein paar Schülern … oder mir ein paar Schüler mitzuschicken, um zu diesem Jugendtreffen zu gehen?" 192 00:17:22,900 --> 00:17:27,999 Und so haben wir im Grunde eine kleine Organisation aufgebaut und so kam eigentlich alles in die Gänge. 193 00:17:28,000 --> 00:17:30,266 Also sind wir eigentlich mit ein paar Personen hierher gekommen. 194 00:17:30,267 --> 00:17:38,699 Also durch Lehrkräfte, die sehr engagiert waren in der Schule, Leute suchten, versuchten im Sinne von: Wir müssen das bekannt machen. 195 00:17:38,700 --> 00:17:43,132 Charles Dekeyser, der ankam: Ah, sie haben in Flossenbürg damit angefangen, das zu tun. 196 00:17:43,133 --> 00:17:46,532 Also diese beiden Dinge sind … Hinzu kam dann noch: Ich wollte es erzählen. 197 00:17:46,533 --> 00:17:53,299 Ich wollte erreichen, dass jeder es wusste. Das, was mein Vater so lange verschweigt, finde ich, darf nicht verschwiegen werden. 198 00:17:53,300 --> 00:18:05,099 Weil ich sehe, politisch betrachtet, dass es in Belgien sehr viele Leute gab, die extrem rechts, die also eigentlich faschistisch wählten, sodass ich sagte: Nein, das nicht mehr. 199 00:18:05,100 --> 00:18:09,166 Das geht nicht. Also wir werden, also, müssen etwas dagegen tun. Und wie können wir etwas dagegen tun? 200 00:18:09,167 --> 00:18:15,632 Indem wir die Jugend, fühlen lassen, spüren lassen, feststellen lassen, was irgendwann passiert ist. 201 00:18:15,633 --> 00:18:19,899 Was ist Diktatur? Was ist eine Gewaltherrschaft einer Person, was ist das? 202 00:18:19,900 --> 00:18:22,532 Und so versuchen, diese Dinge an den Mann zu bringen. 203 00:18:22,533 --> 00:18:27,632 Und das ist so in etwa die Mischung, die im Grunde bewirkt hat, dass ich mich dafür engagiert habe. 204 00:18:27,633 --> 00:18:31,399 IV: Also es ist auch ganz bewusstes politisches Engagement heute? 205 00:18:31,400 --> 00:18:39,632 YD: {Fehler in Aufnahme} Ja, eigentlich schon, ja. Das versuche ich den Menschen gegenüber auch ganz klar zu sagen. 206 00:18:39,633 --> 00:18:47,999 Mit dem Theaterstück wird …, versuche ich, dann dort ein pädagogisches Element zu entwickeln. 207 00:18:48,000 --> 00:18:52,599 Und dieses pädagogische Element ist eigentlich: Wie konnte es so weit kommen? 208 00:18:52,600 --> 00:18:57,866 Politisch betrachtet: Was hat man getan, um die Menschen dazu zu bringen, dass man anfing, Konzentrationslager zu bauen. 209 00:18:57,867 --> 00:18:59,632 Also das ist sehr wichtig. 210 00:18:59,633 --> 00:19:11,166 Und dafür ist die Geschichte, die deutsche Geschichte, ab 1930, eigentlich ab 1925 oder ab 1926 bis 1933 und von 1933 bis 1940 sehr wichtig. 211 00:19:11,167 --> 00:19:15,799 Doch ich kann nicht alles erzählen, aber ich kann die wichtigsten Dinge herausgreifen und aufzeigen. 212 00:19:15,800 --> 00:19:20,732 Damit man erkennt …Und, und vergleichen mit dem, was heute geschieht. 213 00:19:20,733 --> 00:19:26,166 Wie organisieren sich die Neofaschisten, wie organisieren sich die, die … heute. 214 00:19:26,167 --> 00:19:29,999 Was nutzen sie? Wie gehen sie damit um? Und das ist genau das Gleiche. 215 00:19:30,000 --> 00:19:33,366 Also diese Dinge muss man den Menschen deutlich machen. 216 00:19:33,367 --> 00:19:38,332 Doch das ist, ja {lacht}, das ist nicht immer so einfach, ja … 217 00:19:38,333 --> 00:19:41,766 IV: Also, ich würde sagen, für Deutschland ist das selbstverständlich … 218 00:19:41,767 --> 00:19:42,232 YD: Ja. 219 00:19:42,233 --> 00:19:47,432 IV: Aber warum denken Sie auch, dass es für Belgien auch wichtig ist? Also für Deutschland ist es ja immer eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte … 220 00:19:47,433 --> 00:19:53,432 YD: Weil wir in Belgien zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Partei hatten, die sehr … 221 00:19:53,433 --> 00:20:01,166 faschistisch organisiert war, ähm, in bestimmten Orten 33 Prozent der Wählerstimmen erhielt. 222 00:20:01,167 --> 00:20:04,766 Auf das ganze Land bezogen 25 Prozent der Stimmen erhielt, 223 00:20:04,767 --> 00:20:14,532 und Menschen darunter waren, die sagten: Konzentrationslager, es sind dort viele Menschen gestorben, aber nicht so viele. 224 00:20:14,533 --> 00:20:19,332 Das wird schon nicht so schlimm gewesen sein. Und Gaskammern? Hm, das wird es wohl nicht gegeben haben, ja? 225 00:20:19,333 --> 00:20:23,532 Oder es geht vielleicht schon…, es geht, es ist Propaganda. Von den Amerikanern. 226 00:20:23,533 --> 00:20:27,299 Also, diese Menschen waren da drin. Und wenn man das alles weiß. 227 00:20:27,300 --> 00:20:34,732 Und man sieht das und man sieht die Plakate und man vergleicht sie mit Plakaten, die die Nazis hier verwendeten, und man vergleicht sie da… 228 00:20:34,733 --> 00:20:38,799 Es gibt dazwischen unglaublich viele Zusammenhänge und Ähnlichkeiten. 229 00:20:38,800 --> 00:20:42,766 Dann sagt man: Nein, das nicht. Dann ziehen wir in den Kampf. 230 00:20:42,767 --> 00:20:47,966 Moralisch betrachtet bin ich verpflichtet, meine Stimme zu erheben. 231 00:20:47,967 --> 00:20:54,666 Ich darf nicht schweigen. Denn wenn ich als zweite Generation schon anfange zu schweigen …, wer wird es dann eigentlich erzählen? 232 00:20:54,667 --> 00:20:58,566 Deshalb darf ich nicht schweigen und ich versuche das meinen Töchtern weiterzugeben. 233 00:20:58,567 --> 00:21:00,466 Das heißt, meine Töchter dürfen auch nicht schweigen. 234 00:21:00,467 --> 00:21:04,399 Also, wenn man solche Dinge sieht, müssen wir unsere Stimme erheben. 235 00:21:04,400 --> 00:21:10,099 Also damit haben wir uns da auch ein Stück weit hineingestürzt. Also ja … 236 00:21:10,100 --> 00:21:18,332 IV: Wie ist jetzt die Reaktion … {Fehler im Video} 237 00:21:18,333 --> 00:21:24,032 YD: Ich versuche, der Geschichte – wie soll ich sagen – ein Gesicht zu geben. 238 00:21:24,033 --> 00:21:32,099 Jemand, der noch lebt, der noch hier ist, versuche ich und ich … 239 00:21:32,100 --> 00:21:38,132 Und mit dem Theaterstück versuche ich also im Grunde, die Geschichte greifbar zu machen. 240 00:21:38,133 --> 00:21:44,666 Da ich also in ganz kurzen Stücken das Ganze erzähle, aber auch mit den Emotionen. 241 00:21:44,667 --> 00:21:47,232 Also ich spiele meinen Vater. 242 00:21:47,233 --> 00:21:58,499 Mein Vater kann nicht erzählen, aber ich spiele meinen Vater, mit allen kleinen Gesten und allen kleinen witzigen Sprüchen, die er macht, ich spiele ihn ganz. 243 00:21:58,500 --> 00:22:01,432 Leute, die mich dabei beobachten, sagen:„Ich sehe Ihren Vater. 244 00:22:01,433 --> 00:22:04,532 Es ist genau, wie wenn er erzählt.“ 245 00:22:04,533 --> 00:22:07,866 Und dadurch, dass ich auch die Emotionen zeige. 246 00:22:07,867 --> 00:22:14,532 Ich fluche beim Auftritt. Ich tobe. Ich trete. Ich, hm …, weinen, das tue ich nicht. 247 00:22:14,533 --> 00:22:20,066 Aber so …, aber man kann mir ansehen, ob es mich trifft oder nicht. 248 00:22:20,067 --> 00:22:25,099 Und weil ich das so darstelle, können sich die Menschen von der Geschichte mitreißen lassen. 249 00:22:25,100 --> 00:22:34,999 Das Buch, das ich geschrieben habe, ist auch so angelegt. Ganz aus kleinen Geschichten aufgebaut, aber sehr leicht geschrieben, sehr einfach geschrieben, so dass jeder es lesen kann. 250 00:22:35,000 --> 00:22:40,366 Es ist kein wissenschaftliches Werk, aber es ist für jeden gut verständlich und einladend. 251 00:22:40,367 --> 00:22:45,966 Und dadurch, dass es eigentlich für jeden gemacht ist, kann es auch jeder lesen. 252 00:22:45,967 --> 00:22:53,966 Und so kann jeder die Emotionen und alles, was geschieht, leicht verstehen. 253 00:22:53,967 --> 00:22:59,066 IV: Wenn Sie jetzt noch mal so zurückdenken an wie Sie groß geworden sind in Ihrer Familie … 254 00:22:59,067 --> 00:22:59,766 YD: Ja? 255 00:22:59,767 --> 00:23:09,999 IV: Was, was denken Sie? Wie weit hat diese Tatsache, dass Ihr Vater im Konzentrationslager war, zwei seiner Brüder dort verloren hat … 256 00:23:10,000 --> 00:23:10,466 YD: Ja. 257 00:23:10,467 --> 00:23:15,032 IV: Wie denken Sie, hat sich das auf Ihr Leben oder auch vielleicht das Ihrer Kinder oder der Familie ausgewirkt? 258 00:23:15,033 --> 00:23:21,666 Weil das ist ja so, es hört ja nicht auf mit dem Tag der Befreiung, sondern das zieht sich, das sehen Sie ja auch bei Ihrem Vater, durch das ganze Leben durch. 259 00:23:21,667 --> 00:23:26,499 YD: Ach, ich denke, dass das, ja, ja, ähm, er hat mir gelernt …, ja … 260 00:23:26,500 --> 00:23:31,599 Er hat mir beigebracht, hm, schon beigebracht… Er wird nie der Erste und nie der Letzte sein. 261 00:23:31,600 --> 00:23:35,199 Das ist ganz komisch. Manchmal geht es mir auch so. 262 00:23:35,200 --> 00:23:39,966 Aber es muss richtig sein. 263 00:23:39,967 --> 00:23:47,099 Jemanden hassen, können wir nicht. Er hat mich zum Beispiel nicht erzogen mit Hass gegenüber den Deutschen oder gegenüber …, nein. 264 00:23:47,100 --> 00:23:48,832 Sonst säße ich nicht hier. 265 00:23:48,833 --> 00:23:57,332 Also … Er hat mir auch beigebracht, dass du mit den Menschen ehrlich umgehen muss, dass Menschen zu wichtig sind. 266 00:23:57,333 --> 00:24:02,832 Menschen sind kein Produkt, Menschen sind nicht etwas, das man aus dem Schrank hervorholen und wieder zurücklegen kann und noch mal hervorholen und wieder zurücklegen. 267 00:24:02,833 --> 00:24:06,632 Nein, Menschen sind wichtig. Menschen muss man helfen. 268 00:24:06,633 --> 00:24:10,932 Und du weißt, dass dir im Gegenzug nicht immer geholfen werden wird. Aber du musst helfen. 269 00:24:10,933 --> 00:24:14,099 Also, hm … und das sind solche … Dinge. 270 00:24:14,100 --> 00:24:17,766 Beim Essen wird nicht gekleckert, ja? 271 00:24:17,767 --> 00:24:21,932 Also, man achtet darauf, dass, was man zubereitet, dass man das mit Liebe zubereitet. 272 00:24:21,933 --> 00:24:25,632 Dass du, wenn du Besuch empfängst, die Besucher liebevoll empfängst. 273 00:24:25,633 --> 00:24:30,866 Aber Essen wird nicht weggeworfen oder es wird nicht gedankenlos damit umgegangen, das heißt, Essen ist wichtig. 274 00:24:30,867 --> 00:24:34,799 Ja, das ist so in etwa das Erste, was mir einfällt, ja. 275 00:24:34,800 --> 00:24:41,232 Aber vor allem Menschen gegenüber: Sei ehrlich. Ein Wort ist ein Wort. Und mach es. 276 00:24:41,233 --> 00:24:46,299 Und, wenn du es nicht tun kannst, dann musst du es auch sagen. Aber wenn du dich dann für etwas einsetzt, dann muss du es auch machen. 277 00:24:46,300 --> 00:24:53,466 Und ja, das ist in etwa das "Gepäck", das mir mitgegeben wurde von meinen Eltern zu Hause. 278 00:24:53,467 --> 00:24:55,932 Nicht aufgeben, das ist auch etwas sehr Wichtiges. 279 00:24:55,933 --> 00:24:59,566 Hm, auch wenn es schwer ist, weitermachen. 280 00:24:59,567 --> 00:25:01,999 Probieren, weiter probieren. 281 00:25:02,000 --> 00:25:07,766 Und wenn es dann wirklich nicht geht, gut, dann geht es nicht. Aber nicht so in der Art: Pff, es geht nicht und beiseite schieben, nein. 282 00:25:07,767 --> 00:25:17,432 Wirklich kämpfen, kämpfen für das, was man braucht. Aber ohne dass man deshalb andere Menschen in eine Ecke stellt, ohne dass man andere benachteiligen muss, nein. 283 00:25:17,433 --> 00:25:22,799 Wenn man mit einer ganzen Gruppe etwas Wunderschönes erreichen kann, dafür sorgen, dass man es mit der ganzen Gruppe erreicht. 284 00:25:22,800 --> 00:25:28,999 Also ja, ja, ich finde, dass ich von meinem Vater ein schönes Erbe erhalten habe. 285 00:25:29,000 --> 00:25:31,266 IV: Ich finde auch, das ist doch eine gute „Bagage“. 286 00:25:31,267 --> 00:25:32,166 YD: Ja, das ist eine gute … 287 00:25:32,167 --> 00:25:33,999 IV: Keine schwere Last, sondern auch … 288 00:25:34,000 --> 00:25:36,332 YD: Ja, aber das ist, ja … 289 00:25:36,333 --> 00:25:41,666 Und hm, ja, sich trauen zu sagen, wie es steht. 290 00:25:41,667 --> 00:25:46,199 Aber auch wiederum, ohne Menschen zu verletzen. Höflich bleiben. 291 00:25:46,200 --> 00:25:51,666 Das ist, hm, ja, das ist unser, unser Vater, ja. Ja. 292 00:25:51,667 --> 00:25:53,066 IV: Es klingt gut. 293 00:25:53,067 --> 00:25:55,832 YD: Ja, das klingt gut, ja, ja {lacht}. 294 00:25:55,833 --> 00:25:57,066 IV: Gut. Dankeschön. 295 00:25:57,067 --> 00:00:00,000 YD: Kein Problem. Danke.