1 00:00:01,700 --> 00:00:18,832 KF: Meiner Meinung nach, als ich ins Konzentrationslager kam, gab es keinen Unterschied in der Behandlung der politischen und der anderen Häftlinge. 2 00:00:18,833 --> 00:00:36,266 Allerdings kann ich sagen, dass politische Häftlinge üblicherweise selten Funktionen inne hatten, die leichter das Überleben ermöglichten. 3 00:00:36,267 --> 00:01:00,132 Die Mehrheit der Funktionshäftlinge, die leichter überleben konnten, trugen grüne Winkel, was bedeutete, dass sie nicht politisch waren. 4 00:01:00,133 --> 00:01:22,632 Ich kann es so bewerten. Ob es im Lager immer so war, ist schwer zu sagen. Ich war im KZ nur 9 Monate und das gegen Ende des Krieges. 5 00:01:22,633 --> 00:01:26,132 IV: Also wussten Sie, was grüne Winkel bedeuteten? 6 00:01:26,133 --> 00:01:31,366 KF: Ja, es waren Kriminelle. 7 00:01:31,367 --> 00:02:10,932 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 8 00:02:10,933 --> 00:02:16,332 IV: Könnten Sie kurz die Episode mit dem Kurzschluss erzählen? 9 00:02:16,333 --> 00:02:31,399 KF: Vielleicht erzähle ich jetzt meine Geschichte. Sie war traurig, problematisch und gefährlich zugleich. In der Nachtschicht im Stollenbau wurde ich informiert, 10 00:02:31,400 --> 00:02:54,432 dass aufgrund einer umgestürzten Wand in einem Stollen eine komplette Stromleitung beschädigt wurde. Ich habe die Stelle begutachtet und stellte fest, 11 00:02:54,433 --> 00:03:12,766 dass tatsächlich drei Leitungen durch die umgestürzte Wand verschüttet und beschädigt wurden. 12 00:03:12,767 --> 00:03:32,266 Eins von diesen Kabeln war intakt und versorgte den Teil des Stollens mit Energie, in dem die Maschinen teilweise weiter arbeiteten. Alle anderen waren beschädigt. 13 00:03:32,267 --> 00:03:45,432 Die Entfernung zwischen der Unfallstelle und der Arbeitsstelle im vorderen Teil des Stollens war erheblich - ca. 200 bis 300 Meter. 14 00:03:45,433 --> 00:03:59,332 Es war schwierig, zu bestimmen, welches Kabel beschädigt war, zumal es mehr Zeitaufwand erforderte. 15 00:03:59,333 --> 00:04:17,066 Die Arbeiter, die vorne beschäftigt waren, wurden wegen der Arbeitsunterbrechung nervös, so dass ich mich beeilen musste und einen Fehler beging. 16 00:04:17,067 --> 00:04:40,032 Ich wollte den Schaden schnell beheben. Ohne es zu wissen, aufs Geratewohl, begann ich mit dem nächstgelegenen Kabel. 17 00:04:40,033 --> 00:04:43,766 Wollen Sie übersetzen oder soll ich weiterreden? 18 00:04:43,767 --> 00:04:44,799 IV: Weiterreden. 19 00:04:44,800 --> 00:04:58,499 KF: Das erste Kabel, das ich in die Hände nahm, war zu meinem Unglück dasjenige, das noch intakt und unbeschädigt war. 20 00:04:58,500 --> 00:05:08,532 Die Schadenbehebung beruhte darauf, das beschädigte Kabelstück auszuschneiden, 21 00:05:08,533 --> 00:05:21,866 das von dieser Wand verschüttet wurde und beide Enden wieder miteinander zu verbinden. So sollte der Schaden behoben werden. 22 00:05:21,867 --> 00:05:38,466 Leider gleich beim Ansatz, das kaputte Teil heraus zu schneiden, das unter der umgestürzten Wand lag... 23 00:05:38,467 --> 00:06:03,799 Mangels entsprechender Werkzeuge kam es beim Schneiden zum Kurzschluß. Die Sicherungen brannten sowohl im ersten Verteiler als auch im Hauptverteilkasten durch. 24 00:06:03,800 --> 00:06:21,866 Die Sicherungen im Hauptverteiler, zu dem Häftlinge keinen Zugang hatten, wurden beschädigt. Aus diesem Grund konnte ich den Schaden nicht ganz beheben. 25 00:06:21,867 --> 00:06:44,832 Inzwischen begannen die Arbeiter, Meister und Kapos, die vorne arbeiteten, zu schreien, es handle sich um einen Sabotageakt. Sie drohten mir mit einer Strafe. 26 00:06:44,833 --> 00:07:05,599 Der Schaden trat kurz vor dem Ende meiner Schicht auf. In einer halben Stunde sollte die neue Schicht beginnen, so dass der Gefahrenmoment nicht lange andauerte. 27 00:07:05,600 --> 00:07:19,266 Der Gefahrenmoment dauerte nicht lange, weil die Arbeiter oder die Kapos nicht sofort reagierten. 28 00:07:19,267 --> 00:07:37,099 Die nächste Gruppe, die nächste Schicht behob den Schaden und es war vorbei. Allerdings am nächsten Tag, als ich zur Arbeit kam, 29 00:07:37,100 --> 00:07:46,566 sprach ich mit meinem Chef über diesen Schaden. Er stellte fest, dass die Angelegenheit heikel ist und dass ich mich in Gefahr befinde. 30 00:07:46,567 --> 00:08:04,899 Ich hatte zu ihm ein gutes Verhältnis.. Es mag nicht gut klingen... Allerdings war ich mit ihm in einer solchen Beziehung, dass ich mit ihm 31 00:08:04,900 --> 00:08:14,566 offen darüber sprechen konnte, dass ich mich in Gefahr befinde und Angst um mein Leben habe. Ich fragte ihn um Rat, was ich tun soll. 32 00:08:14,567 --> 00:08:29,199 Er sagte mir, da der Krieg bald zu Ende gehen würde, dass ich mich im Lager auch wegen meiner Sprachkenntnisse so verhalten solle, 33 00:08:29,200 --> 00:08:48,766 dass ich möglichst oft das Lager wechsle. Meine Unterlagen würden erst nach mir kommen, wenn ich Hersbruck oder andere Lager hinter mir lasse. 34 00:08:48,767 --> 00:09:07,066 Sozusagen sollten die Dokumente immer mit Verspätung im Verhältnis zu mir im Lager ankommen. so kam es auch. Ich schaffte es, in ein KZ, in ein Arbeitskommando zu kommen. 35 00:09:07,067 --> 00:09:28,732 Das Kommando war in Kochendorf. Am 3. Januar kam ich nach Kochendorf und blieb dort drei Wochen lang. Aus einem Grund wurde der ganze Transport, 36 00:09:28,733 --> 00:09:41,032 der aus Hersbruck kam, als Krankentransport eingestuft und nach Flossenbürg gebracht. 37 00:09:41,033 --> 00:10:01,932 Nach ein paar Tagen Aufenthalt in Flossenbürg wurde ein neues Kommando geschaffen, das Flugzeuge montieren sollte. 38 00:10:01,933 --> 00:10:17,499 Ich wusste, dass ich das Lager wechseln sollte und so meldete ich mich als Schlosser zu diesem Kommando an. 39 00:10:17,500 --> 00:10:33,366 Dieses Kommando befand sich in Altenhammer, nicht weit von Flossenbürg und ich wurde dorthin transportiert... Transportiert ist zuviel gesagt... 40 00:10:33,367 --> 00:10:46,532 Wir mussten ja zu Fuß gehen. Auf jeden Fall war das meine neue Arbeitsstelle. Es stellte sich dabei heraus, dass es keine Flugzeuge, sondern die V-Fliegerbomben waren. 41 00:10:46,533 --> 00:11:05,566 Aber es gibt noch eine andere Sache. Ich blieb im Kommando in Kochendorf {Altenhammer?} bis zum 13. April und dann erkrankte ich an Typhus. 42 00:11:05,567 --> 00:11:20,699 Von da wurde ich nach Flossenbürg überstellt in eine Krankenbaracke. Ich war typhuskrank. 43 00:11:20,700 --> 00:11:35,532 Ich harrte dort aus bis die Amerikaner nach Flossenbürg kamen. So war dieses Problem in Hersbruck. 44 00:11:35,533 --> 00:11:54,399 Es kam im Lagerleben selten vor, dass im Fall eines Sabotageaktes, in dieser Gefahr, mit dem Leben davonzukommen. 45 00:11:54,400 --> 00:12:13,632 Hier wurde es angenommen, dass es ein Sabotageakt war. Und es kommt selten vor, dass ein Häftling nicht bestraft wird. 46 00:12:13,633 --> 00:12:25,099 Ich kenne keinen zweiten Fall. In Gesprächen wundern sich viele, dass es möglich war, das Leben auf diese Weise zu bewahren. 47 00:12:25,100 --> 00:13:38,799 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 48 00:13:38,800 --> 00:13:50,366 IV: Könnten Sie etwas über das Lager in Alternhammer erzählen? Und wie Sie an Typhus erkrankten? 49 00:13:50,367 --> 00:14:10,532 KF: Wie ich schon sagte, wurde ich in Altenhammer in der Montagefabrik für die V-Fliegerbomben eingesetzt. 50 00:14:10,533 --> 00:14:24,032 Eines Tages kam ein Abteilungsleiter von diesem Büro zu unserem Kommando in der Montagehalle, 51 00:14:24,033 --> 00:14:39,266 in der ich mit einem Deutschen eine Maschine montierte und mit ihm Deutsch sprach. Gleichzeitig pfiff ich eine Melodie. 52 00:14:39,267 --> 00:14:52,032 Ihm hat es gefallen und er fragte mich, woher ich komme, was ich von Beruf bin und als was ich in Polen gearbeitet hatte. Ich weiß nicht, warum er das fragte. 53 00:14:52,033 --> 00:15:03,766 Ich erzählte, dass ich die Technische Schule abgeschlossen habe und Techniker bin. Dank dieses Gesprächs versetzte er mich zum Bauzeichner-Büro. 54 00:15:03,767 --> 00:15:20,366 Dort bekam ich Einblick in die Dokumentation zu Produktionsmaschinen von V6-Bomben. 55 00:15:20,367 --> 00:15:39,332 Dort, ungefähr um den 20. April, zwischen dem 10. und dem 13. April, wenn ich mich recht erinnere, 56 00:15:39,333 --> 00:15:59,532 bekam ich hohes Fieber und wurde von da als Kranker nach Flossenbürg gebracht. Hier wurde Typhus diagnostiziert und ich kam in die Baracke für die Typhus-Kranken. 57 00:15:59,533 --> 00:16:49,332 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 58 00:16:49,333 --> 00:17:01,099 IV: Könnten Sie sich bitte aufsetzen. Viele fragen, ob die Lager den Körper und die Gesundheit schädigten. 59 00:17:01,100 --> 00:17:11,132 Aber viele interessieren sich auch für die Frage, wie sie den menschlichen Geist vernichteten. 60 00:17:11,133 --> 00:17:30,332 KF: Das ist eine schwierige Frage. Das ist eine schwierige Frage. Es ist schwer, auf diese Frage einfach zu antworten. Nach dem Lager wird der Mensch anders. 61 00:17:30,333 --> 00:17:48,032 Zum Beispiel: Es ist vielleicht komisch, aber ich konnte es nicht ertragen, zu Hause ein trockenes Brot wegzuwerfen. 62 00:17:48,033 --> 00:18:14,866 Nach dem Lager wird der Mensch, so scheint es mir, verschlossen und versucht, Konflikten aus dem Weg zu gehen. 63 00:18:14,867 --> 00:18:46,366 Er ist im Falle eines Konflikts aggressiv. Diese Erscheinung kann sich sowohl positiv als auch negativ auf die Umgebung auswirken. 64 00:18:46,367 --> 00:19:02,832 Ich muss sagen, dass ich einen harten Charakter habe und es ist schwer, mich zu brechen. 65 00:19:02,833 --> 00:19:17,532 Der Beweis dafür ist, dass ich trotz der Inhaftierung im KZ meine Persönlichkeit nicht verloren habe. 66 00:19:17,533 --> 00:19:30,366 Trotz der Erfahrungen schloss ich das Studium ab. Ich bin Ingenieur und Mathematiker. 67 00:19:30,367 --> 00:19:54,032 Ich widmete mich der pädagogischen Arbeit, der ich verdanke, dass ich mich dem schlechten Enfluss des KZs entzogen habe. 68 00:19:54,033 --> 00:20:03,866 Es gelang mir bis jetzt, ohne Konflikte, auch ohne Familienkonflikte zu überleben. 69 00:20:03,867 --> 00:21:05,932 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 70 00:21:05,933 --> 00:21:14,566 IV: Gab es während Ihrer monatelangen Haft im KZ Kontakte zur deutschen Zivilbevölkerung? 71 00:21:14,567 --> 00:21:21,799 Gab es Versuche von Deutschen, den Häftlinge zu helfen? 72 00:21:21,800 --> 00:21:35,499 KF: Ja, das kann ich bestätigen. Das sage ich immer wieder. Es ist so, wie in jeder Gesellschaft. 73 00:21:35,500 --> 00:21:47,832 Die Deutschen kann man positiv und negativ betrachten. Ich habe beides erlebt. 74 00:21:47,833 --> 00:21:56,132 Trotz meiner Lagererlebnisse verspüre ich keinen Hass gegenüber den Deutschen. 75 00:21:56,133 --> 00:22:08,366 Im Gegenteil: Ich denke, dass es mir gerade dank eines Deutschen gelang, zu überleben. Also ist es positiv. 76 00:22:08,367 --> 00:22:28,432 Ich muss sagen, ich komme nach Flossenbürg nicht zum ersten Mal. Ich habe hier gute Kontakte zu Menschen, denen ich begegnete. 77 00:22:28,433 --> 00:22:41,732 Ich habe nicht nur gute Kontakte zu denen, die hier in diesem Bereich tätig sind. 78 00:22:41,733 --> 00:22:56,066 Aber auch gegenüber anderen habe ich Positives erlebt und ich spüre keine Abneigung zu den Deutschen. 79 00:22:56,067 --> 00:23:12,299 Im Gegenteil: Ich könnte sogar sagen, dass ich mit gewissem Neid auf die deutsche Wirtschaft und die Ordnung schaue. 80 00:23:12,300 --> 00:23:37,166 Mit etwas Neid beobachte ich, wie sie sich von der Nazidiktatur befreiten, obwohl es nicht so leicht und einfach war. 81 00:23:37,167 --> 00:23:47,399 IV: Ich hätte noch eine Frage: Gab es konkrete Fälle von Hilfsbereitschaft von der deutschen Zivilbevölkerung, zum Beipsiel mit Lebensmitteln? 82 00:23:47,400 --> 00:24:06,632 KF: Es gab solche Fälle und es passierte sogar am Anfang in Hersbruck. Mein Chef, der die Installationsarbeiten leitete, 83 00:24:06,633 --> 00:24:27,832 brachte mir mal ein Butterbrot. Eigentlich war der Kontakt verhältnismäßig kurz. Solche Fälle gab es viele, aber es gab auch andere, negative Fälle. 84 00:24:27,833 --> 00:24:29,766 IV: Zum Beispiel welche? 85 00:24:29,767 --> 00:24:46,066 KF: Die Menschen drehten sich um. Es kam vor, dass sie in Richtung der Häftlinge etwas schrien. 86 00:24:46,067 --> 00:25:55,832 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 87 00:25:55,833 --> 00:26:01,133 MA: Gut, vielen Dank.