1 00:00:07,433 --> 00:00:10,932 IV: Erzählen Sie bitte, wann und wo Sie geboren wurden? 2 00:00:10,933 --> 00:00:20,132 CW: Ich bin am 02. November 1921 in Warschau geboren. 3 00:00:20,133 --> 00:00:22,299 IV: Wann wurden Sie verhaftet? 4 00:00:22,300 --> 00:00:37,599 CW: Eigentlich wurde ich nicht verhaftet. Während des Warschauer Aufstandes floh die gesamte Zivilbevölkerung aus ihren Häusern 5 00:00:37,600 --> 00:00:48,232 zu einem Sammelort, auf einen Grünen Markt. Von da aus brachte man uns mit den LKWs nach Pruszków bei Warschau. 6 00:00:48,233 --> 00:01:02,166 Dort in Pruszków wurden die Alten für die Arbeit in der Landwirtschaft in den umliegenden Dörfern zurückgelassen. 7 00:01:02,167 --> 00:01:09,666 Alle junge Menschen wurden in die Güterzüge verladen und in die polnische Provinz gebracht. 8 00:01:09,667 --> 00:01:20,799 Es wurde uns erzählt, wir würden zur Arbeit fahren. Tatsächlich kamen wir in Auschwitz an, diesem berüchtigten KZ. 9 00:01:20,800 --> 00:01:32,532 Wir wurden in der Schreibstube registriert, kamen in ein Häftlingsbad und uns wurden die Haare geschnitten. 10 00:01:32,533 --> 00:01:41,432 Alle Gegenstände, die wir hatten, wurden uns weggenommen. Sie trieben uns in die Baracken. Ich war in der Baracke Nr. 19 in Birkenau. 11 00:01:41,433 --> 00:01:51,399 Wir waren also in diesem berüchtigten Birkenau und jeder bekam eine Pritsche zugewiesen, an die er sich stellte, 12 00:01:51,400 --> 00:01:59,299 auf diese Weise suchte man einen Platz für sich und so wurden wir in diesen Baracken einquartiert. 13 00:01:59,300 --> 00:02:14,332 Die Baracken in Auschwitz waren lang. Die Pritschen hatten sozusagen drei Stufen: am Boden, in der Mitte und oben. 14 00:02:14,333 --> 00:02:27,232 Unten am Boden war blanke Erde, in der Mitte und oben waren Bretter. Weder auf den Brettern noch auf dem Boden gab es etwas. Gar nichts. 15 00:02:27,233 --> 00:02:39,466 Abends und in der Nacht mussten wir auf dem nackten Boden oder auf den nackten Brettern schlafen. Es gab nichts zum Zudecken. 16 00:02:39,467 --> 00:02:55,699 Alle unsere Habseligkeiten wurden uns in Auschwitz weggenommren und uns wurden Sachen zugeteilt, die wahrscheinlich von anderen Häftlingen waren, die in Auschwitz ankamen. 17 00:02:55,700 --> 00:03:08,232 Jeder konnte sich etwas zum Anziehen aussuchen, ein Kleid oder einen Rock oder so etwas. Man konnte ausschauen wie ein Mensch. 18 00:03:08,233 --> 00:03:20,132 In dieser Kleidung mussten wir schlafen, es gab nichts zum Umziehen. Nur das haben wir getragen. 19 00:03:20,133 --> 00:03:33,932 Die Bedinungen waren fürchterlich. Nachts liefen Tausende von Ratten mitten durch die Baracken. Eine Baracke hatte sozusagen eine Straße in der Mitte. 20 00:03:33,933 --> 00:03:43,899 Auf beiden Seiten waren Pritschen und der Weg ging durch die Mitte. Die Pritschen waren auf beiden Seiten und die Ratten marschierten in der Mitte. 21 00:03:43,900 --> 00:03:57,266 Sobald es Abend wurde und der Mond schien, etwa um neun oder zehn Uhr, liefen die Ratten von einem Ende der Baracke zum anderen. 22 00:03:57,267 --> 00:04:06,332 Und später suchten sie alle Pritschen nach etwas Essbarem durch. Falls jemand etwas versteckt hatte, fraßen sie es. 23 00:04:06,333 --> 00:04:19,432 IV: (???) 24 00:04:19,433 --> 00:04:27,432 CW: In Ordnung. 25 00:04:27,433 --> 00:04:35,066 IV: Wann und wie sind Sie nach Plauen gekommen? 26 00:04:35,067 --> 00:04:48,366 CW: Nach Auschwitz bin ich etwa Mitte August gekommen. Der Aufstand brach Anfang August aus. 27 00:04:48,367 --> 00:04:57,232 Wir saßen in den Kellern, die Kämpfe wurden immer härter. Wir mussten diese Keller verlassen. 28 00:04:57,233 --> 00:05:03,499 Dann gingen wir auf diesen Marktplatz, den sog. Grünen Markt. Von dort aus ging es nach Pruszków weiter. 29 00:05:03,500 --> 00:05:13,866 Von Pruszków kamen wir Mitte August nach Auschwitz. In Auschwitz blieb ich etwa fünf Wochen. 30 00:05:13,867 --> 00:05:32,099 In der zweiten Septemberhälfte aber auch sonst während der Inhaftierung in Auschwitz, kamen die Oberältesten zu uns. 31 00:05:32,100 --> 00:05:49,366 Das waren weibliche Häftlinge, die mit Soldaten und den Gestapo-Mitgliedern zusammengearbeitet haben und nach Personen suchten, 32 00:05:49,367 --> 00:05:58,399 die ihren Anforderungen entsprochen haben. Nach einem Gespräch wurden die Ausgewählten woandershin gebracht. 33 00:05:58,400 --> 00:06:15,032 Wir bekamen regelmäßig ein paar Tage lang Besuch vom Oberposten, der uns ausgefragt hat: was wir gerne tun und wo wir gerne arbeiten würden. 34 00:06:15,033 --> 00:06:23,899 Er fragte uns nach unserem Verhalten und ob wir trockene Hände haben, ob unsere Hände schwitzen. 35 00:06:23,900 --> 00:06:34,766 Einmal kam er wieder und stellte eine Gruppe aus Häftlingen unserer ganzen Baracke zusammen. Es waren etwas 80 Personen. 36 00:06:34,767 --> 00:06:44,199 Eine einzige Bedingung waren trockene Hände. Sie durften nicht schwitzen, das war wichtig für die Arbeit. 37 00:06:44,200 --> 00:06:57,866 Wir stiegen in die Güterwaggons und verließen am 20. oder 22. September Auschwitz und fuhren nach Deutschland. 38 00:06:57,867 --> 00:07:15,432 Wir kamen nach Plauen, stiegen am Bahnhof aus, und gingen vom Bahnhof in Viererreihen zu Fuß in die Fabrik. 39 00:07:15,433 --> 00:07:29,132 Es war eine Baumwollspinnerei, und im dritten Stock, in einem Teil dieser Fabrik, wurden Räume für die Frauen-Häftlinge eingerichtet. 40 00:07:29,133 --> 00:07:40,899 Unten war ein Badezimmer, wenn man es so nennen will. Man kann es Badezimmer nennen. 41 00:07:40,900 --> 00:07:50,399 Es war einfach eine lange Wanne mit Wasserhähnen, wo wir uns waschen konnten. 42 00:07:50,400 --> 00:08:02,499 Im ersten Stock standen in einem großen Saal Pritschen, zweistöckige Pritschen. Wir schliefen also unten und oben. 43 00:08:02,500 --> 00:08:11,699 Und im zweiten Stock wurde eine Fabrikabteilung eingerichtet. Es war eine Glühbirnenfabrik für die V2-Raketen. 44 00:08:11,700 --> 00:08:26,999 Für die V2-Raketen machten wir kleine Glühbirnen, die sogenannten Zwerge. Es war unser ganzes Königreich, ganzes Hab und Gut, eigentlich unser ganzes Leben. 45 00:08:27,000 --> 00:08:47,566 Wir schliefen und aßen hier. In einem Teil des Saals, in dem wir schliefen, standen auch Tische, wo wir von außerhalb Frühstück, Mittagessen und Abendbrot bekamen. 46 00:08:47,567 --> 00:09:03,666 Anfangs waren wir 80 Personen aus unserem Transport. Zwischenzeitlich kamen auch ein paar Französinnen und Italienerinnen dazu. 47 00:09:03,667 --> 00:09:18,832 Zusammen waren wir also 105 Frauen. Innerhalb von zwei, drei Tagen kam der zweite Transport mit Frauen: Russinnen und Ukrainerinnen. 48 00:09:18,833 --> 00:09:29,199 Insgesamt arbeiteten in der Fabrik in Plauen 200 Frauen. 49 00:09:29,200 --> 00:09:37,766 IV: Die Frage nach dem Transport: Wie lange hat er gedauert, unter welchen Bedingungen verlief er? Haben Sie etwas zu essen bekommen? 50 00:09:37,767 --> 00:09:44,832 CW: Der Transport verlief in Güterwaggons. Die Güterwaggons waren verschlossen. 51 00:09:44,833 --> 00:09:51,166 Wir fuhren ziemlich lange, von Warschau nach Plauen dauerte es etwa drei oder vier Tage. 52 00:09:51,167 --> 00:10:06,866 Soviel ich erkennen konnte, standen wir einen ganzen Tag und eine ganze Nacht irgendwo in Schlesien. Wahrscheinlich gab es keine Möglichkeit zur Weiterfahrt. 53 00:10:06,867 --> 00:10:14,766 Etwa drei oder vier Tage dauerte der Transport. Wir bekamen nichts zu Essen. 54 00:10:14,767 --> 00:10:26,399 An einigen Bahnhöfen, zwei- oder dreimal, noch in Polen, wurden die Türen geöffnet und Pfadfinder brachten uns Trinkwasser. 55 00:10:26,400 --> 00:10:36,699 Aber in Deutschland gab es nichts mehr. Die Waggons wurden nicht mehr aufgemacht. Als wir in Plauen ankamen und ausstiegen, 56 00:10:36,700 --> 00:10:48,666 führten sie uns gleich in die Fabrik. Wir gingen zu Fuß zu dieser Fabrik. Der Transport fand unter schwierigen Bedinungen statt. 57 00:10:48,667 --> 00:10:50,932 IV: Wie viele Menschen waren im Transport? 58 00:10:50,933 --> 00:11:00,232 CW: So viele man in die Waggons reinpferchen konnte. Ich weiß es nicht, ich kann nicht sagen, wie viele es waren. Es war eng, sehr eng. 59 00:11:00,233 --> 00:11:11,032 Wir konnten uns kaum bewegen, geschweige denn normal sitzen. Wir mussten entweder in der Hocke sitzen oder gleich stehen. 60 00:11:11,033 --> 00:11:13,766 IV: Gab es Fluchtversuche aus dem Transport? 61 00:11:13,767 --> 00:11:19,899 CW: Man konnte fliehen. Aber das war noch in Polen möglich. Aber es war keine Flucht, so konnte man es nicht nennen. 62 00:11:19,900 --> 00:11:31,766 Jedenfalls hielt der Zug auf manchen Bahnhöfen. Ich erinnere mich, es war in Tschenstochau und dann irgendwo bei Oppeln. 63 00:11:31,767 --> 00:11:38,566 Die Rot-Kreuz-Schwestern kamen zu uns und fragten, ob jemand aussteigen möchte oder ob jemand krank sei. 64 00:11:38,567 --> 00:11:45,966 Damals konnte man aussteigen und man wäre nicht mitgefahren. Aber niemandem, auch mir nicht, kam es in den Sinn, das zu tun. 65 00:11:45,967 --> 00:11:54,899 Ich dachte, es ist besser, wenn ich zum Arbeiten fahre und nicht im zerbombten Warschau bleibe, wo die Kämpfe weitergingen. 66 00:11:54,900 --> 00:12:04,532 Ich glaubte, dass ich an einen ruhigen Ort fahre, wo ich normal arbeiten und leben könnte. 67 00:12:04,533 --> 00:12:13,532 Ich habe leider die Chance verpasst. Man konnte doch damals mithilfe des Roten Kreuzes fliehen. 68 00:12:13,533 --> 00:12:24,232 Übrigens wusste niemand von uns, dass wir nach ... fahr... Aber auch noch vor Plauen, als wir von Warschau nach Auschwitz fuhren, konnte man auch fliehen. 69 00:12:24,233 --> 00:12:34,832 Mithilfe des Roten Kreuzes konnte man den Transport verlassen. Aber niemand dachte, dass unser Weg nach Auschwitz führt. 70 00:12:34,833 --> 00:12:43,966 Jeder vermutete damals, dass er zum Arbeiten fährt. Aber nach Auschwitz war es bereits klar, dass wir zum Arbeiten fahren. 71 00:12:43,967 --> 00:12:53,066 Das war kurz danach als wir fuhren. Da fragte niemand mehr, es war klar, dass unser Ziel ein Arbeitseinsatz war. 72 00:12:53,067 --> 00:13:11,899 Ich sage, der Transport dauerte drei oder vier Tage. Wir hielten an verschiedenen Bahnhöfen an und warteten lange. Der Waggon war an einen größeren Zug angeschlossen. 73 00:13:11,900 --> 00:13:21,499 Leider habe ich keine näheren Informationen zur Zusammensetzung des Transports. Wir wurden einfach in die Waggons verfrachtet. 74 00:13:21,500 --> 00:13:37,499 Wir wurden eingeschlossen und wussten nichts. Wir erhielten keine Nachrichten, niemand sah bei uns nach. Keiner fragte und sagte etwas. So sah es aus. 75 00:13:37,500 --> 00:13:43,299 IV: Wussten Sie bereits in Auschwitz, dass Sie nach Plauen gebracht werden? 76 00:13:43,300 --> 00:14:09,966 CW: Nein, nein. In Auschwitz kam am Morgen ein Posten mit einem Lagerunterführer, einem älteren Deutschen, zu uns, um geeignete Personen für diese Arbeit auszusuchen. 77 00:14:09,967 --> 00:14:15,599 Jeden Morgen gab es in Auschwitz einen Appell. Wir mussten uns vor der Baracke in Zweierreihen aufstellen. 78 00:14:15,600 --> 00:14:32,699 Die Blockälteste, die uns sozusagen betreute, ging auf und ab und zählte uns. An diesem Tag kam sie mit diesem Posten. 79 00:14:32,700 --> 00:14:44,932 Er fragte, wer trockene Hände hat, dessen Hände nicht schwitzen, soll heraustreten. Etwa 80 Personen aus dieser Baracke traten hervor. 80 00:14:44,933 --> 00:15:00,066 Ich denke, auch aus der zweiten Baracke neben uns waren welche. Wir alle wurden in Viererreihen aufgestellt, zum Bahnhof geführt und in die Güterwaggons verladen. 81 00:15:00,067 --> 00:15:06,866 Sie sagten uns, wir würden zum Arbeiten fahren. Sie sagten aber weder etwas über die Art der Arbeit noch wohin wir fuhren. 82 00:15:06,867 --> 00:15:17,732 Eigentlich erfuhr ich erst, dass wir in Plauen sind, als wir am Bahnhof ausgestiegen sind und ich den Ortsnamen Plauen gelesen habe. 83 00:15:17,733 --> 00:15:33,766 In der Fabrik angekommen, nach der ersten Orientierung, haben wir mit manchen Aufseherinnen etwas gesprochen. 84 00:15:33,767 --> 00:15:43,199 Mit einigen Aufseherinnen konnte man sprechen, andere lehnten es ab. Wir erfuhren also, dass wir in einer Baumwollspinnerei sind. 85 00:15:43,200 --> 00:15:56,032 In dieser Baumwollspinnerei errichteten die Osramwerke eine Abteilung, in der diese Glühbirnen hergestellt wurden. 86 00:15:56,033 --> 00:16:06,532 IV: Nach der Ankunft in Plauen, wie war Ihr erster Eindruck, was haben Sie gespürt als sie in dieses Lager kamen? 87 00:16:06,533 --> 00:16:12,799 CW: Ich muss sagen, dass ich eine große Erleichterung verspürt habe. Nach all diesen Bedingungen in Auschwitz, 88 00:16:12,800 --> 00:16:26,099 als wir einen sauberen Saal mit Pritschen und sauberer Bettwäsche erblickten, denn es gab auf den Pritschen Decken, Kissen und Matratzen. 89 00:16:26,100 --> 00:16:41,432 Wir sahen, dass es sauber ist, wir fühlten eine große Erleichterung und Freude, endlich normal zu leben. Und uns nicht mehr wie Tiere zu fühlen, sondern wie Menschen. 90 00:16:41,433 --> 00:16:51,199 Denn in Auschwitz waren wir keine Menschen. Wir fühlten uns wie Tiere. In Auschwitz waren schreckliche Lebensbedingungen. 91 00:16:51,200 --> 00:17:02,299 Schlafen auf blankem Boden oder auf Brettern mit vielen Ratten, andauernd die Appelle. Dreimal am Tag gab es Appelle in Auschwitz: 92 00:17:02,300 --> 00:17:08,199 Morgens, mittags und abends. Es gab keine Arbeit in Auschwitz. 93 00:17:08,200 --> 00:17:17,866 Hatte der Posten eine gute Laune, nahm er einige Häftlinge mit und sie gingen irgendwohin zu einer Allee. 94 00:17:17,867 --> 00:17:23,732 Und wir luden die Steine von einem Haufen auf den anderen. Denn die Steine waren auf Haufen gestapelt. 95 00:17:23,733 --> 00:17:28,932 Also luden wir sie von einem Haufen auf den anderen, damit wir einfach etwas zu tun hatten. 96 00:17:28,933 --> 00:17:40,132 In Auschwitz habe ich nicht gearbeitet, aber es gab Kommandos, die sogar außerhalb des Lagers tätig waren: 97 00:17:40,133 --> 00:17:47,332 auf den umliegenden Feldern oder in den Fabriken im Stadtbereich von Oświęcim oder in Fabriken innerhalb des Lagers. 98 00:17:47,333 --> 00:17:54,966 Aber das waren Kommandos mit älteren Häftlingen, wir waren nur ein junger Nachschub. 99 00:17:54,967 --> 00:18:02,966 Die gesamte Zivilbevölkerung vom Aufstand wurde nach Pruszkow gebracht. 100 00:18:02,967 --> 00:18:08,299 Alle jungen Menschen wurden in KZs deportiert, nach Auschwitz und in andere Lager. 101 00:18:08,300 --> 00:18:19,899 Ich tausche mich oft darüber mit Kollegen, Mitgliedern des Kreises der Ehemaligen KZ-Häftlinge in Flossenbürg, aus. Sie haben das Gleiche durchgemacht. 102 00:18:19,900 --> 00:18:28,632 Auch sie wurden aus dem Warschauer Aufstand mitgenommen und kamen in verschiedene Lager. Erst später wurden sie nach Flossenbürg überstellt. 103 00:18:28,633 --> 00:18:40,032 Vorher wurden sie nach Mauthausen oder irgendwo im Westen deportiert. Es waren verschiedene Lager und von dort aus kamen sie nach Flossenbürg. 104 00:18:40,033 --> 00:18:43,166 IV: Wie sah der Alltag in Plauen aus? 105 00:18:43,167 --> 00:18:54,432 CW: In Plauen? Arbeit und Schlafen. Wir arbeiteten 12 Stunden, von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends, dann kam man zurück. 106 00:18:54,433 --> 00:18:59,632 Es gab eine halbstündige Mittagspause, wir bekamen eine Schüssel Suppe. 107 00:18:59,633 --> 00:19:11,232 Als wir wieder im Lager zurück waren, bekamen wir zum Abendessen ein Stück Brot mit Margarine, selten ein Stück Mettwurst oder ein Stück Käse. 108 00:19:11,233 --> 00:19:23,832 Dann gingen wir schlafen. Vorher Waschen, dann Schlafen. Wir schliefen bis ca. 5.00 Uhr morgens. Um 6.00 Uhr mussten wir bereits am Arbeitsplatz sein. 109 00:19:23,833 --> 00:19:36,399 Eine Woche arbeitete ich in der Nachtschicht, eine andere in der Tagesschicht. Es waren abwechselnde Schichten. 110 00:19:36,400 --> 00:19:52,199 So haben wir bis Januar gearbeitet, bis es zu Lieferschwierigkeiten von Bauteilen in der Fabrik kam. Es fehlten Glaskolben für die Glühbirnen. 111 00:19:52,200 --> 00:19:59,399 Es gab Mangel an verschiedenen Bauteilen. Der Transport wurde aufgrund der Bombardierungen unterbrochen. 112 00:19:59,400 --> 00:20:14,066 Dann wurden wir in eine Kolonne formiert und mussten Bombentrichter zuschütten, vor allem am Bahnhof. 113 00:20:14,067 --> 00:20:25,232 Von Januar an gab es praktisch keine Arbeit mehr. Nur sporadisch gingen wir in die Fabrik. Es gab einfach kein Material. 114 00:20:25,233 --> 00:20:33,532 IV: Seit Ihrer Ankunft bis Ende 1944, worauf beruhte die Arbeit in diesen Osramwerken? 115 00:20:33,533 --> 00:20:44,899 CW: Ich arbeitete... Wir stellten Glühbirnen her, sehr kleine Glühbirnen, die sogenannten Zwerge. 116 00:20:44,900 --> 00:20:58,132 Es waren Glühbirnen für die V2-Raketen und der gesamte Produktionszyklus war in einem Saal eingerichtet. Er begann mit... 117 00:20:58,133 --> 00:21:13,866 Wie sieht eine Glühbirne aus: Es ist im Grunde genommen eine Glaskugel, in der Mitte sind auf einem runden Teller Elektroden befestigt. 118 00:21:13,867 --> 00:21:24,299 Diese Elektroden mussten auf diesem Teller mit dieser Glaskugel gelötet werden. Später wurde der Kugel die Luft entzogen. 119 00:21:24,300 --> 00:21:38,599 Diese Kugel musste man dann mit Gas füllen und alles mit diesem Gas versiegeln und zum Schluss noch die Metallfassung montieren. 120 00:21:38,600 --> 00:21:44,199 Die Metallfassung dreht man an dieser Stelle, wo die Glühbirne montiert sein sollte. 121 00:21:44,200 --> 00:21:55,366 Der ganze Fertigungsprozess lief in diesem Saal ab, von der Montage dieser Elektroden, an zwei langen Tischen. 122 00:21:55,367 --> 00:22:02,799 Dort saßen und arbeiteten Häftlinge. Sie montierten verschiedene Bauteile auf diesen Tellern. 123 00:22:02,800 --> 00:22:12,832 Weiter standen Schweißgeräte, die diese Teller mit Glaskugeln verschmolzen. 124 00:22:12,833 --> 00:22:22,932 Es waren selbstdrehende Automaten, an den rings herum acht bis zehn Arbeitsplätze waren. 125 00:22:22,933 --> 00:22:35,732 An diesen Arbeitsplätzen setzte man diese Glühbirnen auf und befestigte sie von unten mit diesen Tellern, oben setzte man die Glaskugel auf. 126 00:22:35,733 --> 00:22:51,632 An den Griffen waren Gasflammen, die über Kreuz diese Glaselemente erhitzten wenn sich dieser Automat drehte. 127 00:22:51,633 --> 00:22:58,732 Das überschüssige Teil dieser Kolben fiel ab und die Kolben verschmolzen mit diesem Teller. 128 00:22:58,733 --> 00:23:09,532 Ich arbeitete an einem Schweißautomat und wenn die Glühbirne bereits verschweißt war, wenn die Glühbirne schon fertig war, wurde sie weggelegt. 129 00:23:09,533 --> 00:23:21,132 Diese Glühbirnen wurden an andere Häftlinge weitergegeben, die an den Tischen arbeiteten, und an der Wand aufgehängt. 130 00:23:21,133 --> 00:23:29,032 Die Luft wurde rausgepumpt, es war sozusagen eine Pumpenwand. 131 00:23:29,033 --> 00:23:36,732 Dort wurde den Glühbirnen mit Hilfe dieser Pumpen die Luft entzogen und dann wurden sie mit Gas befüllt. 132 00:23:36,733 --> 00:23:44,466 Während der Befüllung mit Gas mussten sie 48 Stunden an diesen Wänden hängen. 133 00:23:44,467 --> 00:23:57,999 Zum Abschluss der Herstellung, es war der letzte Schritt, haben die Frauen eine Metallfassung auf die Glühbirnen aufgesetzt. 134 00:23:58,000 --> 00:24:13,166 So sah es mehr oder weniger aus. Dann wurden die Glühbirnen in Kartons verpackt und in die Lagerhalle zum Verschicken gebracht. Ich arbeitete an einem der Schweißgeräte. 135 00:24:13,167 --> 00:24:22,999 Es gab vier solche Geräte. Ich hatte einen sehr guten Meister, einen Deutschen, mit dem ich mich unterhalten konnte, 136 00:24:23,000 --> 00:24:31,399 obwohl es verboten war. Die Aufseherinnen gingen auf und ab, man durfte keine Gespräche mit Häftlingen führen. 137 00:24:31,400 --> 00:24:49,999 Alle Maschinen wurden von Deutschen bedient. Wir wurden von deutschen Frauen, Aufseherinnen, SS-Frauen beaufsichtigt. So sah es aus. 138 00:24:50,000 --> 00:24:53,899 IV: Also hatten SS-Frauen die Aufsicht über die Häftlinge? 139 00:24:53,900 --> 00:24:54,632 CW: Ja. 140 00:24:54,633 --> 00:24:56,032 IV: Gab es auch andere? 141 00:24:56,033 --> 00:25:14,266 CW: Es gab auch Wachposten. Die Oberaufseherin war auch ein Mitglied der SS. Es waren etwa acht SS-Frauen. Die Oberaufseherin, Frau Tomaske kam immer mit einem Schäferhund. 142 00:25:14,267 --> 00:25:23,499 Sie kam nie alleine, immer mit diesem Hund. Sie tauchte immer wieder nachts auf und weckte uns auf. 143 00:25:23,500 --> 00:25:26,999 IV: Das heißt, die Schlafräume und die Fabrikräume waren im gleichen Gebäude? 144 00:25:27,000 --> 00:25:31,532 CW: Ja, es war unser ganzes Leben. 145 00:25:31,533 --> 00:25:33,366 IV: Wo befanden sich die Fabrikhallen? 146 00:25:33,367 --> 00:25:45,232 CW: Sie waren einen Stock höher, im dritten Stock, über uns. Wir schliefen im ersten Stock. Der Speisesaal und der Schlafraum waren in einem Saal. Ein Teil war.. 147 00:25:45,233 --> 00:25:53,899 Da standen die Pritschen und dort wo die Tische standen, war der Speisesaal. Das Essen wurde uns von außerhalb gebracht, nichts wurde vor Ort gekocht. 148 00:25:53,900 --> 00:26:02,266 Alles brachten sie in großen, verschließbaren Kesseln. Sie sahen wie Kessel aus der Feldküche aus. 149 00:26:02,267 --> 00:26:17,466 Aus dem Teil, in dem wir auch gegessen haben, wurde in der Ecke ein Bereich für eine Krankenstube eingerichtet. 150 00:26:17,467 --> 00:26:26,599 Wenn jemand krank wurde oder Magenprobleme und Fieber hatte, wurde er hier behandelt. 151 00:26:26,600 --> 00:26:40,499 Unter uns war eine Ärztin. Sie war eine Ärztin aus Posen. Sie hat in solchen Fällen die Kranken versorgt. 152 00:26:40,500 --> 00:26:44,166 IV: Sie haben gerade erwähnt, dass Sie ein gutes Verhältnis zu einem deutschen Meister hatten. 153 00:26:44,167 --> 00:26:44,866 CW: Ja. 154 00:26:44,867 --> 00:26:50,466 IV: Gab es auch andere, menschliche Reaktionen seitens der Deutschen? 155 00:26:50,467 --> 00:27:02,666 CW: Ja, aber eher seitens der Arbeiter und nicht der Aufseherinnen. Es gab auch einen Holländer. Er arbeitete bei uns, ich weiß nicht wie er dorthin gekommen ist. 156 00:27:02,667 --> 00:27:17,266 Aber er war da. Er arbeitete als Lagerist und brachte uns immer Kartons mit den Kolben, oder wenn sonst etwas fehlte. 157 00:27:17,267 --> 00:27:31,132 Auch mit ihm konnten wir uns unterhalten. Aber sonst ist es nie vorgekommen, mit Aufseherinnen sprechen zu können. 158 00:27:31,133 --> 00:27:35,099 IV: Kann man also sagen, dass es gar keine Beziehungen zu den Deutschen gab? 159 00:27:35,100 --> 00:27:45,966 CW: Es gab keine. Keine. Außer diesem Meister, mit dem ich in, sozusagen freundschaftlicher Beziehung war. 160 00:27:45,967 --> 00:27:55,799 Nach dem Krieg habe ich ihn sogar ausfindig gemacht und wir standen lange im Briefkontakt. Er ist aber schon längst tot. 161 00:27:55,800 --> 00:28:06,966 Aber mit Anderen... gab es keinen Kontakt. Es gab eine Deutsche. Sie arbeitete auch als Meister, aber sie war sehr unsympathisch. 162 00:28:06,967 --> 00:28:13,666 Sie war mit den Aufseherinnen befreundet, daher hatten wir alle Angst vor ihr. 163 00:28:13,667 --> 00:28:28,632 Wir sprachen nie mit ihr und in ihrer Gegenwart konnten wir uns mit anderen auch nicht unterhalten. 164 00:28:28,633 --> 00:28:31,099 IV: Wie hieß der deutsche Meister? 165 00:28:31,100 --> 00:28:40,899 CW: Meiner? Reimann hieß der Holländer. 166 00:28:40,900 --> 00:28:49,899 und der Deutsche hieß Fortberg. Ein älterer Herr. 167 00:28:49,900 --> 00:28:51,599 IV: Und zu diesem hatten Sie gute Beziehungen? 168 00:28:51,600 --> 00:28:58,166 CW: Ja, es waren sozusagen freundschaftliche Beziehungen. Er war uns sehr wohl gesonnen und war gut zu uns. 169 00:28:58,167 --> 00:29:04,999 Da wir keine Informationen über den Verlauf der Front hatten 170 00:29:05,000 --> 00:29:04,599 {räuspert sich} 171 00:29:04,600 --> 00:29:13,599 und wie weit die Russen bereits vorgedrungen waren, ob die Deutschen schon aus dem polnischen Gebiet zurückgedrängt wurden. 172 00:29:13,600 --> 00:29:21,732 Wir hatten keine Informationen und er brachte uns welche mit. Er erzählte uns, was er im Radio gehört hat, wo sich die Front befindet. 173 00:29:21,733 --> 00:29:29,199 Er tröstete uns, dass der Krieg bald zu Ende gehen wird, dass die Russen immer näher kommen. 174 00:29:29,200 --> 00:29:35,399 Er hat uns mit interessanten Nachrichten versorgt. 175 00:29:35,400 --> 00:29:44,832 Sonst hatten wir keinen Kontakt, bekamen keine Briefe, nichts. 176 00:29:44,833 --> 00:29:54,232 Wenn ich noch etwas sagen kann, vielleicht interessiert es jemanden… Ich kann mich erinnern, es war Ende November. 177 00:29:54,233 --> 00:30:04,432 Als ich Glas, die Kolben aus dem Lager holen sollte, erblickte ich zwischen den Kartons eine deutsche Zeitung. 178 00:30:04,433 --> 00:30:12,332 Ich nahm sie in die Hand, setzte mich hin und begann, sie zu lesen. Bis eine Aufseherin kam und mich dabei erwischte. 179 00:30:12,333 --> 00:30:25,966 Es wurde daraus eine Affäre. Ein SS-Offizier kam sogar, ich wurde verhört. Sie drohten mir, falls ich nicht preisgebe, wer mir die Zeitung gegeben hat, 180 00:30:25,967 --> 00:30:37,966 dass ich in ein KZ deportiert und zum Tod verurteilt werde. Ich wiederholte immer wieder, dass ich sie nur gefunden habe. 181 00:30:37,967 --> 00:30:48,832 „Was ich gelesen hätte?“ Ich antwortete: nicht viel, weil ich ertappt wurde. Ich dachte mir, ich war nicht vernünftig. Ich hätte diese Zeitung einfach mitnehmen können. 182 00:30:48,833 --> 00:30:57,566 Ich war neugierig, was drin steht und wollte es gleich lesen. Ich wurde damals immer wieder verhört. 183 00:30:57,567 --> 00:31:09,232 Einige Tage lang kam dieser SS-Unteroffizier, wie er hieß, weiß ich nicht mehr. 184 00:31:09,233 --> 00:31:20,399 Jedenfalls haben sie mich stark eingeschüchtert, wenn ich nicht zugebe, von wem ich diese Zeitung bekommen habe, würde es mein Ende bedeuten. 185 00:31:20,400 --> 00:31:34,932 Ich war dort eine etwas wichtigere Person, da ich Deutsch konnte und unsere Oberaufseherin mich als Lagerälteste ausgesucht hat. 186 00:31:34,933 --> 00:31:42,832 Ich hatte die Nummer 61. Am Anfang hatten wir in der Fabrik außer der Auschwitz-Nummer auch eine andere Nummer. 187 00:31:42,833 --> 00:31:51,632 Später haben sie uns... Ich erfuhr es später, dass wir von Auschwitz nach Flossenbürg übergeben wurden. 188 00:31:51,633 --> 00:32:00,999 Dort bekamen wir neue Nummern zugewiesen. Wir waren 200 Frauen, jede von uns hatte eine laufende Nummer, von 1 bis 200. 189 00:32:01,000 --> 00:32:15,432 Meine Nummer war 61 und wenn die Oberaufseherin in die Fabrik kam, schrie sie immer gleich von der Tür „61! 61!“ 190 00:32:15,433 --> 00:32:25,466 Ich wusste, dass ich mich vor sie hinstellen musste und ich wurde ausgefragt, was los ist, wer was erzählt, ob alle zufrieden sind. 191 00:32:25,467 --> 00:32:36,099 Sie fragte, ob wir etwas brauchen. Solche Interviews führte die Frau Oberaufseherin immer mit mir. 192 00:32:36,100 --> 00:32:44,499 Und als ich damals verhört wurde, merkte ich, dass sie sehr nervös war. Aber alles ist gut ausgegangen. 193 00:32:44,500 --> 00:32:53,699 Anscheinend ging die Front schnell in den Westen weiter und sie ließen von mir ab. Ich blieb bis zum Ende. 194 00:32:53,700 --> 00:32:55,299 IV: Sie wurden also nicht bestraft? 195 00:32:55,300 --> 00:33:10,332 CW: Nein, ich wurde nicht bestraft. Es gab noch ein interessantes Ereignis. Es war Anfang November, als zwei Russinnen flohen. 196 00:33:10,333 --> 00:33:19,032 In unserem Schlafsaal konnten wir die Fenster aufmachen. Das machten wir immer abends, 197 00:33:19,033 --> 00:33:27,999 und schauten durch das Fenster auf die Kirche, die unmittelbar an der Fabrik stand. Am Kirchturm schlug die Glocke die Stunde. 198 00:33:28,000 --> 00:33:35,666 Wir betrachteten die Kirche von unserem Fenster und die Menschen, die in die Kirche gingen. 199 00:33:35,667 --> 00:33:37,099 {hustet} 200 00:33:37,100 --> 00:33:49,332 Zwei junge Russinnen drehten aus Bettlaken eine lange Schnur und rutschten darauf nach unten. Sie waren in Freiheit. 201 00:33:49,333 --> 00:34:01,699 Andere Russinnen halfen ihnen. Sie seilten sich auf dieser Schnur nach unten ab und sind geflohen. Drei Tage lang wurden sie gesucht. 202 00:34:01,700 --> 00:34:17,999 Es gab 105 Polinnen und 95 Russinnen. Alle anderen Russinnen mussten drei Tage lang, bis die zwei Flüchtlinge gefunden wurden, stillstehen. 203 00:34:18,000 --> 00:34:26,766 Sie durften sich nicht hinlegen, sie bekamen nichts zum Essen. Ihre Rationen wollte die Aufseherin uns geben, 204 00:34:26,767 --> 00:34:35,932 aber wir lehnten es ab. Sie standen da, durften sich weder hinsetzen noch hinlegen. Sie warteten. 205 00:34:35,933 --> 00:34:46,232 "Erst wenn die anderen gefasst sind, dürfen sie sich bewegen. Erst dann werden sie von der Strafe entlassen." 206 00:34:46,233 --> 00:34:56,299 Nach drei Tagen wurden sie tatsächlich ins Lager zurückgebracht. Als Strafe wurden ihnen die Kopfhaare abgeschnitten. 207 00:34:56,300 --> 00:35:03,499 Die Haare wurden rasiert. Vorher hatten sie normale Haare. Normal kann man auch nicht sagen, 208 00:35:03,500 --> 00:35:14,299 denn in Auschwitz wurden alle rasiert. Wir hatten sehr kurze Haare. Sie hatten jetzt Glatzköpfe. 209 00:35:14,300 --> 00:35:24,699 Aber auch sie wurden nicht sonderlich bestraft, sie wurden zurückgebracht und waren bis zum Schluss mit uns. Aber das war ein Ereignis. 210 00:35:24,700 --> 00:35:37,466 Aber es war ein Ereignis, selbst in unserem kleinen Lager, wo der Alltag nur aus Arbeit bestand. 211 00:35:37,467 --> 00:35:48,732 IV: Gab es Strafen für Vergehen im Lager? 212 00:35:48,733 --> 00:35:59,832 CW: Eigentlich nicht besonders. Wenn eine Beschwerde von einem Meister kam, hat die Aufseherin eine Mahlzeit gestrichen. 213 00:35:59,833 --> 00:36:10,832 Oder man musste ein paar Stunden knien. Aber es kam selten vor. Eigentlich gab es keine Strafen. 214 00:36:10,833 --> 00:36:15,566 IV: War Disziplin am Arbeitsplatz spürbar? 215 00:36:15,567 --> 00:36:27,666 CW: Ja, ja. Die ganze Gruppe war sehr diszipliniert. Es gab keinen Grund für Unzufriedenheit bei den Deutschen. 216 00:36:27,667 --> 00:36:36,499 Wir waren nicht so viele. Jede von uns saß an ihrem Platz und machte ihre Arbeit. 217 00:36:36,500 --> 00:36:43,099 Mit den deutschen Meistern durfte man nicht sprechen, untereinander auch nicht. 218 00:36:43,100 --> 00:36:57,432 Wir saßen nicht so nah beieinander, dass wir uns unterhalten konnten. Es gab keine Zeit. Man musste arbeiten. So sah es aus. 219 00:36:57,433 --> 00:37:01,332 IV: Gab es seitens der Aufseherinnen Schikanen? 220 00:37:01,333 --> 00:37:16,699 CW. Nein, nein. Sie sprachen nicht mit uns, sie saßen zusammen mit den Wachposten, denn die Posten hatten neben dem Saal, wo wir wohnten 221 00:37:16,700 --> 00:37:26,266 zwei kleine Räume, die mit Gitter getrennt waren. Die Wachposten sprachen mit uns nur durch diese kleinen Fenster. 222 00:37:26,267 --> 00:37:35,566 Die Aufseherinnen saßen und beobachteten, was im Saal vor sich geht, 223 00:37:35,567 --> 00:37:42,099 ob wir schlafen oder etwas anderes tun. Sie interessierten sich nicht sonderlich für uns. 224 00:37:42,100 --> 00:37:45,799 IV: Hat man Angst während der Arbeit gespürt? 225 00:37:45,800 --> 00:37:57,732 CW: Nein. Während der Arbeit nicht. Ich muss nachschauen, ob ich ein paar Erinnerungsberichte mitgebracht habe. 226 00:37:57,733 --> 00:38:06,166 Auch andere, die mir meine Kollegen überlassen haben. Ich habe Erinnerungsberichte ausgesucht, die Sie übersetzt haben. 227 00:38:06,167 --> 00:38:18,832 Ich hatte auch einige weniger lesbare. Die habe ich zurückgelassen. Aber jetzt habe ich sie mitgebracht. Man kann immer etwas Brauchbares finden. 228 00:38:18,833 --> 00:38:33,332 Ich gebe sie Ihnen später. Ihnen oder Jörg. Und alle anderen sind schon übresetzt? Nein? Diese, die Sie zum Übersetzen bekommen haben? Ja? 229 00:38:33,333 --> 00:38:39,266 IV: Sie erwähnten, dass Sie aufgrund Ihrer Deutschkenntnisse 230 00:38:39,267 --> 00:38:39,966 CW: Ja. 231 00:38:39,967 --> 00:38:47,532 IV: ...eine gewisse Position im Lager hatten. Welche Beziehungen hatten Sie mit den Frauen anderer Nationalitäten? 232 00:38:47,533 --> 00:38:58,132 CW. Mit anderen Frauen? Sie waren ganz normal. Nur wir zwei unter 200 konnten Deutsch sprechen. 233 00:38:58,133 --> 00:39:04,966 Eine Italienerin konnte noch etwas Deutsch, aber sonst hat niemand Deutsch gesprochen. Das heißt... 234 00:39:04,967 --> 00:39:12,666 Vielleicht kannten einige Frauen nur ein paar Wörter, zum Sprechen reichte es aber nicht. 235 00:39:12,667 --> 00:39:21,066 Nur wir zwei, ich und die Ärztin sprachen fließend Deutsch. 236 00:39:21,067 --> 00:39:31,066 Aber andere Frauen hatten zu uns ein ganz normales Verhältnis. Wenn sie etwas brauchten oder wenn sie krank waren, 237 00:39:31,067 --> 00:39:38,499 kamen sie zu mir und ich bat dann die Oberaufseherin, ein Medikament zu besorgen oder die kranke Person von der Arbeit zu entlassen. 238 00:39:38,500 --> 00:39:47,999 Ich bat sie, die Kranken von der Arbeit freizustellen, weil sie Magenschmerzen oder andere Beschwerden hatten. Auf diese Weise geschah es. 239 00:39:48,000 --> 00:39:58,399 Und die Oberaufseherin stimmte normalerweise zu, obwohl sie so unsympathisch war. Sie empfand für mich eine gewisse Schwäche. 240 00:39:58,400 --> 00:40:05,966 Alle haben Angst vor ihr gehabt, aber ich hatte keine. Wenn ich mit ihr gesprochen habe, habe ich ihr direkt in die Augen gesehen. 241 00:40:05,967 --> 00:40:12,832 Einmal sagte sie zu mir, ich hätte stechende Augen. 242 00:40:12,833 --> 00:40:15,432 IV: Das heißt in gewisser Weise spürte sie Ihnen gegenüber Respekt? 243 00:40:15,433 --> 00:40:23,332 CW: Anscheinend, anscheinend ja. Sie spürte womöglich, dass meine Augen ihr damals sagten, dass ich sie hätte umbringen können, wenn ich nur gekonnt hätte. 244 00:40:23,333 --> 00:40:24,766 {lacht} 245 00:40:24,767 --> 00:40:32,866 Diese Umstände machten die Beziehung zu den Deutschen aus. 246 00:40:32,867 --> 00:40:41,699 IV: In solchen Augenblicken, welches Verhältnis hatten Sie zu den Deutschen? Welche Gefühle hatten Sie? Gefühle von Hass? 247 00:40:41,700 --> 00:40:49,199 CW: Bestimmt das Gefühl des Zorns und des Hasses den SS-Männern gegenüber. Wir waren alle von Hass erfüllt. 248 00:40:49,200 --> 00:40:59,599 Und für andere Deutsche, die in der SS waren, empfanden wir keine Liebe, aber mit allen anderen hatten wir Mitleid, 249 00:40:59,600 --> 00:41:08,499 da sie schließlich auch unterdrückt wurden, vielleicht nicht in dem Maße wie andere Völker, aber auch sie waren sehr armselig. 250 00:41:08,500 --> 00:41:22,366 Auch sie mussten arbeiten, hatten Beschränkungen, konnten nicht alles bekommen. Lebensmittel gab es nur gegen Lebensmittelkarten. So sah es aus. 251 00:41:22,367 --> 00:41:44,732 Nach so vielen Jahren ist es schwierig, Bilanz zu ziehen, wie es damals war. Man empfindet und betrachtet vieles anders, wenn man jung ist, wenn man 20 oder 22 Jahre alt ist. 252 00:41:44,733 --> 00:41:53,766 IV: Die Frage der Nationalitäten: Hatten sie Kontakt zu Häftlingen anderer Nationalitäten und wenn ja, worauf beruhte er? 253 00:41:53,767 --> 00:42:01,066 CW: Es war etwas schwierig, denn die Russinnen konnten außer ihrer Muttersprache keine andere. 254 00:42:01,067 --> 00:42:11,766 Bei uns waren einige Frauen, die Russisch konnten und sie unterhielten sich auch mit den Russinnen. 255 00:42:11,767 --> 00:42:19,366 Wenn mehrere zusammenkamen, die entweder nicht geschlafen hatten 256 00:42:19,367 --> 00:42:25,399 an einem arbeitsfreien Tag oder an einem Sonntag, denn am Sonntag arbeiteten wir nicht, 257 00:42:25,400 --> 00:42:34,699 saßen wir mit den Russinnen in unserem Saal und sangen gemeinsam russische Lieder. 258 00:42:34,700 --> 00:42:43,966 Sie konnten sehr schön singen, sie summten etwas vor sich hin und wir schlossen uns an. 259 00:42:43,967 --> 00:42:52,366 Polinnen sangen damals bekannte Schlager, die populär waren, als wir in Gruppen gesessen haben. 260 00:42:52,367 --> 00:43:01,999 Wir sangen etwas oder erzählten uns verschiedene Geschichten. Aber eigentlich war das ein geselliges Beisammensein mit ihnen. 261 00:43:02,000 --> 00:43:09,099 Über politische Themen haben wir uns gar nicht unterhalten. Wir waren überhaupt nicht politisch interessiert. 262 00:43:09,100 --> 00:43:15,199 Niemand beschäftigte sich mit Politik. Uns interessierte nur, dass der Krieg so schnell wie möglich zu Ende geht. 263 00:43:15,200 --> 00:43:23,066 Wir wollten zurückkehren und dass niemandem Schlechtes zustößt, und unsere Familien den Krieg überleben. 264 00:43:23,067 --> 00:43:34,399 Wir wurden von ihnen getrennt. Jeder ließ seine Eltern oder ältere Frauen, die in unserer Gruppe waren, denn es waren auch ältere unter uns. 265 00:43:34,400 --> 00:43:42,299 Sie ließen ihre Kinder und Ehemänner zurück. Sie wurden mit uns weggebracht und jetzt waren sie bei uns. 266 00:43:42,300 --> 00:43:59,866 Es gab zwei Frauen aus Łódź, eine war etwa 50 Jahre alt, die andere war über 40. Sie haben die Trennung sehr schlecht verkraftet. 267 00:43:59,867 --> 00:44:08,732 Für uns junge Menschen war es nicht so schlimm. Ich würde sagen, die Jugend empfindet die Trennung von der Familie anders. 268 00:44:08,733 --> 00:44:17,499 Sie werden mir sicher zustimmen: Wenn man jung ist, geht man in die Welt hinaus. Man weiß, dass man Mutter und Familie zurücklässt, 269 00:44:17,500 --> 00:44:30,699 aber dass nichts Schlimmes passieren wird. Das sagt man nur so. Aber es war so. Jetzt sieht man das anders, wenn man alt ist. 270 00:44:30,700 --> 00:44:34,199 IV: Die Beziehungen zu anderen Nationalitäten waren also gut? 271 00:44:34,200 --> 00:44:37,499 CW: Sie waren gut. Sie waren gut. 272 00:44:37,500 --> 00:44:47,266 IV: Gab es Ausdrücke der Solidarität unter den Häftlingen, konnte man sich gegenseitig helfen? Oder war es nicht notwendig? 273 00:44:47,267 --> 00:44:59,799 CW: Nein, es war nicht nötig. Wenn eine krank war oder etwas passierte, dann gingen wir zur Oberaufseherin und baten sie um etwas. 274 00:44:59,800 --> 00:45:07,599 Aber sonst war es nicht nötig. Zum Essen gab es nicht mehr als unsere Rationen, so dass man es nicht teilen konnte. 275 00:45:07,600 --> 00:45:13,432 Lebensmittelpakete bekamen wir auch nicht, es war nicht nötig. 276 00:45:13,433 --> 00:45:22,866 Es war auch nicht möglich, eine Gegenbewegung zu organisieren, Widerstand oder Ähnliches. Wir waren einfach eine zu kleine Gruppe. 277 00:45:22,867 --> 00:45:30,732 Wir waren nur 200 Frauen, darunter zwei sich fremde Nationalitäten: Russinnen und Polinnen. 278 00:45:30,733 --> 00:45:37,432 Als die Russinnen damals nach der Flucht ihrer Kolleginnen stehen mussten, hatten wir Mitleid mit ihnen. 279 00:45:37,433 --> 00:45:46,232 Wir zeigten unsere Solidarität dadurch, dass wir ihr Essen nicht genommen haben: Weder Frühstück, noch Mittagessen, noch Abendbrot. 280 00:45:46,233 --> 00:45:52,299 Wir konnten, wenn wir gewollt hätten, es selbst essen, aber wir haben es nicht angerührt. Wir haben es nicht gegessen, alles blieb für sie stehen. 281 00:45:52,300 --> 00:46:01,666 Es war ein Ausdruck der Solidarität mit ihnen. 282 00:46:01,667 --> 00:46:13,866 Es sah einigermaßen normal aus. Es war viel besser als in Auschwitz. Ich sagte, dass das Leben in Auschwitz fürchterlich war. 283 00:46:13,867 --> 00:46:23,432 Es waren Bedingungen, unter denen man einfach nicht leben konnte. Als wir hier ankamen, waren wir glücklich, dass endlich jede ihre eigenen Pritsche hat, 284 00:46:23,433 --> 00:46:32,332 dass man einigermaßen sauberes Essen auf einem sauberen Teller bekommt. Ob es gut war? 285 00:46:32,333 --> 00:46:39,632 Niemand hat darüber nachgedacht, es war nicht so viel. Alles was wir bekamen, verschlangen wir sofort. 286 00:46:39,633 --> 00:46:49,499 Wir waren eher unterernährt, hatten Hunger. Aber es gab keine Möglichkeiten, etwas zu bekommen oder zu kaufen. 287 00:46:49,500 --> 00:46:59,099 Es musste einfach ausreichen. Am Ende, als ich das Lager verlassen hatte, wog ich knapp 30 kg. 288 00:46:59,100 --> 00:47:13,432 Alle andere Frauen ebenso. Der Mensch zehrte von seinen eigenen Vorräten. Man wurde immer dürrer und dürrer. So sah es aus. 289 00:47:13,433 --> 00:47:23,699 IV: Welches Gefühl begleitete Sie während des Aufenthaltes im Lager? Das Gefühl des Zornes, Hasses, der Angst? 290 00:47:23,700 --> 00:47:44,499 CW: Mich begleitete das Gefühl des Zornes, aber auch in gewisser Weise des Hasses gegen Menschen, die, obwohl sie ihr eigenes Land hatten, ein anderes in ihren Besitz nehmen wollten. 291 00:47:44,500 --> 00:47:56,632 Wir waren zornig, weil wir nicht normal leben konnten, weil der Krieg ausgebrochen ist. Ich habe Angst gespürt. 292 00:47:56,633 --> 00:48:05,866 Man wusste ja nicht, wie alles enden würde, ob man zurückkommt oder nicht. 293 00:48:05,867 --> 00:48:12,866 Es war schon bekannt, dass alle unsere Häuser zerstört waren. Warschau war total zerstört und wir haben keine Häuser mehr. 294 00:48:12,867 --> 00:48:21,332 Daher fürchteten wir die Rückkehr, da wir nicht wussten, wo wir wohnen und was wir machen würden. 295 00:48:21,333 --> 00:48:34,032 Ich wusste nichts über meine Familie, ob meine Eltern noch lebten. Mein Bruder wurde nach Auschwitz gebracht, später kam er in ein Lager im Westen, nach Natzweiler. 296 00:48:34,033 --> 00:48:54,166 Ich wusste nicht, wie es ihm geht. Es waren schwere Zeiten in andauernder Angst, Trauer, Apathie, weil der Krieg nicht zu Ende geht, dass er nicht aufhört. 297 00:48:54,167 --> 00:49:14,032 Wenn ich es jetzt mit dem Abstand der vergangenen Jahre betrachte, lebten wir trotzdem in der Hoffnung, dass der Moment kommen würde, in dem wir befreit werden, dass alles gut wird. 298 00:49:14,033 --> 00:49:24,699 IV: Hatten Sie während der Inhaftierung im Lager in Plauen ein besonderes Erlebnis, Eindrücke gehabt, die Sie nie vergessen werden? Vielleicht ein dramatisches Ereignis? 299 00:49:24,700 --> 00:49:33,566 CW: In erster Linie war das der Augenblick, in dem die Fabrik bombardiert wurde. Wir saßen im Schutzkeller, es wurden sehr viele Bomben abgeworfen. 300 00:49:33,567 --> 00:49:44,466 Plötzlich bemerkten wir, dass unten in der Ecke der Fabrik ein großes Loch entsteht, das größer und größer wird. 301 00:49:44,467 --> 00:49:53,332 Auf einmal stürzte die Wand ein. Wir waren in einem Zwinger eingeschlossen, als alles zu brennen anfing. 302 00:49:53,333 --> 00:49:59,199 Rings herum war Feuer und wir rannten durch dieses Feuer los nach draußen. 303 00:49:59,200 --> 00:50:08,932 Ich fasste mich am Gesicht, deckte die Augen und die Nase zu und sprang durch das Feuer. Alle anderen Frauen machten es mir nach. 304 00:50:08,933 --> 00:50:17,532 Wir sprangen in den Hof und erblickten die Fabrik in Flammen. Diesen Anblick vergesse ich nie. Ich habe es heute immer noch in Erinnerung. 305 00:50:17,533 --> 00:50:26,599 Auf einmal kamen draußen zwei Wachposten und fingen an, uns aus dem Feuer aufzusammeln. 306 00:50:26,600 --> 00:50:38,299 In einer Gruppe wurden wir später auf die Straße geführt. Alle Frauen wurden in einer Gruppe gesammelt. Wir gingen in einen Wald. 307 00:50:38,300 --> 00:50:48,699 In der Nähe der Fabrik war ein Wald und wir gingen dort hinein. Die Bombardierung fand nachts, etwa um 23.00 oder 24.00 statt. 308 00:50:48,700 --> 00:50:57,666 Bis zum nächsten Morgen saßen wir dort im Wald. Inzwischen wurde das Feuer in der Fabrik gelöscht. Am Morgen haben sie uns wieder hierher geführt. 309 00:50:57,667 --> 00:51:10,632 Morgens gingen wir wieder in den Schutzkeller, in diesen Zwinger, den sie an einer anderen Stelle einrichteten. Er war mit Draht eingezäunt und dort wurden wir eingepfercht. 310 00:51:10,633 --> 00:51:21,199 Wie lange waren wir dort? Ich glaube etwa zwei Tage. Dort saßen und schliefen wir. Man durfte nicht hinausgehen. 311 00:51:21,200 --> 00:51:33,199 Auf die Toilette wurden jeweils zwei, drei Frauen, immer von einem Wachposten begleitet. Alleine durfte man nie hinausgehen. Nach zwei Tagen… 312 00:51:33,200 --> 00:51:43,266 Aha.. Noch an diesem Tag wurde uns Mittagessen gebracht und wir gingen immer zu fünft zum Essen. 313 00:51:43,267 --> 00:51:55,299 Es war im Hof draußen. Die Fabrik war schwarz vor Ruß. Wahrscheinlich wurde der zweite Stock der Fabrik durch den Brand zerstört. 314 00:51:55,300 --> 00:52:08,666 Draußen im Hof lagen viele Ziegelsteine herum. Dort stellten sie einen Tisch auf. In Fünfer-Gruppen verließen wir den Zwinger und gingen dorthin zum Essen. 315 00:52:08,667 --> 00:52:16,166 Wir bekamen dort Mittagessen, eine Suppe, die in Kesseln gebracht wurde. 316 00:52:16,167 --> 00:52:27,366 Vier Frauen und ich haben damals beschlossen, dass wir nicht in den Zwinger zurückgehen, sondern dass wir fliehen werden. 317 00:52:27,367 --> 00:52:38,832 Am nächsten Tag, als wir zum Essen gehen sollten, sagten wir zu zwei Mithäftlingen, die gezählt haben, wie viele raus und reingehen. Fünf Frauen mussten immer zurückkommen. 318 00:52:38,833 --> 00:52:48,132 Ich sagte zu ihnen: "Wir gehen zu fünft, oder zu siebt, aber zählt uns nicht dazu, wir kommen nicht mehr zurück." 319 00:52:48,133 --> 00:53:02,932 Und tatsächlich gingen wir zum Essen, sie zählten uns nicht und nach dem Essen gingen wir nicht mehr in den Zwinger zurück, sondern weiter in den Keller. 320 00:53:02,933 --> 00:53:09,866 In diesem Keller standen Wagen mit Baumwollballen, die in der Baumwollspinnerei noch nicht verbraucht wurden. 321 00:53:09,867 --> 00:53:21,299 Wir versteckten uns in diesen Baumwollballen, die in der hintersten Ecke des Kellers standen. 322 00:53:21,300 --> 00:53:30,566 Wir saßen darin, als abends die Oberaufseherin uns mit ihrem Schäferhund gesucht hat. Wir hörten ihren Hund bellen, aber sie hat uns nicht gefunden. 323 00:53:30,567 --> 00:53:41,566 Sie suchte uns näher am Ausgang, so weit zu unserem Versteck kam sie aber nicht. Abends wurde es still, niemand war in der Nähe. 324 00:53:41,567 --> 00:53:53,166 Am Tag unserer Flucht, am Nachmittag, sammelte die Oberaufseherin die verbliebenen Frauen und machte sich mit ihnen auf den Todesmarsch. 325 00:53:53,167 --> 00:54:04,099 Sie gingen in südliche Richtung, in die Tschechoslowakei. Die Front war bereits vorgedrungen und es machte für sie anscheinend keinen Sinn, hier zu bleiben. 326 00:54:04,100 --> 00:54:12,699 Wir sind aber im Keller sitzen geblieben. Erst abends gingen wir hinaus, es war vielleicht zehn Uhr, genau wussten wir es nicht, da wir keine Uhren hatten. 327 00:54:12,700 --> 00:54:20,766 Wir sahen, es war sehr dunkel und wir gingen hinaus in den Hof. Es war so still. Niemand war da. 328 00:54:20,767 --> 00:54:31,066 Die ganze Fabrik war eingezäunt. Wir wussten nicht, wie wir da rauskommen sollten. Wir fanden ein paar Bretter, 329 00:54:31,067 --> 00:54:39,599 stützen sie an den Zaun und über diese Bretter sprangen wir nach draußen, auf die Straße. Was sollen wir weiter machen? 330 00:54:39,600 --> 00:54:48,699 Wir gingen in den Wald, in dem wir, glaube ich, zwei Tage gesessen haben. Als wir dort saßen, 331 00:54:48,700 --> 00:55:00,266 hat uns eine Deutsche entdeckt, wir waren zu fünft und sie nahm uns zu sich nach Hause. Sie hat uns etwas zum Essen gegeben. 332 00:55:00,267 --> 00:55:09,432 Dann brachte sie uns in eine Scheune, in der wir einen weiteren Tag oder anderthalb Tage verbracht haben. Später kamen Amerikaner und befreiten uns. 333 00:55:09,433 --> 00:55:18,599 So sah es aus. Ich werde es nie vergessen, diese Flucht aus der brennenden Fabrik. Bis heute habe ich es nicht vergessen. 334 00:55:18,600 --> 00:55:36,332 Was das Lager in Plauen selbst betrifft: Es waren solche Ereignisse, wie z.B. die Flucht zweier russischer Mädchen, dann die Sache mit der Zeitung. 335 00:55:36,333 --> 00:55:49,132 Dann kann ich mich noch an Weihnachten erinnern. Als Belohnung für unsere gute Arbeit brachte uns die Oberaufseherin 336 00:55:49,133 --> 00:55:57,966 ein großes Fass mit marinierten, französischen Weinbergschnecken. Ich wusste nicht, woher sie die hatte. 337 00:55:57,967 --> 00:56:07,532 Das ganze Fass wurde in unseren Saal reingetragen und jeder konnte von diesen Schnecken so viel essen, wie er wollte. 338 00:56:07,533 --> 00:56:19,566 Sie waren in einer scharfen Senfsoße eingelegt. Es war ein Weihnachtsgeschenk. Außerdem erlaubte sie uns.. Zwei Häftlinge gingen mit ihr in den Wald, 339 00:56:19,567 --> 00:56:33,899 und schnitten Tannenzweige ab und bastelten einen Weihnachtskranz. Und ich weiß nicht woher, ob sie es selber mitbrachte, ich erinnere mich nicht mehr. 340 00:56:33,900 --> 00:56:41,666 Sie brachte eine Kerze und wir steckten sie in die Mitte diesen Kranzes. Es war sozusagen unser Weihnachtsbaum. 341 00:56:41,667 --> 00:56:52,299 Wir steckten diese Kerze in den Kranz und haben dann Weihnachtslieder gesungen. 342 00:56:52,300 --> 00:56:54,266 IV: Was haben Sie während der Weihnachtszeit empfunden? Es ist doch ein Fest der Familie? 343 00:56:54,267 --> 00:57:08,566 CW: Ich habe große Trauer empfunden. Es ist schwer zu sagen. Wir waren alle sehr traurig und weinten. So ist es. 344 00:57:08,567 --> 00:57:24,066 Ich erinnere mich noch, es war Oktober. Ich hatte Ohrenschmerzen. Die Aufseherin ging mit mir zum Arzt. 345 00:57:24,067 --> 00:57:35,832 Ich kann mich erinnern, als wir das Lagergelände verließen und die Straße entlang gingen, dass das Leben ganz normal weiter ging. 346 00:57:35,833 --> 00:57:51,666 Die Menschen gingen auf der Straße, die Straßenbahnen fuhren, Geschäfte waren offen. Es hat mich damals so bedrückt, dass ich danach den ganzen Abend nur geweint habe. 347 00:57:51,667 --> 00:58:03,232 Ich konnte es nicht akzeptieren, dass das Leben draußen ganz normal vor sich geht, dass Menschen in Ruhe leben und wir hier eingesperrt sind. So wurden wir betrogen. 348 00:58:03,233 --> 00:58:10,332 Schließlich sagten sie uns, wir würden zum Arbeiten fahren. Wir wurden aber weggebracht und eingesperrt, von Menschen isoliert. Wir wussten nicht, was draußen passiert. 349 00:58:10,333 --> 00:58:24,132 Ich konnte es damals nicht akzeptieren. Aber langsam, langsam, wie man so sagt, mit der Zeit werden Wunden geheilt. Man hatte es in Erinnerung und so blieb es auch. 350 00:58:24,133 --> 00:58:31,099 So ist es. Man kann viel durchmachen. 351 00:58:31,100 --> 00:58:37,366 IV: Wie waren die sanitären Bedingungen? Gab es ein Bad, gab es eine Möglichkeit, sich zu waschen? 352 00:58:37,367 --> 00:58:45,066 CW: Wie ich schon sagte, es gab einen gemeinsamen Raum, so etwas wie ein Bad. So kann man es nennen. 353 00:58:45,067 --> 00:59:02,299 Es war so metallisch, wie eine Kuhtränke. 354 00:59:02,300 --> 00:59:15,832 Oben waren Wasserhähne befestigt. So haben wir uns gewaschen. Andere Möglichkeiten gab es nicht. Nur unter diesen Hähnen konnten wir uns waschen. 355 00:59:15,833 --> 00:59:28,899 Außerdem gab es noch eine Toilette, sie war sauber. Sie wurde immer von uns geputzt. Fürs Putzen war die jeweilige Schicht zuständig, 356 00:59:28,900 --> 00:59:38,732 die gerade frei war. Sie schauten nach, ob die Pritschen gemacht sind, ob etwas herumliegt. 357 00:59:38,733 --> 00:59:46,232 Es gab Besen, Abfalleimer. Wir hielten den Saal selbst sauber. 358 00:59:46,233 --> 00:59:59,599 Ich konnte mich nicht beklagen, im Vergleich zu Auschwitz. Auschwitz war sicherlich das schlimmste aller KZs. 359 00:59:59,600 --> 01:00:08,466 Ich höre manchmal Erzählungen von ehemaligen Häftlingen, die in anderen Lagern waren, die bestätigen, dass Auschwitz das schlimmste war. 360 01:00:08,467 --> 01:00:10,632 iV: Gab es Appelle? 361 01:00:10,633 --> 01:00:22,366 CW: Bei uns? Nur wenn die Oberaufseherin kam. In Plauen mussten wir immer aufstehen, 362 01:00:22,367 --> 01:00:28,766 wenn sie nachts kam und uns alle aufweckte. Sie kam und machte eine Art Appell. 363 01:00:28,767 --> 01:00:40,666 Alle mussten von ihren Pritschen aufstehen und sich entlang des Tisches stellen. Sie hat uns gezählt. 364 01:00:40,667 --> 01:00:53,532 Sie hat gezählt, wie viele da sind, ob jemand fehlt. Ich oder die Ärztin, die auch Deutsch sprach, mussten immer Rapport abgeben. Wir wechselten uns ab. 365 01:00:53,533 --> 01:01:05,166 Meistens war immer eine von uns da. Dadurch war die Oberaufseherin immer im Kontakt mit uns, weil sie sich mit uns verständigen konnte. 366 01:01:05,167 --> 01:01:17,299 Und wenn sie uns etwas mitteilen wollte, sagte sie es zu mir und ich gab es dann der Gruppe weiter. 367 01:01:17,300 --> 01:01:28,532 Aber ich kann mich an keine Beschwerden seitens der Deutschen erinnern. Sie waren mit unserer Arbeit zufrieden. 368 01:01:28,533 --> 01:01:30,632 IV: Es war also nur ihre Laune, mitten in der Nacht einen Appell zu machen? 369 01:01:30,633 --> 01:01:55,466 CW: So kann man es sagen. Sie kam oft und immer mit ihrem Hund. Frau Tomaske. Sie war etwas älter, ca. 50, 52 Jahre alt. Sie war sehr dick. Sie war keine angenehme Frau. 370 01:01:55,467 --> 01:02:01,466 {reibt sich die Nase} 371 01:02:01,467 --> 01:02:10,432 IV: Können Sie sich noch an ein Ereignis aus dem Lager erinnern? Ein tragisches Ereignis? 372 01:02:10,433 --> 01:02:13,699 CW: {schüttelt den Kopf} 373 01:02:13,700 --> 01:02:25,299 Nein, es ist nichts passiert. Wir lebten einfach von heute auf morgen, von heute auf morgen. 374 01:02:25,300 --> 01:02:33,532 Ich erinnere mich in Auschwitz... Als ich noch in Birkenau war, ging ein Gerücht um, dass eine Frau geflohen ist. 375 01:02:33,533 --> 01:02:45,366 Es war ein großer Aufruhr im Lager, aber es betraf uns nicht, weil sie nicht aus Birkenau, sondern aus Auschwitz geflohen ist. 376 01:02:45,367 --> 01:02:54,432 Dieses Gerücht ging durch das ganze Lager. Es war erst der Anfang der Isolierung von der Welt. 377 01:02:54,433 --> 01:03:05,966 Ich verstand damals nicht viel, konnte mich nicht anpassen. 378 01:03:05,967 --> 01:03:16,632 Jetzt sind die Erinnerungen etwas verblasst, es sind schließlich 60 Jahre vergangen. An viele Einzelheiten kann man sich nicht mehr so erinnern. 379 01:03:16,633 --> 01:03:29,132 Ich werde auf keinen Fall diese Ratten vergessen, die in Auschwitz auf und ab marschierten. Es waren Tausende von Ratten. 380 01:03:29,133 --> 01:03:32,166 {schüttelt den Kopf} 381 01:03:32,167 --> 01:03:36,866 Wenn ich daran denke, kommt der Ekel. 382 01:03:36,867 --> 01:03:47,032 IV: Vielleicht noch eine Frage...(???) Organisation des Lagers..? 383 01:03:47,033 --> 01:04:00,866 CW: Man konnte es schon spüren. Denn es gab keine Arbeit mehr, es gab keine Lieferungen von Bauteilen. Die Deutschen, die Aufseherinnen waren nervös. 384 01:04:00,867 --> 01:04:12,266 Sie waren nicht immer da. Manchmal fehlte die eine oder die andere. Warum, weiß ich nicht. Wir wussten nichts. Aber wir bemerkten eine Aufregung, dass etwas Schlimmes passieren würde. 385 01:04:12,267 --> 01:04:23,032 Es war etwas nicht in Ordnung. Alleine schon die Tatsache, dass wir nicht mehr arbeiteten. Sie wussten nicht, was sie mit uns tun sollten. Wir schütteten die Bombentrichter zu. 386 01:04:23,033 --> 01:04:28,532 Die Bombenangriffe kamen immer öfter. Wir mussten uns im Schutzkeller verstecken. 387 01:04:28,533 --> 01:04:36,632 Sobald es nachts oder am Tag einen Luftangriff gab, mussten wir sofort in den Schutzkeller, der unter der Fabrik war. 388 01:04:36,633 --> 01:04:43,566 Man konnte diese nervöse Aufregung spüren. Man bekam es mit. 389 01:04:43,567 --> 01:04:57,499 Und das war der Grund, dass wir uns gemeinsam trösteten, dass der Krieg bald zu Ende geht und eine andere Zeit beginnt. Dass wir zurückkehren und alles besser wird. 390 01:04:57,500 --> 01:05:04,866 So sah es aus. Ich muss meine Erinnerungsberichte finden, die ich in den 1970-ern geschrieben habe. 391 01:05:04,867 --> 01:05:10,899 Wenn ich sie finde, gebe ich sie Ihnen. Vielleicht gibt es da etwas Interessanteres. 392 01:05:10,900 --> 01:05:21,066 IV: Vielleicht kommen wir jetzt zur Frage zu...(???) 393 01:05:21,067 --> 01:05:22,966 CW: {reibt sich am Ohr und am Mund} 394 01:05:22,967 --> 01:05:30,466 IV: (???) 395 01:05:30,467 --> 01:05:37,332 CW: Ja, das stimmt. Die Deutsche hat uns versteckt und dann, als wir zwei Tage bei ihr waren, hat sie uns zu Essen gegeben. 396 01:05:37,333 --> 01:05:45,266 Sie gab uns eine große Schüssel mit Kartoffeln und eine zweite mit Quark. Sie stellte sie vor uns zum Essen. 397 01:05:45,267 --> 01:05:54,832 Unter uns war eine ältere Kollegin und sie sagte: "Hört mal, esst nicht so viel auf einmal, da ihr ausgehungert seid. Ihr werdet sonst krank". 398 01:05:54,833 --> 01:06:02,432 "Ihr bekommt einen Druchfall oder Ähnliches." Also versuchten wir, nicht alles auf einmal zu essen. 399 01:06:02,433 --> 01:06:12,599 Als wir dann hörten, dass die Schüsse immer näher kommen, dass die Front sich nähert, verließen wir diese Deutsche. 400 01:06:12,600 --> 01:06:22,699 Wir gingen in die Stadt und stellten uns auf der Hauptstraße auf, die vom Bahnhof zu unserer Fabrik führte. 401 01:06:22,700 --> 01:06:29,932 Wir stellten uns hin und beobachteten, wie eine Kolonne amerikanischer Panzer und Fahrzeuge kommt. 402 01:06:29,933 --> 01:06:43,299 Auf den Fahrzeugen saßen Amerikaner, sie lachten und wirkten glücklich. Wir haben ihnen zugewunken. 403 01:06:43,300 --> 01:06:56,467 Wie war es dann später? Ein Fahrzeug hielt an. Ein Amerikaner sagte zu uns: "Wir holen euch ab."