1 00:00:02,300 --> 00:00:06,832 MA: (???) ihn einfach fragen, dass er etwas über seine Familie erzählt, woher er kommt. 2 00:00:06,833 --> 00:00:07,299 IV: Aha. 3 00:00:07,300 --> 00:00:11,632 MA: Über seine Herkunft und wie es dann passierte, dass er die Ukraine verlassen musste. 4 00:00:11,633 --> 00:00:12,099 IV: Aha. 5 00:00:12,100 --> 00:00:23,032 IV: Erzählen Sie bitte etwas über Ihre Familie, wo Sie geboren wurden und aufgewachsen sind. Wie gelangten Sie nach Deutschland? 6 00:00:23,033 --> 00:00:39,432 OL: Ich bin am 20. Februar geboren. Mein Familienname ist Ljutyj. Februar heißt auf Ukrainisch "ljutyj". Ich bin 1925 geboren. 7 00:00:39,433 --> 00:00:53,799 Damals war das der Oblast Tschernigowskaja und 1939 entstand aus mehreren Regionen: Tschernigowskaja, Poltawskaja und Charkowskaja Oblast ein neuer, der Sumskaja Oblast. 8 00:00:53,800 --> 00:01:11,866 Somit bin ich im Sumskaja Oblast geboren. Als der Krieg ausgebrochen war, war ich gerade 16 Jahre alt. Meine Großeltern und Eltern waren immer in der Landwirtschaft beschäftigt. 9 00:01:11,867 --> 00:01:30,466 1942 wurde ich am Anfang noch freiwillig rekrutiert. Und wie haben es die Deutschen gemacht? Bei uns in Konotop wurde eine Zeitung herausgegeben. 10 00:01:30,467 --> 00:01:46,799 Dort gab es eine Überschrift: "Willst du in ein wunderschönes Land, nach Großdeutschland? Entweder für ein halbes oder ganzes Jahr. Sie haben Listen aufgenommen und haben es angepriesen. 11 00:01:46,800 --> 00:02:01,866 Es gab welche, die dem Ruf folgten und gefahren sind. Dann war die Erstrekrutierung, zunächst freiwillig, dann unter Zwang. Wer eine große Familie hatte, war als erster dran. Wir waren zu dritt. 12 00:02:01,867 --> 00:02:21,099 Wir waren zu viert. Ein Bruder, 1917 geboren, war an der Front. Dann waren meine Schwester, geb. 1923, ich 1925 und mein kleiner Bruder 1927. Ich war mit 16 Jahren genau so groß wie jetzt: 165 cm. 13 00:02:21,100 --> 00:02:38,532 Die größeren Familien waren als erste an der Reihe. Ich wurde auch genommen. Ich hatte eine Freundin, die drei kleinere Brüder hatte. Sie kam auch nach Deutschland. 14 00:02:38,533 --> 00:02:57,732 Zuerst kam ich nach Friedrichshafen, wo ich in der Zahnradfabrik arbeitete. Da ich seit der Kindheit Leistenbruch hatte, dachte ich, dass ich krankheitsbedingt zurückgebracht werde. 15 00:02:57,733 --> 00:03:09,866 Ich kam in ein Krankenhaus nach Mergentheim und der Arzt diagnostizierte keinen Leistenbruch. Ich musste zu einem Bauern. 16 00:03:09,867 --> 00:03:19,432 Der Bauer hieß Leonhard Kraft, im Kreis Mergentheim, Dorf Wolfsbuch. 17 00:03:19,433 --> 00:03:36,466 Ich war damals schon 17 Jahre alt und mir kam die dumme Idee in den Kopf zu flüchten. Ich dachte daran tagein tagaus. Ich war mutig, aber mit wenig Verstand. 18 00:03:36,467 --> 00:03:59,866 Am 10. Oktober 1942 bin ich geflüchtet. Und am 13.10. hat man uns im Gefängnis in Nürnberg erwartet. Zwei bis drei Tage bekamen wir nichts zu Essen. Und dann kam die Überstellung in ein Straflager. 19 00:03:59,867 --> 00:04:15,766 Worin bestand die Idee vom Lager? Der Hauptfolterer war ein Iwan Soldatenko aus der Browarskij Rajon Kiewskaja Oblast. Die Deutschen vermochten es, sich Idioten auszusuchen. 20 00:04:15,767 --> 00:04:25,632 Es ist vielleicht eine Gabe, unter Hunderten von Leuten mit einem Finger auf den zu zeigen, der zu idiotischen Sachen fähig ist. 21 00:04:25,633 --> 00:04:30,732 IV: Warten Sie mal, bitte. Ich übersetze. Er hat ein bisschen über seine Familie erzählt.. 22 00:04:30,733 --> 00:04:31,332 IV: (???)... Sie waren? 23 00:04:31,333 --> 00:04:31,499 OL: Eine Strafe. 24 00:04:31,500 --> 00:04:37,699 IV: Was haben Sie dort gemacht? Wie wurden Sie ernährt? Wie lange mussten Sie arbeiten. Erzählen Sie bitte alles, woran Sie sich erinnern. 25 00:04:37,700 --> 00:04:51,366 OL: Zum ersten haben wir gar nicht gearbeitet. Es gab eine Ordnung: Fünf Stunden täglich Exerzieren, Mißhandlungen. Ich bin vor Schülern aufgetreten, es gab da eine Frage... 26 00:04:51,367 --> 00:05:03,966 Die Schüler stellten viele Fragen, was Exerzieren heißt. Sie haben fünf Stunden am Tag gefoltert. Und ich erzählte, dass es einen Idioten, Iwan Soldatenko, einen von uns, gab. 27 00:05:03,967 --> 00:05:20,866 Er hatte einen sowjetischen Gürtel und saß vor der Baracke. Wir rannten aus der Baracke raus. Dann mussten wir wie Frösche springen oder in der Hocke gehen. 28 00:05:20,867 --> 00:05:37,066 Wir mussten springen oder am Boden in der Hocke gehen. Auf den Befehl "Hinlegen!" mussten wir sofort auf den Boden fallen. Wer der letzte war, konnte abgeholt und umgebracht werden. 29 00:05:37,067 --> 00:05:54,666 Oder sie stellten zwei Reihen von Häftlingen gegenüber und befahlen, uns gegenseitig zu schlagen. Die Deutschen waren einfallsreich. Ich war dort drei Wochen. 30 00:05:54,667 --> 00:06:07,466 Zwei Mal in der Woche haben wir nichts zum Essen bekommen, sonst ein Stück Brot, ca. 100 oder 150 Gramm. Es waren zwei Tage und dann dieses Exerzieren 5 Stunden am Tag. 31 00:06:07,467 --> 00:06:10,699 IV: In diesem Lager bei Nürnberg war er drei Wochen.. 32 00:06:10,700 --> 00:06:11,766 MA: Aha. 33 00:06:11,767 --> 00:06:21,932 OL: Es war ein Metallgitter {lächelt} - es gab keine Bettwäsche, nichts. Nach drei Wochen kam ich nach Flossenbürg. 34 00:06:21,933 --> 00:06:34,266 Ich habe Handschellen angelegt bekommen. Die Fenster in diesen Waggons haben sie mit den Handschellen verriegelt. 35 00:06:34,267 --> 00:06:35,432 IV: Aha. 36 00:06:35,433 --> 00:06:38,266 OL: Sie haben die Türen verriegelt und ich wurde hierher gebracht. 37 00:06:38,267 --> 00:06:45,632 IV: Nach drei Wochen wurde er nach Flossenbürg geschleppt mit also mit.. 38 00:06:45,633 --> 00:06:46,566 IV2: Handschellen. 39 00:06:46,567 --> 00:06:51,799 Also mit Handschellen. Also, zwei Leute zusammen mit Handschellen. 40 00:06:51,800 --> 00:07:09,532 OL: Ich kam hierher. Ich kann mich an Tschechen auf dem Transport erinnern. Sie sprachen Russisch mit Akzent. Auf die Frage, wohin wir fahren, antworteten sie: ins KZ. Ich wusste nicht, was das heißt. 41 00:07:09,533 --> 00:07:25,732 Wir wurden hierher gebracht und dort stand ein schwarzer Granitfelsen mit goldfarbener Inschrift: "Schutzlager Flossenbürg". 42 00:07:25,733 --> 00:07:41,132 Wir kamen hierher und ich zeigte bereits, wo wir uns ganz nackt ausziehen mussten. Dann kamen zwei Uniformierte rein und das Leben hier begann. 43 00:07:41,133 --> 00:07:46,266 IV: Mit ihm zusammen waren auch die Tschechen. Er hatte damals keine Ahnung, was KZ bedeutet. 44 00:07:46,267 --> 00:07:46,599 MA: Aha. 45 00:07:46,600 --> 00:07:48,532 IV: Und dann.. 46 00:07:48,533 --> 00:08:01,099 IV: Können Sie sich etwas genauer an das Leben in Flossenbürg erinnern? Was mussten Sie machen, was mussten Sie arbeiten? Welche Bedinungen gab es hier? Wie was das Essen? 47 00:08:01,100 --> 00:08:02,032 OL: {Atmet tief durch}. 48 00:08:02,033 --> 00:08:04,066 IV: Woran können Sie sich erinnern? 49 00:08:04,067 --> 00:08:23,966 OL: Ich kann mich gut an alles erinnern. Zum ersten war es kalt. Dann war da die deutsche Ordnung: "Bett machen!" Betten hatten Strohmatratzen. 50 00:08:23,967 --> 00:08:42,532 Wir wurden morgens hinausgejagt. In der Baracke war es dunkel und wir froren bis zum Appellbeginn vor der Baracke. Dann begann der Appell und danach die Arbeit im Steinbruch. 51 00:08:42,533 --> 00:08:54,199 Ich arbeitete in Steinbruch 3. Es war die Hölle. Es war eine richtige Hölle. 52 00:08:54,200 --> 00:09:00,432 IV: Er hat gerade gesagt, es war eine Hölle. Er hat im Steinbruch gearbeitet. Steinbruch Nummer 3. 53 00:09:00,433 --> 00:09:03,499 MA: Aha. 54 00:09:03,500 --> 00:09:12,432 IV: Ah.. Er war in einem.. erzählen Sie konkret zu Ihrem Einsatz im Steinbruch - was haben Sie und Ihre Mithäftlinge gemacht? 55 00:09:12,433 --> 00:09:32,066 OL: Neben mir waren Steinmetze. Es gab dort eine Baracke. Übrigens im ganzen Steinbruch war nur ein einziger SS-Mann. Und das einzige, was er tat, war, sobald die Sonne aufging: "Mantel aus und auf"! 56 00:09:32,067 --> 00:09:49,732 Die Häftlingsnummer sollte immer sichtbar sein. Wir waren den ganzen Tag von morgens bis abends ausgezogen. Wir waren bis zu den Knochen durchgefroren, bevor wir im Steinbruch ankamen. 57 00:09:49,733 --> 00:10:04,966 Und dann froren wir den ganzen Tag. Am schlimmsten waren die deutschen Häftlinge. Ich habe dem SS-Mann gesagt... Er war der einzige, der nicht mißhandelt hat. Er tat nichts. 58 00:10:04,967 --> 00:10:17,899 Lediglich sagte er: "Mantel ausziehen!" Anscheinend war das die Regel. Die Sonne ging auf und es hieß: "Ausziehen." Und die deutschen Häftlinge, die Kapos, haben sich aufgeführt, als wären wir ihre Feinde. 59 00:10:17,900 --> 00:10:34,766 Sie benahmen sich wie die Führer und taten so, als hätten wir ihnen etwas angetan. Sie mißhandelten uns nach Laune. Ich finde, sie waren wie wild gewordene Menschen. Es war angesagt, zu schlagen. 60 00:10:34,767 --> 00:10:50,866 Ich war eingesetzt beim Steinschneiden und Steinabbau. Es gab viel Ausschuss. Ich hatte eine schlimme Arbeit: Ich musste die Steine bis zum Hang tragen und sie hinunterwerfen. 61 00:10:50,867 --> 00:11:03,666 Wir gingen den ganzen Tag hin und her. Wir froren und wärmten uns so auf. {lächelt}. Aber es war egal. Vom Essen war nicht die Rede. Es gab keins. 62 00:11:03,667 --> 00:11:17,532 IV: Wie sah das Leben in der Baracke aus? Wie viele Menschen haben auf einer Pritsche geschlafen? Womit deckten Sie sich zu? Was haben Sie gegessen? Wie oft? 63 00:11:17,533 --> 00:11:23,099 Was passierte mit einem Häftling bei einer Erkrankung oder Verletzung? 64 00:11:23,100 --> 00:11:38,432 OL: Es gab ein Krankenrevier und der Arzt hieß Max. Am 3. März 1943 kam ein Transport mit 700 Häftlingen und dieser Arzt, Max, kam mit. Der Kommandant und der Arzt kamen mit uns. 65 00:11:38,433 --> 00:11:49,966 Zum Essen... Nicht jeder hielt es aus. Die Schüler fragten mich immer, wie ich es ausgehalten habe. 66 00:11:49,967 --> 00:12:05,366 Und ich erinnerte mich, als ich in einem Krankenhaus lag, dass der Arzt sagte, es gäbe unterschiedliche Menschen. Verschiedene Charaktere und unterschiedliche Organismen. 67 00:12:05,367 --> 00:12:20,466 Auch die Todesgründe waren unterschiedlich. Einer überlebte, der andere ging früher... Ein schlanker, nur mit Haut und Knochen, überlebte. Und ein Stärkerer dem Aussehen nach, starb. 68 00:12:20,467 --> 00:12:37,666 Sie starben einfach weg. Die Häftlinge wurden gehetzt, fielen um und wurden aufgesammelt. Ich erinnere mich an die Steine, die wir wegbrachten. Dort gab es eine Steinmetzbaracke. 69 00:12:37,667 --> 00:12:49,532 Der Stein fiel auf meinen Fuß und ich musste für drei Wochen ins Krankenrevier. 70 00:12:49,533 --> 00:12:54,899 IV: Er hat gerade gesagt, er war schon drei Wochen im Krankenrevier. 71 00:12:54,900 --> 00:13:09,899 IV: Häufig gab es Schaubestrafungen. Haben Sie so etwas gesehen oder wurden Sie selbst auf diese Weise bestraft? 72 00:13:09,900 --> 00:13:14,366 Wie sah es aus? Könnten Sie darüber erzählen? Wie wurden Häftlinge bestraft? 73 00:13:14,367 --> 00:13:32,199 OL: Sie haben es nicht gesehen? Ich habe Zeichnungen gemacht, wie es geht: "25 am Arsch!" Ich sah es und zeichnete es. Es gab einen Fall, da wo die Küche ist. 74 00:13:32,200 --> 00:13:48,532 Vor die Küche wurde ein Tisch hinausgetragen. Ein Pole versteckte sich im Steinbruch und fehlte beim Abendappell. Es fehlte dieser Einzige im ganzen Lager. 75 00:13:48,533 --> 00:14:04,132 Die Ordung war so, dass man vor den Baracken den Stand zählen musste. Zehn Menschen wurden auf die Suche losgeschickt. Wieder gefunden, haben sie ihn vorgeführt und auf den Tisch gelegt. 76 00:14:04,133 --> 00:14:20,032 Haben Sie die Zeichnung nicht gesehen? Ich habe unzählige Zeichnungen in drei verschiedenen Größen gemacht. 77 00:14:20,033 --> 00:14:45,166 Der Pole bekam 75 Schläge. Zwei starke Häftlinge haben ihn gefoltert. Ich hörte nichts, vielleicht stand ich zu weit weg. Der Platz war wie hier, vor der Küche stand ein Tisch und wir alle standen hier. 78 00:14:45,167 --> 00:15:01,766 IV: Er hat gerade gesagt, als Bestrafung waren normalerweise 25 Schläge also am Arsch, hat er gesagt. Und er hat schon auch miterlebt, ein Pole hat sich versteckt irgendwo im Steinbruch.. 79 00:15:01,767 --> 00:15:12,232 OL: Ich wusste von einem Krematorium. Es wurde mir erzählt, dass die deutschen Häftlinge die Toten in zwei Handtüchern wegtrugen. 80 00:15:12,233 --> 00:15:22,899 Das eine war hier {zeigt auf den Hals}, und das andere an den Füßen. So wurden die Toten getragen. 81 00:15:22,900 --> 00:15:37,466 Wir haben hier weniger unter den SS-Männern gelitten, als unter den wild gewordenen deutschen Häftlingen. Es war angesagt, zu mißhandeln, pausenlos. 82 00:15:37,467 --> 00:15:54,566 Ich wog 48 kg und man hat mich beneidet. Es war aber noch nichts. Anscheinend bin ich robust. Ich erzählte schon, wie ich überlebte. Aber andere starben unterschiedlich. 83 00:15:54,567 --> 00:16:09,866 Ich kann mich an die Skelette erinnern, die dort lagen. Es gab einen Josef, an seinen Namen kann ich mich nicht erinnern. Er wurde gehängt. Und hier war der Kommandant. 84 00:16:09,867 --> 00:16:16,666 IV: Er hat gerade gesagt, dass er alles das überlebt hat, weil.. 85 00:16:16,667 --> 00:16:23,566 IV: Sagen Sie uns bitte, wie lange waren Sie in diesem Lager inhaftiert und warum hat man Sie in ein anderes Lager überstellt? 86 00:16:23,567 --> 00:16:38,766 OL: Ich war hier ungefähr vier Monate. Ich wurde am 13. Oktober 1942 festgenommen, verbrachte einige Tage im Gefängnis umd kam schließlich für drei Wochen in ein Straflager. 87 00:16:38,767 --> 00:16:46,066 Am 3. März 1943 kam ich hierher. 88 00:16:46,067 --> 00:16:59,866 Hier kam ich in eine Hölle. Es war schrecklich: Schlechtes Essen, tierisches Regime, Sklavenarbeit, Kälte. Am schlimmsten war die Kälte. Es war schrecklich. 89 00:16:59,867 --> 00:17:16,466 In meiner Erinnerung blieben beide Sachen: Die Kälte und die Deutschen wie die Tiere. Sie schlugen bei jedem Schritt ohne Grund zu. Im Steinbruch erinnerte es mich an einen Kampf. 90 00:17:16,467 --> 00:17:29,566 Ich sah ab und zu, wie die Schlagstöcke hin und her flogen. Es waren nicht die SS-Männer, sondern die Kapos. Das habe ich schon erzählt. 91 00:17:29,567 --> 00:17:39,799 IV: Also, seine stärkste Erinnerung ist die Kälte hier in Flossenbürg. Das war Winter, also von Oktober bis März ungefähr. 92 00:17:39,800 --> 00:17:43,766 IV: Sie wurden in einem Transport weggebracht. 93 00:17:43,767 --> 00:17:59,066 OL: Es waren 700 Häftlinge. Der Lagerführer war wie ein Tier. Es war so. Sie formierten uns zu zehnt vor den Baracken. Er ging die Reihen ab und schaute uns in die Augen. 94 00:17:59,067 --> 00:18:12,532 Der Dolmetscher war, glaube ich, ein Einwanderer. Er hat akzentfrei Russisch gesprochen. Der Kommandant ging vorbei und schaute alle an. Was er damit erreichen wollte, weiß ich bis jetzt nicht. 95 00:18:12,533 --> 00:18:25,999 Und der Dolmetscher sagte: "Schaut in die Augen, sonst bekommt ihr Schläge!" Alles mit System. Das Lager war aufgestellt und der Kommandant ging persönlich durch. Zack. Zack. 96 00:18:26,000 --> 00:18:38,366 Ich war sicher, dass sie mich nehmen würden. Es waren insgesamt 700 Menschen. Wie gesagt, wog ich nur 48 kg. Ich habe ein breites Gesicht. Ich war sicher, dass sie mich nehmen. 97 00:18:38,367 --> 00:18:40,732 Er zeigte mit dem Finger und Marsch! 98 00:18:40,733 --> 00:18:45,832 IV: Haben Sie nur die Gesunden genommen, die noch arbeiten konnten? 99 00:18:45,833 --> 00:18:56,899 OL: Ja! Es war der Lagerführer persönlich. Er ging und zeigte mit dem Finger: Zack. Hinter ihm gingen die Häftlingsschreiber. Sie schrieben die Nummern auf. 100 00:18:56,900 --> 00:19:02,232 IV: Also, er hat gerade gesagt, Lagerführer selbst hat ungefähr 700.. 101 00:19:02,233 --> 00:19:10,499 IV: Mussten Sie Ihre Kleidung abgeben oder haben Sie eine andere Nummer bekommen? Wie war das? 102 00:19:10,500 --> 00:19:26,866 OL: Nein. Wir haben nichts abgegeben und wir haben uns nicht umgezogen. Sie haben uns auf die LKWs geschickt. Der Kommandant warnte uns, bei einem Fluchtversuch werden 200 erschossen. 103 00:19:26,867 --> 00:19:41,432 Ich habe gesehen, dass er mit dem Kommandanten von Allach zu tun hatte. Dort habe ich schon eine Nummer bekommen - 753. 104 00:19:41,433 --> 00:19:48,599 Ich versuche immer wieder {lächelt}, mich an deutsche Wörter zu erinnern, um keine Fehler zu machen. Diese übersetze ich ins Russische. 105 00:19:48,600 --> 00:19:58,299 IV: Also, sie haben keine Kleidung abgegeben. Er hat... Wir haben Sie sich dort gefühlt und wie wurden Sie befreit? 106 00:19:58,300 --> 00:20:20,466 OL: Ich hatte Glück. Zuerst war die Arbeit hart, aber dann war ich in einem BMW-Werk. Dort gab es eine Luftschraubenwellenmaschine. Es waren Wellen, die man in den Propellern einbaute. 107 00:20:20,467 --> 00:20:33,899 Wir hatten Schleifhandgeräte, mit denen wir die Ecken abgerundet haben. {zieht die Nase hoch} 108 00:20:33,900 --> 00:20:54,166 Es war dort warm und nicht so kalt wie in dieser Hölle. Das Essen war gleich. Die Arbeitsstelle war einen Kilometer vom Lager entfernt. Der Arbeitsweg nach Allach verlief entlang einem Drahtzaun. 109 00:20:54,167 --> 00:21:13,399 So habe ich bis zum 26. April 1945 gearbeitet. Für ein halbes Jahr wurden wir nach Kaufbeuren überstellt. Die ganze Abteilung. 110 00:21:13,400 --> 00:21:25,299 Es gab dort viele verschiedene Handwerker bei BMW. Entweder ein Kommando oder die Abteilung wurde nach Kaufbeuren überstellt. Dort haben wir gearbeitet. 111 00:21:25,300 --> 00:21:32,166 IV: Er hat gerade erzählt, so in Allach hat er Glück gehabt. Er hat. Was war es hier in Flossenbürg? 112 00:21:32,167 --> 00:21:47,932 OL: Immer und immer wieder froren wir hier. Es war sehr kalt und es gab ein tierisches Regime. Es war eine Sklavenarbeit, die Steine zu schleppen. Sie schauten zu, ob wir arbeiteten. 113 00:21:47,933 --> 00:22:04,799 Ich erzählte Ihnen, dass Kapos sich aufführten, als wären wir Verbrecher. Sie haben sich an uns gerächt. SS-Männer haben wir nicht gesehen. Aber diese Tiere mit den grünen Winkeln. 114 00:22:04,800 --> 00:22:11,466 IV Er har gerade gesagt, alles war schlimm. Also, die Kälte das war am schlimmsten, aber.. 115 00:22:11,467 --> 00:22:15,166 OL: Fünf Stunden am Tag wurden wir gefoltert. 116 00:22:15,167 --> 00:22:25,366 IV Ja. Und in diesem Straflager in Nürnberg das war auch schlimm. Also, sie wurden fünf Stunden am Tag geschlagen, geschlagen, geschlagen. 117 00:22:25,367 --> 00:22:26,099 MA: Aha. 118 00:22:26,100 --> 00:22:35,766 IV: Wie behandelten sich die Häftlinge untereinander? Wie waren die Beziehungen untereinander? 119 00:22:35,767 --> 00:22:44,766 Können Sie sich an irgendwelche Ereignisse erinnern? Haben sich die Häftlinge gegenseitig geholfen, um zu überleben? 120 00:22:44,767 --> 00:22:45,632 OL: Nein. 121 00:22:45,633 --> 00:22:46,432 IV: Erzählen Sie bitte. 122 00:22:46,433 --> 00:22:58,232 OL: Ihre Fragen lassen vermuten, dass Sie sich dieses Leben nicht vorstellen können. Zum ersten: wir haben nicht gesprochen. Keiner kannte meinen Namen. Wir waren ja keine Menschen. 123 00:22:58,233 --> 00:23:13,532 Und unterhalten? Wir haben uns nicht unterhalten. Von der Arbeit gekommen, standen wir vor der Baracke. In den Jackentaschen hatten wir nur Staub. Sonst keine anderen Dinge. 124 00:23:13,533 --> 00:23:26,732 Wir hatten nichts, um den Anderen helfen zu können. Es war eine Schufterei. Sie können sich dieses Leben nicht vorstellen. Vom Helfen war keine Rede, womit denn? 125 00:23:26,733 --> 00:23:45,532 IV: Ist es vorgekommen, dass andere Häftlinge einen anderen verraten haben, um selber zu überleben? Es gab doch Fälle von Diebstahl von Essennsrationen.. 126 00:23:45,533 --> 00:23:46,366 OL: Also.. 127 00:23:46,367 --> 00:23:48,166 IV: Haben Sie es gesehen? 128 00:23:48,167 --> 00:24:06,532 OL: Nein. Wissen Sie. Ich habe eine Kopie vom ehemaligen Lagerführer von Allach. Es gab Fälle von Diebstählen: Es wurde Brot und Kleidung geklaut. 129 00:24:06,533 --> 00:24:24,599 Es gab kaum Brot. Wenn man welches bekommen hat, hat man es sofort gegessen. Somit stimmt das nicht. Und Kleidung zu entwenden war nicht möglich, wie denn? Es gab doch Nummern darauf. 130 00:24:24,600 --> 00:24:29,399 Es gab keine Diebstähle. Es gab nichts zum Klauen. 131 00:24:29,400 --> 00:24:48,132 IV: Er hat gerade gesagt, sie haben also miteinander sehr wenig gesprochen, also fast kein Wort. Sie haben ganze Zeit gearbeitet und gearbeitet und sie haben keine irgendwelche Beziehungen, also.. 132 00:24:48,133 --> 00:24:49,466 MA: Keine Freundschaft. 133 00:24:49,467 --> 00:24:51,466 IV: Keine Freundschaft. Nichts. 134 00:24:51,467 --> 00:24:51,499 MA: Nichts. 135 00:24:51,500 --> 00:25:02,999 IV: Also. Und es gab nichts nichts zu.. ? Gab es Situationen, dass Häftlinge sich gegenseitig geholfen haben? 136 00:25:03,000 --> 00:25:24,499 OL: Nein, wir hatten nichts zum Helfen. Wir waren ja halbtot. Es gab nichts. Auch hatten wir keine Ratschläge. Sie können sich das Leben, diese Schinderei nicht vorstellen. Man war kein Mensch. 137 00:25:24,500 --> 00:25:41,532 Ich habe mit niemandem gesprochen. Wir standen schweigend in der Baracke. Und ich war der Kastenträger und schleppte jeden Morgen die Kessel mit dem Essen hierher. 138 00:25:41,533 --> 00:25:55,232 Und ich gehe und sehe, wie alle ihre Pritschen richten. Ich gehe an der Wand. Und da steht ein Deutscher und schlägt mich mit einem Holzklotz, weil ich ihn störe. Ich gehe an ihm vorbei. 139 00:25:55,233 --> 00:26:09,866 Die Deutschen haben es genossen, andere Häftlinge zu mißhandeln. Es gab keine Hilfe oder Unterstützung. 140 00:26:09,867 --> 00:26:10,999 IV: Er hat nicht gesehen, dass.. 141 00:26:11,000 --> 00:26:12,132 OL. Ein Mal. 142 00:26:12,133 --> 00:26:21,132 IV: Das erste Mal. Was fühlen Sie denn? Überkommen Sie irgendwelche Erinnerungen? Erzählen Sie von Ihren Eindrücken. Was empfinden Sie, wenn Sie hierher kommen? 143 00:26:21,133 --> 00:26:33,166 OL: Ich bin nach Deutschland gekommen und ich fühle gar nicht, dass ich im Ausland, in einem anderen Land bin. Ich empfinde es als wunderbar. 144 00:26:33,167 --> 00:26:48,699 Ein Genosse und ich haben erfahren, was Kommunismus heißt. Wir bauten ihn. Er sagte, wir schritten zum Kommunismus und kamen dort nie an. Jetzt haben wie eine Krise und wir können nicht heraus. 145 00:26:48,700 --> 00:27:06,399 Aber hier ist es wunderbar. Ich dachte, wenn ich komme und erzähle vom Erlebten, wird mir niemand glauben. Zum Beispiel beim Frühstück: Du kannst nehmen, was und wieviel du willst. 146 00:27:06,400 --> 00:27:16,166 Wir haben Scherze gemacht, dass wir in Flossenbürg und in den KZs nicht genug zum Essen bekamen, dass sie gefoltert haben. Und hier war es umgekehrt. 147 00:27:16,167 --> 00:27:18,299 IV: Welche Erinnerungen überkommen Sie? 148 00:27:18,300 --> 00:27:22,099 OL: In den vier Monaten Flossenbürg habe ich mich einmal satt gegessen. 149 00:27:22,100 --> 00:27:34,132 Und wie war es im Krankenrevier? Ich lag dort und es kamen einige aus dem Lebensmittellager. 150 00:27:34,133 --> 00:27:49,599 Ich spreche ein bisschen Deutsch: "Vier Monate, aber ein Mal genug Essen." Er sagte: "Heute." Er hatte einen grünen Winkel aber hat einen guten Eindruck gemacht. 151 00:27:49,600 --> 00:27:58,299 Ich habe in ihm kein Tier gesehen. Was haben Sie noch gefragt? 152 00:27:58,300 --> 00:28:03,666 IV: Was empfinden Sie, welche Erinnerungen kommen auf, als Sie das Lager gesehen haben? 153 00:28:03,667 --> 00:28:23,266 OL: Ich erzählte bereits, dass ich oft weine, wenn ich mich daran erinnere. {schluchzt}. Und jetzt auch die Deutschen. Ich sitze hier und erzähle, woran ich mich erinnere. 154 00:28:23,267 --> 00:28:37,399 Im BMW-Werk gab es Fließbandarbeit. Es gab einen Drechslerstand, Schleifstand, Fräse und die letzte Station war unsere. 155 00:28:37,400 --> 00:28:46,199 Kein einziger Deutscher war schlecht zu uns. Es gab keinen einzigen Fall. {zieht die Nase} 156 00:28:46,200 --> 00:29:04,432 Am 29. April wurden wir freigelassen. Wir gingen bis zur Stadt Penzberg, etwa einen Kilometer und wir wurden frei gelassen. Es wurde die weiße Flagge gehißt. 157 00:29:04,433 --> 00:29:13,166 Wir näherten uns einem kleinen Haus.. {Sirene heult auf}. 158 00:29:13,167 --> 00:29:16,199 OL: Was bedeutet das? 159 00:29:16,200 --> 00:29:17,032 MA: (???) 160 00:29:17,033 --> 00:29:23,799 IV: Eine spezielle Probesirene. 161 00:29:23,800 --> 00:29:51,699 OL: Ich habe es überlebt, aber fast wäre ich gestorben. Ich eilte vorwärts. Wir wurden freigelassen. Ich bin dem Tod entgegengelaufen. 162 00:29:51,700 --> 00:30:13,232 Als ich aus dem Wald rauskam, traf ich einen Mithäftling, aus Leningrad. So dass.. 163 00:30:13,233 --> 00:30:28,832 Drei Tage lang haben wir gar nichts gegessen. Wir konnten nicht laufen. Und dann kam dieser Wanja. Da gab es einen Wald mit jungen Bäumen. Vielleicht waren die Tannen 20 oder 30 Jahre alt. 164 00:30:28,833 --> 00:30:42,232 Er sagte: "Aljoscha, lass uns in den Wald gehen!" Wahrscheinlich hat er uns nicht bemerkt. Am nächsten Morgen haben wir zwei Tote gesehen, auch hinter uns. Wie viele hat er erschossen? 165 00:30:42,233 --> 00:30:55,599 Ich habe bei BMW gearbeitet. Es gab keine Fälle, dass ein zivilier deutscher Arbeiter schlecht zu uns Häftlingen war. Im Gegenteil: Sie waren gut zu uns. 166 00:30:55,600 --> 00:31:15,399 Bei uns gab es einen Holzer, Hartmann. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich in Dachau Weintrauben gegessen. Hartmann brachte sie und reichte mir welche. Er war sehr freundlich. 167 00:31:15,400 --> 00:31:26,232 Er konnte nicht helfen, aber er war gut zu mir. Und ein anderer, auch ein Deutscher, ich weiß es nicht... Er hat 10 oder 15 Menschen erschossen. 168 00:31:26,233 --> 00:31:33,066 Aber du lebst doch, warum hast du sie umgebracht? Du weißt ja nicht, wer sie waren und warum hast du so viele erschossen? 169 00:31:33,067 --> 00:31:39,167 IV: Also, er ist..