1 00:00:00,633 --> 00:00:12,132 Der Blockälteste war ein großer Gegner Polens, des polnischen Volkes. Ich möchte über ein Ereignis erzählen, das für mich sehr tragisch war. 2 00:00:12,133 --> 00:00:23,099 Es war vielleicht ein Mittwoch. Als Jugendliche haben wir einmal in der Woche, außer unserer normalen Ration, eine Scheibe Brot 3 00:00:23,100 --> 00:00:32,499 und einen "Kaffee", sogenannte Zulage, also ein zusätzliches Stück Brot bekommen. 4 00:00:32,500 --> 00:00:42,799 Aus einer Schüssel bekam ich ein normales Stück Brot und versehentlich gab man mir ein zweites, größeres Stück. 5 00:00:42,800 --> 00:00:52,399 Ich habe es genommen und ehrlich gesagt, ich hätte es nicht nehmen sollen. Ich erzähle, wie es wirklich war. Ich habe es genommen. 6 00:00:52,400 --> 00:01:04,099 Hören Sie bitte, der Hunger löst solche Reaktionen aus, deren man sich nicht bewusst ist. Ich kann nicht sagen, dass ich es gestohlen habe. Wenn sie geben, dann nehme ich. 7 00:01:04,100 --> 00:01:17,132 Das dachte ich mir später. Hinter mir ging ein ungarischer Jude. Er sagte ihnen, dass ich nicht die Ration bekommen habe, die ich bekommen sollte. 8 00:01:17,133 --> 00:01:26,399 Sie zerrten mich in eine Ecke, dort war ein großer Saal, man nannte es Tagesraum oder so ähnlich. 9 00:01:26,400 --> 00:01:35,466 Die Zimmerdienste, Ukrainer und Russen, haben mich brutal geschlagen. Alles war zerstört. 10 00:01:35,467 --> 00:01:46,032 Sie warfen mich in die Ecke und befahlen, zu warten, bis die Essensausgabe für das Abendbrot zu Ende war. 11 00:01:46,033 --> 00:01:56,399 Der Blockälteste kam und fragte, was vor sich geht. Ich musste mich mit zusammengebundenen Händen auf einen speziellen Hocker legen. 12 00:01:56,400 --> 00:02:15,466 Der Stuhl hatte ein dickes Stuhlbein. Ich ließ meine Hose herunter und musste die Schläge persönlich mitzählen. Ich weiß nicht, bis wie viel sie gezählt haben. 13 00:02:15,467 --> 00:02:23,899 Meine Kameraden erzählten mir später, dass ich nur bis zwanzig gezählt habe, aber sie haben weiter gezählt. ich dachte, es ist mein Ende. 14 00:02:23,900 --> 00:02:38,432 Ich war halb bei Bewußtsein und es kam ein SS-Mann in die Baracke, in die Schreibstube, wie es genannt wurde. 15 00:02:38,433 --> 00:02:46,499 Ich kann mich an ihn erinnern: er war sehr groß. Er fragte mich, was los ist und was vor sich geht. 16 00:02:46,500 --> 00:02:55,399 Er lächelte nur und es kamen wieder Schläge, ohne zu zählen. Ich bin ohnmächtig geworden. 17 00:02:55,400 --> 00:03:13,766 Die Kameraden aus der Baracke trugen mich fast bewußtlos auf die Pritsche. Ich habe nichts gegessen, da ich mißhandelt worden bin. 18 00:03:13,767 --> 00:03:29,999 Irgendwie habe ich diese Nacht überlebt. In der Nähe war mein Freund, Janek Jakubowski, der in meiner Einheit in Warschau war. Er kümmerte sich um mich. 19 00:03:30,000 --> 00:03:42,166 Am nächsten Tag war der Appell, zu dem ich wegen der Schmerzen nicht aufstehen konnte. Wenn ich geblieben wäre, hätten sich mich zu Tode gefoltert und ich hätte nicht überlebt. 20 00:03:42,167 --> 00:03:52,232 Ich weiß nicht wie, aber meine Kameraden führten mich aus der Baracke auf den Appellplatz und dann in die Fabrik zur Arbeit. 21 00:03:52,233 --> 00:04:02,632 Den ersten Tag und den zweiten hielt ich irgendwie aus. Ich hatte schreckliche Schmerzen und litt unendlich. 22 00:04:02,633 --> 00:04:12,766 ich sagte mir, dass ich sterben will, ich wollte mich selbst töten. Der Zaun hinter der Baracke war unter Strom und nicht weit. 23 00:04:12,767 --> 00:04:35,366 Ich wollte mir das Leben nehmen. Aber irgendwas, irgendeine Kraft rettete mich, ich vermute, es war der katholische Glaube, dass ich weiterleben muss. 24 00:04:35,367 --> 00:04:49,832 Ich habe noch nicht über den Alltag erzählt, was ich jeden Tag gemacht habe. 25 00:04:49,833 --> 00:05:04,632 Ich war jung und habe mich immer mit kaltem Wasser gewaschen. Es hat mich körperlich in gewisser Weise stark gemacht. 26 00:05:04,633 --> 00:05:18,899 Wir hatten keine Handtücher, lediglich ein Hemd, mit dem wir uns abgetrocknet haben. Ich muss auch noch eine zweite Sache erzählen. 27 00:05:18,900 --> 00:05:28,766 Die zweite Sache betrifft meinen psychischen, geistigen Zustand, obwohl man darüber nicht spricht. Es war sehr wichtig für mich. 28 00:05:28,767 --> 00:05:39,599 Ich habe sehr viel gebetet, ich betete Rosenkranz. Ich weiß nicht, ob Sie wissen, was Rosenkranz bedeutet. 29 00:05:39,600 --> 00:05:49,866 Als Rosenkranzkugeln waren bei mir 10 Finger. Nach all den Jahren würde ich behaupten, dass diese Haltung von mir 30 00:05:49,867 --> 00:05:59,699 diese Haltung hat mir Kraft gegeben, das zu überleben. 31 00:05:59,700 --> 00:06:12,999 Ich betone, der Mensch war schon ein Sklave, ohne Namen, ohne Familiennamen. Er ist nur noch eine Nummer. Ich erinnere mich daran. 32 00:06:13,000 --> 00:06:20,366 Es war ein Sonntag, am Sonntag und an Feiertagen haben wir nicht gearbeitet. Ich fragte mich, ob ich geboren wurde, um ein Sklave zu sein? 33 00:06:20,367 --> 00:06:27,966 Diese Frage stellte ich mir. Aber ich antwortete, nein, so ist es nicht. Du bist ein Mensch und es wird sich alles ändern. 34 00:06:27,967 --> 00:06:37,466 Ich kann mich nicht erinnern, aber es gab Gerüchte, vielleicht von diesem Österreicher. 35 00:06:37,467 --> 00:06:48,332 Es wurde gemunkelt, dass die Deutschen bereits dabei sind, den Krieg zu verlieren. Es war für mich eine Aufmunterung, weiterzukämpfen. 36 00:06:48,333 --> 00:06:59,699 Die übergeordnete Sache in unserem Alltag war, zu überleben, darum zu kämpfen und nicht aufzugeben. 37 00:06:59,700 --> 00:07:07,566 Einmal fand ich hier in der Nähe ein Stück Brot im Sand. Heute habe ich auf die Stelle geschaut. 38 00:07:07,567 --> 00:07:15,366 Ich habe es sauber gemacht und gegessen und war überglücklich. Es war wieder so ein Ereignis. 39 00:07:15,367 --> 00:07:30,399 Ich möchte auch über einen anderen Fall berichten. Das gab es, aber darüber hat man nicht viel erzählt. 40 00:07:30,400 --> 00:07:39,532 Unter unseren Kollegen haben wir nach dem Krieg darüber diskutiert, ob man für eine Zigarette eine Nacht durchschlafen kann. Es war eine abstrakte Frage. 41 00:07:39,533 --> 00:07:49,799 Wir wussten nicht, worum es geht. Aber es war eben so. Wir wurden immer wieder nach Läusen kontrolliert. 42 00:07:49,800 --> 00:08:02,299 Jeder von uns hatte Läuse. Jeder hatte sie. Aber wenn sie gesehen wurden, mussten wir die Hose runterlassen, die Nummer wurde vom ukrainischen Zimmerdienst aufgeschrieben. 43 00:08:02,300 --> 00:08:09,866 Danach führten sie uns in die sogenannte "Banja", wie wir es aus dem Russischen nannten. Heute ist dort eine Ausstellung. 44 00:08:09,867 --> 00:08:20,632 Zurück zur Zigarette: Es gab Bestechungen. Ich verbrachte zwei Nächte in diesem Raum. Das erzähle ich gleich. 45 00:08:20,633 --> 00:08:32,132 Es war ein Albtraum. Der Kapo war ein Tscheche. Wenn man dem Zimmerdienst eine Zigarette gab, dann wurde man aus der Liste gestrichen. 46 00:08:32,133 --> 00:08:39,932 Man musste nicht mehr in das Bad, in die Entlausung gehen. Es war wieder ein Erlebnis im Leben. 47 00:08:39,933 --> 00:08:51,332 Für einen durchschnittlichen Menschen ist es wenig bekannt und überhaupt bezweifle ich, ob er daran glauben würde. Aber so war es. 48 00:08:51,333 --> 00:09:03,199 Wie sah es im Häftlingsbad aus? Man musste sich nackt ausziehen, die Häftlingskleidung abnehmen mit der oben sichtbaren Häftlingsnummer. 49 00:09:03,200 --> 00:09:12,466 Die Schuhe in der Mitte, die Hosenbeine und Ärmel mussten wir zusammen schnüren. Danach ging alles in die Desinfektion, in dieses Bad. 50 00:09:12,467 --> 00:09:25,566 Seitlich gab es einen Eingang in dieses Bad. Das Wasser wurde aufgedreht, dort gab es Fliesen. 51 00:09:25,567 --> 00:09:38,999 Es gab sogar Holzgitter. Abwechselnd wurde kaltes und warmes Wasser aufgedreht. Es ging noch einigermaßen. Aber hören Sie jetzt zu. 52 00:09:39,000 --> 00:09:51,699 Es ist Winter, im Bad ist ein Dampf, die Fenster offen und wir standen nass und nackt da. Es waren nicht nur fünf Minuten. Es hat lange gedauert. 53 00:09:51,700 --> 00:10:02,799 Wir warteten, bis wir nach und nach unsere Kleidung wieder bekommen haben. Da gab es wieder etwas. 54 00:10:02,800 --> 00:10:09,499 Derjenige, der am Anfang seine Kleidung bekommen hat, konnte sich noch auf diesen Holzboden legen, nicht auf die nassen Fliesen. 55 00:10:09,500 --> 00:10:19,199 Die Übrigen legten sich auf die nassen Fliesen dieses Bades. Es war eine Tragödie. 56 00:10:19,200 --> 00:10:33,666 Es war 05.00 Uhr morgens, in der Nacht haben wir nicht geschlafen, ich war nass, kalt, erfroren. Wir gingen in die Baracke und dann auf den Appellplatz und in die Fabrik. 57 00:10:33,667 --> 00:10:43,199 Es war nicht einfach, solch eine Nacht zu überleben. Ich selbst habe zwei Mal so eine Nacht durchgestanden. Später erkaufte ich mir die Befreiung von der Entlausung durch die Zigaretten. 58 00:10:43,200 --> 00:10:53,999 Die Folge aus diesen Ereignissen war, dass ich mit Tuberkulose und einem Loch in der Lunge nach Polen zurückkehrte. 59 00:10:54,000 --> 00:10:57,399 IV: Was musste man machen, um an die Zigaretten zu kommen? 60 00:10:57,400 --> 00:10:58,366 RD: Wie bitte? 61 00:10:58,367 --> 00:10:59,932 IV: Was musste man machen, um an die Zigaretten zu kommen? 62 00:10:59,933 --> 00:11:12,799 RD: Es gab Zuteilungen. Manchmal bekamen wir die sogenannte Prim, oder Zigarettenpapier. Es war ein bisschen wertvoll. 63 00:11:12,800 --> 00:11:20,132 Ich weiß nicht, ob das jemand schon erzählt hat. Hier neben der Küche gibt es eine Treppe, die heute zu den Häusern führt. 64 00:11:20,133 --> 00:11:28,432 Sie war breiter und dort war ein Platz, wir nannten es Basar. Wir gingen dorthin und tauschten, was möglich war. 65 00:11:28,433 --> 00:11:40,399 Es gab im Lager ein Wort: "Etwas organisieren", das bedeutete, etwas gegen etwas anderes zu tauschen. 66 00:11:40,400 --> 00:11:51,132 Man hat immer etwas organisiert. In diesem Zusammenhang erinnere ich mich noch an einen Vorfall. 67 00:11:51,133 --> 00:11:58,299 Ich erinnere mich nicht wie, aber ich habe eine Scheibe Brot zusätzlich zur Ration organisiert, ob es gegen Zigaretten war oder etwas anderes, ich weiß es nicht mehr. 68 00:11:58,300 --> 00:12:05,032 Ich erinnere mich nicht, aber ich hatte dieses Brot. Ich war überglücklich und dachte mir, ich hebe dieses Stück Brot für morgen Früh auf. 69 00:12:05,033 --> 00:12:12,866 In der Früh wache ich auf. Anstatt einem Kissen hatten wir unsere Kleidung. 70 00:12:12,867 --> 00:12:20,899 Unsere Kleidung haben wir zusammengewickelt und benutzten es als Kopfkissen. Alles war aufgeschnürt und das Brot war weg. 71 00:12:20,900 --> 00:12:31,032 Hören Sie, was für eine Erfahrung es für einen Menschen ist: Es gibt keine Worte, um dies zu beschreiben. 72 00:12:31,033 --> 00:12:42,799 Es war eine große Enttäuschung, dass dir jemand etwas gestohlen hatte. Wie erlebt man das als Mensch? Es war so eine Erfahrung für mich. 73 00:12:42,800 --> 00:12:50,699 Ich erinnere mich noch an etwas. Ich weiß nicht, ob jemand darüber schon erzählt hatte. Kaum jemand hat es gewusst. 74 00:12:50,700 --> 00:13:10,966 Kurz vor der Evakuierung am 23. April, wurden weiße Fahnen gehisst. Am gleichen oder am nächsten Tag ergriffen die Deutschen die Flucht. 75 00:13:10,967 --> 00:13:19,566 Wir hörten bereits Artilleriegeschosse, die Front näherte sich. Am zweiten Tag ist die Front doch stehengeblieben. 76 00:13:19,567 --> 00:13:31,332 Sie zog in eine andere Richtung. Die Deutschen kehrten zurück. Es war damals eine sehr wichtige Sache, aber an diesem Tag gab es keine Evakuierung. 77 00:13:31,333 --> 00:13:43,099 Sie holten uns aus der Jugendlichen-Baracke und führten uns irgendwohin. Ich wusste nicht, wohin. Wir mussten Spaten und die Tragen mitnehmen. 78 00:13:43,100 --> 00:13:51,232 Wir nannten sie Holztragen. Sie führten uns nach links, wo kleine Gartenparzellen waren. 79 00:13:51,233 --> 00:13:56,232 Dort war ein kleiner Garten, ein großer Garten, wo etwas angebaut wurde. 80 00:13:56,233 --> 00:14:01,099 Es war auf der linken Seite, wo heute dieser kleine Kiosk steht. Ich versuche jetzt, das zu rekonstruieren. 81 00:14:01,100 --> 00:14:13,966 Sie befahlen uns, zu graben. Wieder waren wir verwirrt, was sie mit uns vorhatten. Wir haben uns aber schnell beruhigt, denn es stellte sich heraus, 82 00:14:13,967 --> 00:14:22,732 dass wir nur ganz flach graben sollten, einen Spaten nach dem anderen. Wir haben acht Holzkisten geborgen. 83 00:14:22,733 --> 00:14:31,766 Sie waren ungefähr einen halben Meter auf eineinhalb Meter groß. Ich erinnere mich wie heute, es waren acht Kisten. Einer von den Kameraden, das war nicht ich, 84 00:14:31,767 --> 00:14:41,366 einer hat den Deckel angehoben und es rutschte eine dicke Uhrkette heraus. Ich erinnere mich daran. 85 00:14:41,367 --> 00:14:50,599 All diese Wertsachen, die wir zur Aufbewahrung abgegeben hatten, waren in diesen Kisten deponiert. 86 00:14:50,600 --> 00:15:01,732 Sie befahlen uns anschließend, die Kisten in dieses gemauerte Gebäude zu tragen. Danach gaben sie uns jeweils ein Stück Brot. Es war auch unvorstellbar. 87 00:15:01,733 --> 00:15:10,066 Ich erzähle noch über ein Ereignis, worüber man berichten muss. Auch hier zeigte sich die menschliche Herzlichkeit. 88 00:15:10,067 --> 00:15:20,566 Ich bin am 6. Oktober geboren. Bei den Deutschen gibt es keinen Namenstag, sondern Geburtstag, ja? 89 00:15:20,567 --> 00:15:27,099 Die älteren Häftlinge sagten mir: "Geh' zur Schreibstube und sag', dass du heute Geburtstag hast. Dann bekommst du eine Schüssel Suppe". 90 00:15:27,100 --> 00:15:36,432 Ich war untentschlossen, denn ich wusste nicht, ob ich gehen soll oder nicht. Aber ich ging hin und sagte meine Nummer. 91 00:15:36,433 --> 00:15:46,499 Ich sagte, dass ich heute Geburtstag habe und tatsächlich habe ich einen Liter Suppe bekommen. Es war tatsächlich so. 92 00:15:46,500 --> 00:15:47,966 IV: Wer hat diese Kisten genommen? 93 00:15:47,967 --> 00:15:56,532 RD: Die deutschen Soldaten haben die Kisten genommen. Wir haben sie nur in dieses Gebäude, das heute noch steht, hingetragen. 94 00:15:56,533 --> 00:16:03,699 Wir haben sie weggetragen und gingen dann in unsere Baracke zurück. Was mit den Kisten weiter geschah, weiß ich nicht. 95 00:16:03,700 --> 00:16:13,832 Es war aber so. Es ist ein Fakt. Der Tag der Evakuierung kam immer näher. 96 00:16:13,833 --> 00:16:25,266 IV: Vielleicht könnten Sie noch kurz über die Verhältnisse zwischen den Häftlingen erzählen? Wie war die Situation, gab es Solidarität zwischen den Häftlingen? 97 00:16:25,267 --> 00:16:38,999 RD: Wenn Sie das fragen, dann muss ich sagen, dass dort verschiedene Nationalitäten waren. 98 00:16:39,000 --> 00:16:49,866 Dort waren Slowaken, Polen, Ungarn und Tschechen, ansonsten noch Italiener. Es gab unterschiedliche Nationalitäten. 99 00:16:49,867 --> 00:17:01,399 ich erinnere mich, dass ich eine Freundschaft mit meinem Kameraden pflegte. Wir haben immer zusammengehalten. 100 00:17:01,400 --> 00:17:10,266 Wir waren beide in der Abteilung 2 und haben versucht, uns gegenseitig zu helfen, um zu überleben. 101 00:17:10,267 --> 00:17:22,132 Das heißt, es gab ruhige Tage und keine nationalen Feindschaften. 102 00:17:22,133 --> 00:17:30,832 Wenn es zu irgendwelchen Auseinandersetzungen kam, dann war es immer zwischenmenschlich, zwischen zwei Personen. 103 00:17:30,833 --> 00:17:41,699 Ich habe mir eine Wollmütze organisiert. Hier war alles offen und wir haben in der Fabrik in Holzclogs gearbeitet. 104 00:17:41,700 --> 00:17:48,432 Wir mussten in den Holzschuhen auch durch den Schnee marschieren, es war so schrecklich. Ich besorgte mir eine Mütze. 105 00:17:48,433 --> 00:17:59,166 Ich habe mit einem Ukrainer gesprochen. Wir standen und warteten auf den Appell. Wir standen zwischen den Pritschen, auf der Pritsche lag meine Mütze. 106 00:17:59,167 --> 00:18:10,799 Ich beugte mich und streckte und bemerkte, dass die Mütze weg war. Ist sie weggeflogen? Ich fragte: "Wo ist sie hin?" Und er antwortete: "Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht." 107 00:18:10,800 --> 00:18:19,166 Ich kann über mich nicht sagen, dass ich nicht aggressiv bin. Das bin ich schon. 108 00:18:19,167 --> 00:18:31,466 Ich packte ihn am Kragen und warf ihn gegen die Pritsche. Er schaffte es, sich unter meiner Decke zu verstecken. 109 00:18:31,467 --> 00:18:40,566 Solche Ereignisse kamen immer wieder vor. Aber es gab keine größeren Konflikte unter den Häftlingen. 110 00:18:40,567 --> 00:18:52,832 Wir hatten einen Überlebenswillen, jeder schaute nur, dass er überlebt. Ich nenne hier wieder ein Beispiel meines Kameraden. 111 00:18:52,833 --> 00:19:01,666 Mein Freund Janek Jakubowski hatte Familie in Kórnik bei Posen. Am längsten haben die Tschechen Pakete bekommen. 112 00:19:01,667 --> 00:19:09,099 Mein Kamerad Janek war sehr schlank. Er war deprimiert und man kann behaupten, dass er mir sein Leben verdankt. 113 00:19:09,100 --> 00:19:17,799 Er erzählte mir, dass er Familie in Kórnik hatte. Ich habe erfahren, dass, wenn man einen Brief schickt, ein Paket bekommen kann. 114 00:19:17,800 --> 00:19:25,466 Wenn man die entsprechenden Sätze schreibt, kann es sein, dass die Familie etwas schickt. Die Deutschen haben es nicht einbehalten, sondern weitergegeben. 115 00:19:25,467 --> 00:19:33,799 Er gab mir tatsächlich die Adresse seiner Familie und ich ging zu den älteren Häftlingen, die Deutsch konnten. 116 00:19:33,800 --> 00:19:44,132 Wir haben einen Brief aufgesetzt und nach einer Woche kam das Paket an. Drei Tage später kam ein zweites Paket. Wir waren in Aufruhr, es waren auch Hähnchen dabei. 117 00:19:44,133 --> 00:19:57,266 Außerdem waren in den Paketen Plätzchen, Zigaretten und andere guten Sachen. Sein Ansehen im Lager ist gestiegen, denn er hat mit anderen geteilt. 118 00:19:57,267 --> 00:20:09,166 Ich bekam ebenfalls etwas. Dieser Umstand bewirkte, dass man respektiert wurde, weil man etwas hatte. 119 00:20:09,167 --> 00:20:20,699 Es gab auch einen anderen Fall von einem Mann aus Krakau, Roman Kobyra. Er war in der Baracke 3 und wir arbeiteten zusammen in der Abteilung 2. 120 00:20:20,700 --> 00:20:31,299 Er war allerdings mehrere Jahre im Lager inhaftiert. Er hatte gute Kontakte und deshalb hatte er auch häufig rohe Kartoffeln. 121 00:20:31,300 --> 00:20:38,966 Als wir von der Arbeit zurückkamen, nach der Ausgabe der Essensrationen musste ich zu ihm gehen. 122 00:20:38,967 --> 00:20:52,932 Mit einem kleinen Messer schälte ich die Kartoffeln, danach rieb ich sie auf einer von ihm gemachten Reibe. Wissen Sie, worauf wir sie brieten? 123 00:20:52,933 --> 00:21:00,599 Es war ein weißes Schmierfett für Flugzeuge. Es sah aus, wie ein echtes Schmalzfett. Ich fragte ihn: "Roman, was ist das"? 124 00:21:00,600 --> 00:21:06,899 Er sagte, es ist Schmalzfett, ich sollte auf dem braten. Es war ein Schmierfett für Flugzeuge. Wir hatten immer großen Hunger. 125 00:21:06,900 --> 00:21:16,066 Die anderen Häftlinge, die Russen, warteten auf Kartoffelschalen. Sie haben sich sogar wegen ihnen geschlagen, jeder wollte die Schalen haben. 126 00:21:16,067 --> 00:21:25,932 Es ist wieder ein Beispiel für einen einschneidenden Moment. Ich weiß nicht, was ich noch erzählen soll. 127 00:21:25,933 --> 00:21:29,532 IV: Vielleicht erzählen Sie über die hygienischen Verhältnisse im Lager. 128 00:21:29,533 --> 00:21:39,199 RD: Ich habe schon gesagt, was die Hygiene betrifft. Nicht alle, nur wenige haben sich um die Hygiene gekümmert. Ich habe mich um Hygiene bemüht. 129 00:21:39,200 --> 00:21:52,699 Wir hatten keine Handtücher, gar nichts. Jeden Tag wusch ich mich mit kaltem Wasser. Ich glaube, es half mir, zu überleben. 130 00:21:52,700 --> 00:21:59,566 Es half mir, tüchtig zu bleiben. Es gab eine Toilette, die Entlausung, Läuse. 131 00:21:59,567 --> 00:22:08,232 Von Hygiene konnte keine Rede sein. Wir hatten Pritschen, auf denen wir zu zweit geschlafen haben. Auf den Pritschen war so etwas wie Heu. 132 00:22:08,233 --> 00:22:21,532 Es gab eine Unterlage aus Stroh und zwei Decken zum Zudecken. Das war die ganze Hygiene. Als Kopfkissen dienten die Kleidung und die Schuhe. Das war die ganze Hygiene. 133 00:22:21,533 --> 00:22:33,666 IV: Haben Sie ein Handy dabei? 134 00:22:33,667 --> 00:22:37,599 RD: Ja. Warum? 135 00:22:37,600 --> 00:22:39,632 IV: Bitte, schalten Sie es ab. 136 00:22:39,633 --> 00:22:47,166 RD: Wenn Sie mich nach der Hierarchie fragen, dann hatte ich etwas Ahnung davon. Ich wusste, wer was war. 137 00:22:47,167 --> 00:22:58,799 In der Baracke war der Blockälteste die erste Person überhaupt, die zweite war der Schreiber. Der Schreiber war ein Tscheche. 138 00:22:58,800 --> 00:23:09,832 Die dritte größere Gruppe waren die sogenannten Zimmerdienstler, die nicht gearbeitet haben. Sie blieben immer im Lager. 139 00:23:09,833 --> 00:23:16,799 Sie haben in der Baracke aufgeräumt, Ordnung gemacht und abends teilten sie das Essen aus. 140 00:23:16,800 --> 00:23:29,899 Die Hierarchie war dreistufig: die Blockältesten, die Schreiber und die Zimmerdienstler. Die übrigen waren gewöhnliche Häftlinge. Eine andere Hierarchie kenne ich nicht. 141 00:23:29,900 --> 00:23:38,699 Es gab keine Gewalt, dass eine Gruppe stärker war als eine andere. Wir konnten so etwas nicht beobachten. 142 00:23:38,700 --> 00:23:49,032 Ich erlebte diesen Fall mit dem Brot, als ich danach brutal zusammengeschlagen wurde. Das habe ich erlebt. 143 00:23:49,033 --> 00:24:02,099 Zu diesem Thema kann ich nicht viel berichten. Ich kann darüber erzählen, wie es April wurde und die Evakuierung begann. 144 00:24:02,100 --> 00:24:12,899 Da unsere Baracke unmittelbar am Ausgang stand, wurde unser Jugendlichenblock als erster evakuiert. 145 00:24:12,900 --> 00:24:27,632 Ich erinnere mich, wie wir beim Ausgang ein Stück Brot und ein Stück Margarine bekommen haben. Im Durchgang lag ein Haufen mit Getreide. 146 00:24:27,633 --> 00:24:43,966 Beim Vorbeigehen durfte sich jeder, so viel er konnte, in einer Mütze oder sonst wo, davon mitnehmen. Es war unsere ganze Verpflegung für den Marsch. 147 00:24:43,967 --> 00:24:50,132 Ich kann nur noch sagen, dass wir noch nicht gewusst haben, dass in dieser Eskorte... 148 00:24:50,133 --> 00:25:00,566 In dieser Eskorte waren Häftlinge in Soldatenuniformen. Es waren viele und ich habe sie von früher erkannt. 149 00:25:00,567 --> 00:25:01,432 IV: Welcher Nationalität waren sie? 150 00:25:01,433 --> 00:25:14,032 RD: Es waren Deutsche, Deutsche. Sie waren für diesen Zweck ausgesucht und haben uns bewacht. Sie haben uns geführt und bewacht. 151 00:25:14,033 --> 00:25:36,599 Es war der 20. April, wir marschierten den ganzen Tag. Wir marschierten sieben Tage bis nach Dachau, wir gingen am 20. los und kamen am 27. April an. 152 00:25:36,600 --> 00:25:49,699 Wir haben auf dem kalten und nassen Boden geschlafen. Die erste Nacht war ein Albtraum. Wir gingen mehr als 30 Kilometer. 153 00:25:49,700 --> 00:25:56,899 Es waren mehr als 200 Kilometer, knapp 250 Kilometer, soweit ich heute weiß. Wir machten über 30 Kilometer am Tag. 154 00:25:56,900 --> 00:26:11,332 Wenn wir zu Boden fielen, schliefen wir vor Erschöpfung sofort ein. Am Morgen war alles weiß. In dieser Region gab es zu dieser Zeit noch Bodenfrost. 155 00:26:11,333 --> 00:26:26,666 Wir mussten aufstehen und "raus, raus", und weitermarschieren. Für diesen Weg hatte ich einen speziellen Namen. 156 00:26:26,667 --> 00:26:35,266 Im Allgemeinen sprach man von einem Todesmarsch, weil vermutlich die Hälfte nicht angekommen ist. Wie hat es funktioniert? 157 00:26:35,267 --> 00:26:46,332 Wenn du keine Kräfte mehr hattest, bist du umgefallen, der Bewacher kam dazu, schoss und die Kolonne ging weiter. Auf diesem Weg erlebte ich verschiedenste Szenen. 158 00:26:46,333 --> 00:26:55,932 Ich hatte noch Probleme mit meinem Freund Janek, der völlig niedergeschlagen war. Ich habe ihn mit letzter Kraft, so viel ich konnte, unterstützt. 159 00:26:55,933 --> 00:27:00,766 Ich unterstützte ihn sowohl körperlich als auch psychsich, damit er überlebt. 160 00:27:00,767 --> 00:27:16,999 Ich hatte eine Szene miterlebt. Ich erinnere mich wie heute daran. Es gab einen jungen SS-Mann, vielleicht war er etwas über 20, vielleicht 30 Jahre alt. 161 00:27:17,000 --> 00:27:29,699 Er hatte kein Maschinengewehr, nur eine kleine Pistole, weil er ein Offizier war. Ein junger Tscheche kauerte links im Straßengraben und hielt die Hände nach oben und rief: "Maminka, Maminka." 162 00:27:29,700 --> 00:27:47,699 Der Deutsche kam auf ihn zu und schoss ihm zweimal in den Kopf. Das Blut spritzte aus dem Kopf {zeigt}. Es war ein schrecklicher Anblick. Der Tscheche fiel um und starb. 163 00:27:47,700 --> 00:28:03,032 Es war eine der schrecklichsten Szenen, die ich erlebt habe. Wir haben vielleicht noch einmal ein Stück Brot bekommen, einmal gab es drei Pellkartoffeln. 164 00:28:03,033 --> 00:28:15,166 Dann kam der Tag, an dem wir Dachau erreicht haben. Ich wusste nicht, dass es Dachau ist, dass wir im Lager ankamen. 165 00:28:15,167 --> 00:28:34,166 An diesem Tag bekam jeder von uns ein Laib Brot. An dieser Stelle möchte ich wieder die menschliche Herzlichkeit betonen. Es war für mich eine der größten Tragödien im Leben, dieser Kreuzweg. 166 00:28:34,167 --> 00:28:49,999 Es passierte etwas Unerwartetes. Wir kamen in eine Ortschaft. Man durfte die Reihen nicht verlassen, weil sofort geschossen wurde. Ich war aber immer entschlossen. 167 00:28:50,000 --> 00:29:00,666 An einem Gebäude, ganz nah, stand eine Frau und hielt einen Teller mit Pfannkuchen darauf. Sie wollte es verteilen, hatte aber Angst. 168 00:29:00,667 --> 00:29:12,866 Ich habe mich nach hinten und nach vorne umgeschaut, ob die SS-Männer es beobachten, sprang aus der Reihe, griff nach dem Pfannkuchen und sprang wieder in die Reihe zurück. 169 00:29:12,867 --> 00:29:22,566 Ich kann jetzt vielleicht darüber lachen, aber es bedeutete, dass die Frau ein Herz hatte und die Tragödie unseres Marsches beobachtete. 170 00:29:22,567 --> 00:29:28,199 Wir haben doch nicht besonders gut ausgesehen, nicht wahr? Es war solch ein Ereignis. 171 00:29:28,200 --> 00:29:38,332 Zwei Tage später ereignete sich wieder ein Vorfall. Es stand ein kleiner Junge, vielleicht war er sieben oder acht Jahre alt und hielt ein Ei in der Hand. 172 00:29:38,333 --> 00:29:53,066 Ich habe gesehen, dass er dieses Ei geben möchte, aber Angst hatte. Ich schaute mich wieder um, sprang aus der Reihe und griff nach dem Ei. Das Ei war noch roh. 173 00:29:53,067 --> 00:30:05,832 Ich habe es mit Janek geteilt. Ich habe versucht, in der Tragödie gute menschliche Züge zu erkennen und hervorzuheben. 174 00:30:05,833 --> 00:30:21,099 Es gab einen weiteren Fall auf dem Todesmarsch. Die Deutschen hatten einen Wagen, den die Häftlinge zogen. Ein Teil ihrer Rucksäcke war auf dem Wagen. 175 00:30:21,100 --> 00:30:31,432 Manche haben den Häftlingen ihre Rucksäcke zum Tragen gegeben. Ich habe beobachtet, wie sie abends dafür ein Stück Brot bekamen. 176 00:30:31,433 --> 00:30:46,966 Ich habe mir gedacht, weil ich mutig war, ich versuche es auch. Ich habe einen Rucksack genommen, aber ich merkte, dass er mich nach hinten zieht. Ich hatte Angst, mit dem Rucksack umzufallen. 177 00:30:46,967 --> 00:30:55,799 Ich ging zu diesem Soldaten, er war ein älterer Mann und sagte ihm, dass ich es nicht schaffe. 178 00:30:55,800 --> 00:31:07,666 Er fing an zu lachen und rief einen älteren Häftling zu sich und befahl ihm, den Rucksack abzunehmen. Ich habe eine kleine Umhängetasche bekommen. Tatsächlich. 179 00:31:07,667 --> 00:31:18,532 Ich habe sie bis zum Schluss getragen. Ich erinnere mich bis heute an das Stück Brot und den Speck. Man könnte meinen, dass er schießt, hat es aber nicht getan. 180 00:31:18,533 --> 00:31:28,932 Er gab mir Brot mit Speck. Das heißt, dass nicht alles im Menschen so schlimm ist, dass es auch andere Menschen gibt. 181 00:31:28,933 --> 00:31:38,499 Es gab Menschen, die Ausnahmen waren, die diese Wirklichkeit verstehen konnten. Dieser Gedanke hat mich aufgebaut. 182 00:31:38,500 --> 00:31:53,132 Nach zwei Tagen kamen wir in Dachau an. Dieses Lager und diese Baracken waren bereits überfüllt. 183 00:31:53,133 --> 00:32:04,799 Janek und ich haben uns in der Baracke unter die Pritschen bis zur Hälfte gelegt, damit wir einen Platz zum Liegen hatten. 184 00:32:04,800 --> 00:32:17,099 Es war so schrecklich. Angeblich gab es einen Befehl, das ganze Lager zu erschießen. 185 00:32:17,100 --> 00:32:29,732 Eine Kompanie hat es erfahren. Es gab Außenkommandos und die Einnahme des Lagers am 29. April war nicht geplant. 186 00:32:29,733 --> 00:32:37,432 Es war für einen späteren Zeitpunkt geplant. Wir wurden befreit. 187 00:32:37,433 --> 00:32:48,699 Am Abend hat jeder von uns ein Laib Brot und eine Konservendose bekommen. Es war für uns eine unermessliche Tragödie. 188 00:32:48,700 --> 00:33:00,132 Wir alle sind darauf gestürzt, nachdem wir so lange an Hunger litten. Plötzlich bekamen viele einen Druchfall. Es war schrecklich, was da los war. Es war eine einzige große Toilette. 189 00:33:00,133 --> 00:33:21,832 Es gab massenweise Sterbefälle, die Menschen starben. Nach zwei Tagen wurden die noch gekleideten Leichen auf einen Haufen auf dem Appellplatz aufgeschichtet. 190 00:33:21,833 --> 00:33:28,400 Sehr viele Menschen starben nach der Befreiung gerade aus diesem Grund.