1 00:00:00,000 --> 00:00:16,466 BD: Ich bin in Rowne, im Wolhynien-Gebiet, in der heutigen Ukraine geboren. Die Jugend verbrachte ich allerdings in Chełm. 2 00:00:16,467 --> 00:00:35,732 Ich besuchte dort die Grundschule. Zu meiner Herkunft: Mein Vater war Eisenbahner. Er arbeitete bei der Eisenbahn. Ich bin 1928 geboren. 3 00:00:35,733 --> 00:00:38,999 IV: Wie alt waren Sie, als der Krieg ausgebrochen ist? 4 00:00:39,000 --> 00:00:45,632 BD: Als der Krieg ausbrach, war ich 12 Jahre alt. 5 00:00:45,633 --> 00:01:07,532 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 6 00:01:07,533 --> 00:01:11,366 MA: Wir haben jetzt erfahren, dass Sie in Nürnberg von der Gestapo verhaftet worden sind. Erzählen Sie bitte die Geschichte. 7 00:01:11,367 --> 00:01:24,699 Wie sind Sie nach Nürnberg gekommen? Warum, mit wem und wie war die Verhaftung? Was passierte dann? 8 00:01:24,700 --> 00:01:37,232 IV: Erzählen Sie bitte etwas detaillierter: Wie gelangten Sie nach Nürnberg? Wurden Sie verhaftet? Erzählen Sie bitte darüber. 9 00:01:37,233 --> 00:01:55,499 BD: Ich wurde 1942 verhaftet. Es war eigentlich... Die Gestapo kam, um meinen Vater und meinen älteren Bruder festzunehmen. 10 00:01:55,500 --> 00:02:06,499 Und weil sie nicht angetroffen wurden, wurde ich verhaftet und später nach Nürnberg gebracht. 11 00:02:06,500 --> 00:02:11,166 IV: Was war das für ein Befehl? In Ihrem Haus waren Sie und Ihr Vater? 12 00:02:11,167 --> 00:02:21,632 BD: Ja. Zu dieser Zeit, als die Gestapo zur Verhaftung meines Vaters kam, waren sie nicht zu Hause. Die Gestapo nahm mich mit. 13 00:02:21,633 --> 00:02:24,766 IV: Ich möchte mir einfach vorstellen: Wo war Ihr Zuhause? 14 00:02:24,767 --> 00:02:25,899 BD: Es war in Chełm. 15 00:02:25,900 --> 00:02:26,299 IV: In Chełm. 16 00:02:26,300 --> 00:02:28,199 BD: In Chełm. Chełm Lubelski. 17 00:02:28,200 --> 00:02:31,399 IV: Ja. Und von Chełm kamen Sie nach Nürnberg? 18 00:02:31,400 --> 00:02:43,266 BD: Ich war in verschiedenen Transporten, wurde in Gefängnissen in Plauen, Zwickau und in Hof inhaftiert. 19 00:02:43,267 --> 00:02:45,099 IV: (???) 20 00:02:45,100 --> 00:02:47,666 BD: Über Lublin. Das Gefängnis in Lublin. 21 00:02:47,667 --> 00:03:07,166 MA: (???) 22 00:03:07,167 --> 00:03:12,799 IV: Jetzt vielleicht noch kurz, damit ich keine Zwischenfragen stelle, damit wir eine einheitliche Geschichte bekommen. 23 00:03:12,800 --> 00:03:21,366 Von Chełm wurden Sie... Erzählen Sie nochmal im Allgemeinen, wie es abgelaufen ist.. 24 00:03:21,367 --> 00:03:34,599 BD: Die Gestapo kam in unser Haus, um meinen Vater und meinen älteren Bruder zu verhaften. Sie waren nicht zu Hause und sie nahmen mich fest. 25 00:03:34,600 --> 00:03:45,699 Dann wurde ich in mehreren Transporten hierher nach Deutschland gebracht. 26 00:03:45,700 --> 00:04:11,199 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 27 00:04:11,200 --> 00:04:17,699 MA: Was passierte in Nürnberg? Wie war Ihr Weg, dass Sie nach Flossenbürg gekommen sind? 28 00:04:17,700 --> 00:04:26,166 IV: Gut. Erzählen Sie jetzt bitte genau, wie es in Nürnberg war? Wie kamen Sie nach Flossenbürg? 29 00:04:26,167 --> 00:04:39,699 BD: Ich kam nach Flossenbürg vom Gefängnis in Nürnberg. Von Nürnberg kam ich ins Lager Russenwiese bei Nürnberg. 30 00:04:39,700 --> 00:04:53,532 Es war ein schreckliches Lager. Darf ich darüber erzählen? Es war in der Tat eins der schlimmsten Lager. Bei Ankunft bekamen wir sofort 25 oder 50 Stockhiebe. 31 00:04:53,533 --> 00:05:12,032 Alle bekamen Stockhiebe. Wir schliefen im Lager auf stöckigen Metallpritschen. Jeden dritten Tag war Hungertag, 8-Stunden-Lauf sowie Sportübungen mit Pausen dazwischen. 32 00:05:12,033 --> 00:05:27,366 Wenn wir in die Baracken hineinströmten, gab es am Eingang ebenfalls Stockhiebe. Das gleiche passierte während der Übungen. Falls beschieden wurde, wir machten etwas falsch, 33 00:05:27,367 --> 00:05:40,699 wurden wir dermaßen geschlagen, dass sich die Muskeln von den Knochen lösten. Es war ein kurzer Aufenthalt. Ich erinnere mich nicht, wie lange ich in diesem Lager war, vielleicht drei Wochen oder so. 34 00:05:40,700 --> 00:05:54,632 Von da kam ich ins Gefängnis in Nürnberg und danach mit einem Transport ins KZ Flossenbürg. 35 00:05:54,633 --> 00:06:52,166 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 36 00:06:52,167 --> 00:07:04,866 MA: Wie war die Ankunft in Flossenbürg? Was wurde mit Ihnen gemacht, die Aufnahmerituale, wo wurden Sie untergebracht, mit wem? 37 00:07:04,867 --> 00:07:15,066 IV: Ich möchte Sie jetzt bitten, uns genau zu erzählen, wie Sie in Flossenbürg angekommen sind. Alles...(???) 38 00:07:15,067 --> 00:07:34,466 BD: Der Transport nach Flossenbürg zählte etwa 80 bis 100 Personen. Nach der Ankunft waren wir im Häftlingsbad, in dem wir anderthalb Stunden gesessen haben. 39 00:07:34,467 --> 00:07:49,366 Wir saßen zu dieser Zeit fast nackt, obwohl es Januar war. Vom Häftlingsbad wurden danach mehrere Personen gleich ins Revier gebracht. 40 00:07:49,367 --> 00:08:07,666 Danach wurde ich in einer Baracke hinter dem Häftlingsbad eingeschlossen. Ich erinnere mich nicht an die Nummer. Obwohl es eine geschlossene Baracke war, gingen zur Arbeit. 41 00:08:07,667 --> 00:08:29,466 Wir hatten Aufgaben im Steinbruch, wir trugen das Holz zusammen und räumten die SS-Baracken auf. Dort herrschten drakonische Bedingungen. Wir wurden nachts zwei- bis dreimal aufgeweckt. 42 00:08:29,467 --> 00:08:48,099 Im Winter waren die Fenster offen, obwohl es Januar war. Es gab starken Frost. Die Bedingungen waren hier sehr schwer. 43 00:08:48,100 --> 00:10:00,266 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 44 00:10:00,267 --> 00:10:39,132 MA: Würden Sie jetzt bitte den Tagesablauf im Lager, speziell Ihre Arbeit im Steinbruch schildern? Wie war die Verpflegung, die hygienischen Verhältnisse? Wie war der Zustand im Lager in den Baracken? 45 00:10:39,133 --> 00:10:54,966 IV: Erzählen Sie uns bitte genau über Ihren Alltag. Wo haben Sie gearbeitet? Wie waren die hygienischen Verhältnisse? 46 00:10:54,967 --> 00:11:12,432 BD: Wir standen sehr früh auf, eigentlich so um 5.00 Uhr morgens. Zum Frühstück hatten wir eigentlich einen Tee und ein Stück Brot. 47 00:11:12,433 --> 00:11:27,432 Und wir gingen zum Appell und dann zur Arbeit. Wir arbeiteten den ganzen Tag lang, manchmal sogar 12 Stunden. 48 00:11:27,433 --> 00:11:40,899 Als ich im Steinbruch eingesetzt war, ebneten wir das Gelände und luden die Steine auf die Loren auf. 49 00:11:40,900 --> 00:11:57,199 Es war eine schwere, 12-stündige Arbeit. Wir arbeiteten sehr lang. Erst am Abend kehrten wir zum Lager zurück. Danach bekamen wir das Abendessen... 50 00:11:57,200 --> 00:12:14,299 Danach gab es einen Appell und wir gingen zum Schlafen. Es gab verschiedene Arbeiten. In der Baracke, in der wir wohnten, hatten wir unterschiedliche Arbeiten. Sie wechselten. 51 00:12:14,300 --> 00:12:27,466 Alle paar Tage waren wir woanders eingesetzt, zum Beispiel räumten wir die SS-Baracken auf. 52 00:12:27,467 --> 00:12:35,966 Es war eine schreckliche Arbeit. Gerade dort wurden die meisten, die dort arbeiteten, bestraft und geschlagen. 53 00:12:35,967 --> 00:12:49,666 Hier erwähne ich einen Fall.. Ich war jung, ich war nicht mal 15 Jahre alt, als ich hierher kam. Mit mir war noch ein junger Mann. 54 00:12:49,667 --> 00:13:05,899 Ein SS-Mann führte uns beide in eine andere Baracke. Wir bekamen Angst, warum nimmt er uns mit? Dafür gab es doch Strafen. Dabei... gab er uns eine Scheibe Brot. 55 00:13:05,900 --> 00:13:22,366 Und jetzt wussten wir nicht, ob wir es annehmen sollen. Falls ja, kann er sagen, wir haben es gestohlen und werden bestraft. Wenn wir es nicht nehmen, dann ist es auch schlecht. 56 00:13:22,367 --> 00:13:34,066 Letztendlich nahmen wir es an. Wir hatten eine große Angst, aber wir hatten auch einen großen Hunger. 57 00:13:34,067 --> 00:13:41,066 Die Arbeit war auch so, dass wir Fenster putzten oder Anderes verrichteten. 58 00:13:41,067 --> 00:13:56,432 Wir hatten große Angst vor Bestrafung. Die Strafen waren schrecklich. Ich sage, diese Scheibe Brot war etwas Unvorstellbares. 59 00:13:56,433 --> 00:15:44,966 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 60 00:15:44,967 --> 00:15:53,666 MA: Schildern Sie bitte, wie die Außenumstände waren, wie es den Anderen ging? Was haben Sie von der Situation im Lager gesehen? 61 00:15:53,667 --> 00:16:02,299 IV: Es gibt eine Frage: Sie waren im KZ in seiner Endphase? 62 00:16:02,300 --> 00:16:10,899 BD: Nein, ich bin später in ein Kommando gekommen, Arbeitskommando Allach nach Dachau. 63 00:16:10,900 --> 00:16:11,699 IV: Von Flossenbürg? 64 00:16:11,700 --> 00:16:22,232 BD: Von Flossenbürg kam ich ins Arbeitskommando Allach bei München. Von da aus wurde ich ins KZ Dachau überstellt. 65 00:16:22,233 --> 00:16:41,032 IV. Gut. Erzählen Sie noch bitte über die Behandlung von Häftlingen... (???) 66 00:16:41,033 --> 00:16:57,466 BD. Ich erzähle über einen Fall... Die Brotrationen waren sehr klein, für jeden Häftling eine. In der Baracke wurde zum Abendessen eine Portion Brot ausgeteilt. Einmal fehlte eine Portion. 67 00:16:57,467 --> 00:17:14,466 Der Blockälteste suchte natürlich denjenigen, der es genommen hatte. Vor den Augen aller Häftlinge wurde er dafür mit einem Stuhlbein oder Stuhl mißhandelt. 68 00:17:14,467 --> 00:17:29,032 Es waren ebenfalls harte Strafen für das Nichtkennen der eigenen Häftlingsnummer. Nicht jeder Häftling konnte die Sprache. Auch ich nicht. Ich tat mich schwer mit Deutsch. 69 00:17:29,033 --> 00:17:41,932 Ich hatte die Numemr 3553, "fünfunddreißig dreiundfünfzig." Tag und Nacht, ohne Deutsch zu verstehen, brannte sich mir diese Nummer für viele Jahre ein. 70 00:17:41,933 --> 00:17:53,966 Beim ersten Mal, als ich die Nummer nicht kannte, bekam ich ein paar Stockhiebe. Man musste sofort aus der Reihe springen. 71 00:17:53,967 --> 00:18:07,332 Die Nummer brannte sich bei mir so ein, so dass ich sie zu jeder Zeit sofort verstand. Es war eine unvorstellbare Disziplin und Bestrafung für Nichtigkeiten. 72 00:18:07,333 --> 00:18:15,232 Was konnten die Menschen dafür, dass sie die Nummer nicht schnell genug verstehen konnten? Sie wurden trotzdem sofort bestraft. 73 00:18:15,233 --> 00:18:28,166 Auch beim Aufstellen von Reihen... Wenn etwas nicht richtig war oder ein Häftling den Befehl nicht schnell genug ausführte, kam auf der Stelle eine Strafe. 74 00:18:28,167 --> 00:18:35,266 Das Gleiche galt für die Arbeit. Es waren unvorstellbare Dinge. 75 00:18:35,267 --> 00:18:39,399 IV: (???) 76 00:18:39,400 --> 00:18:56,566 BD: Wir wurden auf Schritt und Tritt geschlagen und gefoltert. Es gab keine Gnade. 77 00:18:56,567 --> 00:19:09,566 Das System war auf's Morden ausgerichtet. Wenn jemand schwach wurde und nicht weiter konnte, 78 00:19:09,567 --> 00:19:28,132 musste er sterben, weil er keine Überlebenschancen hatte. Das war die Grundidee der KZs. Sie waren schrecklich. 79 00:19:28,133 --> 00:20:56,066 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 80 00:20:56,067 --> 00:21:12,266 MA: Wann kamen Sie aus Flossenbürg nach Dachau? Was haben Sie erlebt? Warum nach Dachau, wie war der Weg? Wie ging es dann wieder in Dachau? Wie die Aufnahme war? 81 00:21:12,267 --> 00:21:20,266 IV: Wie kam es, dass Sie Flossenbürg verlassen haben? 82 00:21:20,267 --> 00:21:35,266 BD: Von Flossenbürg wurde ich ins Arbeitskommando Allach bei München überstellt. Dort arbeiteten wir bei der Einebnung des Geländes. Wir luden Erde auf die Loren. 83 00:21:35,267 --> 00:21:50,399 Später wurde ich und eine kleine Gruppe von 6 Personen nach Dachau gebracht. Dann war ich eine Zeit lang in Dachau. 84 00:21:50,400 --> 00:22:04,399 Ich war in mehreren KZs und Gefängnissen. In Nürnberg saß ich mehrere Monate. Ich war also an verschiedenen Orten bis zum Kriegsende inhaftiert. 85 00:22:04,400 --> 00:22:07,132 IV: Erzählen Sie bitte, wie Sie nach Dachau gekommen sind. 86 00:22:07,133 --> 00:22:19,666 BD: Ich kam von Flossenbürg nach Dachau. Einige Hundert Häftlinge wurden ins Kommando Allach überstellt. 87 00:22:19,667 --> 00:22:32,566 Der ganze Zug wurde in Flossenbürg dafür vorbereitet. Wir sollten dort große Werke ausbauen. 88 00:22:32,567 --> 00:22:44,966 Ich erinnere mich nicht, ob das Mercedes war. Wir ebneten das Gelände. Es waren schwere Bedinungen, denn wir hatten zur Arbeit 8 Kilometer Fußmarsch. 89 00:22:44,967 --> 00:22:58,499 Den ganzen Tag lang, 10 bis 12 Stunden, luden wir diese Erde auf. Gegen Abend kehrten wir zum Schlafen zurück. Sie weckten uns vor 5.00 Uhr auf. 90 00:22:58,500 --> 00:23:15,199 Wir mussten die Arbeit bereits um 7.00 Uhr beginnen. Die Arbeitsbedingungen waren schwer. Diese kleine Gruppe von jungen Häftligen wurde ins KZ Dachau überstellt. 91 00:23:15,200 --> 00:24:17,666 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 92 00:24:17,667 --> 00:24:31,032 MA: Wie war die Aufnahme in Dachau? Wie waren dort die Zustände? Wie hat sich Dachau von Flossenbürg unterschieden? 93 00:24:31,033 --> 00:24:44,099 IV: Gut. Ich bitte Sie, so genau wie möglich zu erzählen, wie Sie nach Dachau gekommen sind. Wie war die Aufnahme und wie war das Lager im Vergleich zu Flossenbürg? 94 00:24:44,100 --> 00:24:56,499 BD: In der Gruppe, die nach Dachau kam, war ich der einzige Pole. Es gab ein paar Russen oder Ukrainer. Auf jeden Fall waren welche aus dem Osten dabei. 95 00:24:56,500 --> 00:25:14,466 Ich wurde in der Baracke mit Russen einquartiert. Damals war das die Sowjetunion. Nach einer gewissen Zeit kam ich in eine Baracke für Polen. 96 00:25:14,467 --> 00:25:24,766 Später arbeitete ich auf den sogenannten Plantagen. Es war ein Riesenkommando mit 1500 Häftlingen. 97 00:25:24,767 --> 00:25:39,232 Dort war eine Art Gärtnerei, in der wir arbeiteten. Dachau unterschied sich sehr von Flossenbürg, denn hier war ein Steinbruch und schwere Arbeit. 98 00:25:39,233 --> 00:25:53,099 Die Bedingungen waren hier viel schlimmer als in Dachau. Aber die Disziplin war die gleiche. Genau genommen sind dort nicht weniger Häftlinge umgekommen als hier. 99 00:25:53,100 --> 00:26:07,766 Deswegen sage ich, es war davon abhängig, wer in welches Kommando kam. Man konnte etwas bessere Bedinungen haben. Im Großen und Ganzen gab es kaum Unterschiede zwischen den Lagern. 100 00:26:07,767 --> 00:26:23,066 Die Grundannahmen waren die gleichen: Die Vernichtung der Menschen, die dort inhaftiert waren. 30 bis 40 % der Häftlinge sind gestorben. 101 00:26:23,067 --> 00:26:40,766 Jeder Zweite oder Dritte hat das Lager nicht verlassen. Aber die Haftbedingungen waren etwas besser. Vielleicht herrschte größere Sauberkeit in Dachau. 102 00:26:40,767 --> 00:26:54,299 Aber das Lager war auch eine Glücksfrage. Es gab Häftlinge, die einen Tag nicht überlebt haben. Wer ankam und dem Kapo auffiel, wurde getötet. 103 00:26:54,300 --> 00:27:10,266 Ich sage einfach... Jederzeit konnte man im Lager sterben, bei jedem Schritt. Es gab welche, die fünf Jahre überlebten. Es gab aber auch welche, die am Ankunftstag starben. 104 00:27:10,267 --> 00:27:26,166 Als ich hier ankam, sah ich, dass zwei oder drei Häftlinge das Häftlingsbad nicht überlebten. Deswegen ist es schwer, über die Bedinungen zu sprechen. 105 00:27:26,167 --> 00:27:36,466 Mein ganzes Leben lang sprach ich nicht darüber, weder zu Hause noch sonstwo. Es ist eine innere Angelegenheit. 106 00:27:36,467 --> 00:27:44,266 Ich bin viele Jahre nicht nach Deutschland gekommen, weil ich es nicht wollte. 107 00:27:44,267 --> 00:28:00,666 Die Erinnerungen an die Lagerhaft und die Lagerbedinungen haben sich bei mir innerlich ausgewirkt. Jahrelang wurde ich um 5.00 Uhr wach. 108 00:28:00,667 --> 00:28:15,999 Die Erinnerungen an die Haft und die schlimmen Bedingungen im Lager brannten sich in der Psyche für das ganze Leben ein. 109 00:28:16,000 --> 00:28:18,799 IV: Sie werden also immer um diese Zeit wach? 110 00:28:18,800 --> 00:28:19,432 BD: Wie bitte? 111 00:28:19,433 --> 00:28:21,632 IV: Sie werden immer so früh wach? 112 00:28:21,633 --> 00:28:42,432 BD: Ich sage, dass ich mich im Leben noch nie verspätet habe. Das Lager zwang mich zum Automatismus. Ich werde morgens sehr früh wach. Es bleibt bis zum Ende meiner Tage. 113 00:28:42,433 --> 00:29:50,132 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 114 00:29:50,133 --> 00:29:58,832 MA: Warum haben Sie sich entschieden, jetzt nach Deutschland zu kommen? Wann haben Sie angefangen, darüber zu reden? Warum reden Sie jetzt darüber? 115 00:29:58,833 --> 00:30:15,166 IV: Es gibt noch eine Frage: (???) 116 00:30:15,167 --> 00:30:36,499 BD: Zum ersten Mal kam ich auf eine Einladung in die Nähe von Augsburg. Es gab dort ein Kloster Meitingen. Dort war ich sozusagen auf Kur. 117 00:30:36,500 --> 00:30:46,199 Es gab dort gute Bedingungen bei den Klosterschwestern. Damals fuhren wir auch nach Dachau. 118 00:30:46,200 --> 00:31:04,066 Nach Jahren ist es mir bewusst geworden, dass wir das Gedenken an die Opfer, die hier gelassen wurden, aufrechterhalten und ihrer gedenken müssen. 119 00:31:04,067 --> 00:31:21,466 Ich war bereits mehrmals in Dachau. Ich werde dieses Mal auch an den Feierlichkeiten teilnehmen, die Ende April oder Anfang Mai mit dem Bundespräsidenten stattfinden werden. 120 00:31:21,467 --> 00:31:36,066 Wir müssen an die erinnern, die hier ihr Leben gelassen haben. Wir müssen ihrer gedenken. 121 00:31:36,067 --> 00:31:58,432 Es hat sich auch viel geändert. Die Bischöfe riefen zur Versöhnung und Vergebung auf. 122 00:31:58,433 --> 00:33:15,266 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 123 00:33:15,267 --> 00:33:38,466 MA: Warum glauben Sie, warum haben Sie überlebt? Physisch sowie psychisch? Wie haben Sie sich gefühlt? 124 00:33:38,467 --> 00:33:48,432 Hatten Sie Angst? Was ging Ihnen durch den Kopf im Lager? Sie waren damals doch noch ein Kind? 125 00:33:48,433 --> 00:33:57,166 IV: Könnten wir noch kurz über die Haftbedingungen im Lager sprechen. Sie sagten, es gab Menschen, die am ersten Tag starben. 126 00:33:57,167 --> 00:34:08,499 Und es gab welche, die fünf Jahre überlebten. Wie haben Sie das überlebt? Was hat Ihnen geholfen? 127 00:34:08,500 --> 00:34:22,899 BD: Es war eigentlich der Überlebenswille. Der Gedanke, dass man es irgendwie überleben musste. Es ist schwer zu sagen: Vielleicht was es Glück oder Schicksal? 128 00:34:22,900 --> 00:34:34,999 Viele Faktoren haben darüber entschieden, ob man überlebte. Am meisten wahrscheinlich die Bestimmung und das Schicksal. 129 00:34:35,000 --> 00:34:51,999 Es gab Starke und Gesunde, aber auch welche, die man Muselmänner nannte. Diese waren praktisch schon dem Tod geweiht. 130 00:34:52,000 --> 00:35:08,132 Und 90% von ihnen haben es nicht überlebt. Es ist schwer zu sagen, aber ich denke, dass es Bestimmung und Schicksal ist. 131 00:35:08,133 --> 00:35:18,599 Ich glaube, dass alle den Lebenswillen haben. Jeder will überleben. Einer kam und er fiel auf. 132 00:35:18,600 --> 00:35:35,299 In dem Moment wurde er erschlagen. Man kann schwer sagen, aber ich denke, alles hat darüber entschieden. 133 00:35:35,300 --> 00:36:15,466 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 134 00:36:15,467 --> 00:36:28,499 MA: Als Sie in Flossenbürg waren, haben Sie Ihren 15. Geburtstag erlebt. Könnten Sie sich daran erinnern, waren Sie sich dessen bewusst, was es bedeutet hat, diesen Tag zu erreichen? 135 00:36:28,500 --> 00:36:33,332 Oder vielleicht haben Sie es gar nicht gewusst? 136 00:36:33,333 --> 00:36:45,099 IV: Sie haben im Lager Ihren 15 Geburtstag erlebt. Können Sie sich an den Tag erinnern? 137 00:36:45,100 --> 00:37:03,066 BD: Im Lager gab es keine Möglichkeit, den Geburtstag zu feiern. Man lebte von Minute zu Minute. In jedem Moment war der Mensch bedroht. 138 00:37:03,067 --> 00:37:21,299 Da konnte man gar nicht daran denken. Es gab einen einzigen Gedanken: Zu überleben. Von einem Moment auf den anderen, von Stunde zu Stunde. Man wusste nicht, was einen erwartet. 139 00:37:21,300 --> 00:37:37,199 Diese Sachen hat man gar nicht beachtet. Wir lebten von Stunde zu Stunde. Wir wollten überleben. Alles andere war nicht wichtig. Es gab keine Perspektiven. 140 00:37:37,200 --> 00:37:52,599 Es zählte nur jeder einzelne Tag. Jeder Tag war sozusagen ein Überleben. Andere Gedanken hatten wir nicht. 141 00:37:52,600 --> 00:38:19,166 IV: {Übersetzung und Rücksprache mit MA} 142 00:38:19,167 --> 00:38:34,033 MA: In den ganzen Jahren, wo Sie weg waren, was war mit Ihrer Familie passiert? Gab es Kontakte mit der Familie im Krieg?