1 00:00:03,000 --> 00:00:11,399 IV: Frau Štichová, Sie haben zuletzt erwähnt, dass Sie sich also in den Hamburger Kasernen einfinden mussten und auf den Transport warteten. 2 00:00:11,400 --> 00:00:13,166 Was war das für ein Transport? 3 00:00:13,167 --> 00:00:21,299 EŠ: {liest von einem Zettel mit Notizen ab} Der Transport hieß En. Er verließ Theresienstadt am 4. Oktober 1944. 4 00:00:21,300 --> 00:00:25,666 Darin befanden sich 1500 Personen. 5 00:00:25,667 --> 00:00:35,466 Und wie ich später feststellte, waren es 971 Frauen und nur 20 Männer, 6 00:00:35,467 --> 00:00:45,832 davon nur etwa 460 Frauen ohne Kinder, die übrigen Frauen waren mit ihren Kindern dort. 7 00:00:45,833 --> 00:00:54,232 Es waren 509 Kinder und etwa 200 Jugendliche. 8 00:00:54,233 --> 00:00:58,666 Nein, {korrigiert sich} 509 Kinder und Jugendliche zusammen, 9 00:00:58,667 --> 00:01:07,299 davon 160 Kinder bis sechs Jahre, 224 Kinder von sechs bis 14 Jahren, 10 00:01:07,300 --> 00:01:19,566 125 Kinder oder Jugendliche von 14 bis 18 Jahren und 60 Kinder {nachdrücklich} unter drei Jahren. 11 00:01:19,567 --> 00:01:27,299 Dieser Transport war schrecklich. Er dauerte, ich weiß nicht, zwei Tage, zwei Nächte. 12 00:01:27,300 --> 00:01:35,666 Sie können sich vorstellen, wie diese Kinder weinten und jammerten, ohne Essen, ohne alles, ohne Trinken. 13 00:01:35,667 --> 00:01:47,499 Nun, und das Schlimmste kam dann auf der Rampe in Auschwitz, denn die Kinder kamen mit ihren Müttern auf die schlechte Seite, wie man sagte. 14 00:01:47,500 --> 00:01:57,566 Ich sah relativ gut aus, ich war 17, hatte in der Landwirtschaft gearbeitet, ich war groß. 15 00:01:57,567 --> 00:02:05,632 Also war ich noch arbeitsfähig und kam auf die bessere Seite, auf die gute. 16 00:02:05,633 --> 00:02:07,732 IV: Das konnte man aber eigentlich nicht wissen. 17 00:02:07,733 --> 00:02:13,566 EŠ: Deshalb sage ich die bessere, gute, zu dieser Zeit wohl bessere Seite. 18 00:02:13,567 --> 00:02:17,932 IV: Wo hat man Sie dann in Auschwitz untergebracht? 19 00:02:17,933 --> 00:02:27,299 EŠ: Wir kamen in irgendwelche .. Ich weiß nicht, ob das ehemalige Ställe waren oder was, irgendwelche Holzbaracken. 20 00:02:27,300 --> 00:02:35,166 Und vor allem standen wir dauernd Appell und wurden ständig gezählt, nicht wahr, manuell quasi {lacht}. 21 00:02:35,167 --> 00:02:38,932 So standen wir da also stundenlang herum. 22 00:02:38,933 --> 00:02:43,399 IV: Und wurde außer den Appellen in diesen Tagen noch etwas anderes gemacht? 23 00:02:43,400 --> 00:02:53,432 EŠ: Ich erinnere mich nur an einen dieser Appelle {lacht}, dass ich einmal, weil wir lange in der Sonne gestanden hatten, 24 00:02:53,433 --> 00:02:59,166 und ich war da eigentlich schon krank, deshalb bin ich häufig ohnmächtig geworden. 25 00:02:59,167 --> 00:03:07,766 Und einmal hörte ich in diesem Halbdämmer über mir so eine Kapofrau – 26 00:03:07,767 --> 00:03:15,766 Kapofrauen, das waren unsere, sagen wir, zwar Mitgefangene, aber Vorgesetzte, eine Polin war das. 27 00:03:15,767 --> 00:03:21,732 Sie sagte: „Wenn uns die hier immer umfällt, dann geht sie in den Schornstein.“ 28 00:03:21,733 --> 00:03:25,866 Nun, damals kannte ich die Bedeutung des Wortes „Schornstein“ schon, 29 00:03:25,867 --> 00:03:31,666 und so rappelte ich mich hoch und bin ab diesem Zeitpunkt nicht mehr ohnmächtig geworden. 30 00:03:31,667 --> 00:03:36,066 Obwohl diese Krankheit nicht besser wurde, eher schlechter, also .. 31 00:03:36,067 --> 00:03:37,666 IV: Was hatten Sie? 32 00:03:37,667 --> 00:03:42,499 EŠ: Ich hatte eine schwere Mittelohrentzündung. 33 00:03:42,500 --> 00:03:47,066 IV: Und haben Sie zum Beispiel in Auschwitz Bekannte getroffen? 34 00:03:47,067 --> 00:03:48,866 Kannten Sie dort jemanden? 35 00:03:48,867 --> 00:03:59,499 EŠ: Äh dort, meine Verbindungsfrau, die das Material abgeholt hatte, hatte mir gesagt, wie die Konspiration schon einmal am Laufen war: 36 00:03:59,500 --> 00:04:05,232 „In deinem Transport ist eine gewisse Katka Fuksová." 37 00:04:05,233 --> 00:04:09,366 "Wenn ihr die Gelegenheit habt, dann tut euch zusammen." 38 00:04:09,367 --> 00:04:17,999 "Und sucht in Auschwitz die Widerstandsorganisation, die dort tätig ist. Sie werden euch dort alles weitere sagen." 39 00:04:18,000 --> 00:04:24,499 Wir fanden keine Widerstandsorganisation, aber in diesem Wirrwarr und der kurzen Zeit war das auch gar nicht nötig. 40 00:04:24,500 --> 00:04:29,366 Aber wir beide haben uns gefunden und waren dann immer zusammen. 41 00:04:29,367 --> 00:04:33,099 IV: Das hat Sie, nehme ich an, wahrscheinlich sehr gestärkt. 42 00:04:33,100 --> 00:04:34,232 EŠ: Sicher. 43 00:04:34,233 --> 00:04:42,499 IV: Sie haben auch eine interessante, vielleicht etwas lustige Episode erwähnt, als Sie die Möglichkeit hatten, sich selbst anzusehen. 44 00:04:42,500 --> 00:04:44,666 Wie ist das abgelaufen? 45 00:04:44,667 --> 00:04:59,166 EŠ: Äh das erste, was man mit jemandem tat, der auf die bessere Seite kam, war, ihn von allen Auswüchsen zu befreien, um es mal so zu sagen. 46 00:04:59,167 --> 00:05:09,632 Man rasierte uns von Kopf bis Fuß, die Achseln, man rasierte uns kahl, natürlich nahmen sie uns auch die Kleider weg und alles. 47 00:05:09,633 --> 00:05:14,699 Und so nackt trieben sie uns einfach hinaus, vor diese Baracken. 48 00:05:14,700 --> 00:05:22,766 Und diese Baracken hatten auch Fenster und wir standen dort in Fünferreihen. 49 00:05:22,767 --> 00:05:25,866 Wir warteten wie üblich darauf, dass sie uns zählten. 50 00:05:25,867 --> 00:05:35,399 Und auf einmal sah ich in diesem Fenster die Reihe dieser erbärmlichen Gestalten. 51 00:05:35,400 --> 00:05:39,266 Und nun besah ich mir die Größte unter ihnen. 52 00:05:39,267 --> 00:05:44,566 Und als ich mich umschaute, da sah ich, dass ich die Größte bin. 53 00:05:44,567 --> 00:05:52,999 Und daran habe ich erkannt, dass diese größte Gestalt in diesem Fenster ich bin. 54 00:05:53,000 --> 00:05:55,099 Andernfalls hätte ich mich nicht erkannt. 55 00:05:55,100 --> 00:05:59,999 IV: Ich bin froh, dass ich so etwas nicht erlebt habe. 56 00:06:00,000 --> 00:06:10,432 Aber dadurch, dass Sie zur Arbeit eingeteilt wurden, war dieser Aufenthalt in Auschwitz eigentlich Warten auf den Arbeitstransport. 57 00:06:10,433 --> 00:06:12,632 Wie lief das ab? 58 00:06:12,633 --> 00:06:19,066 EŠ: Eines Nachts, wie üblich, jagten sie uns auf einmal aus den Stockbetten. 59 00:06:19,067 --> 00:06:25,632 Wir traten in das Licht der Scheinwerfer und wurden abgezählt. 60 00:06:25,633 --> 00:06:34,899 Wir erhielten äh ein Kleid, ein Paar Holzschuhe, ein Hemd und Unterhosen. 61 00:06:34,900 --> 00:06:43,166 Und wir wurden in Waggons getrieben, in solche Viehwaggons natürlich. 62 00:06:43,167 --> 00:06:56,499 Na, wohin wir fuhren wussten wir natürlich nicht. Aber ich erinnere mich, dass ich eines Morgens an das kleine Fenster ganz oben herankam. 63 00:06:56,500 --> 00:07:03,332 Und zufällig erkannte ich äh Dresden, dass wir in Dresden sind. 64 00:07:03,333 --> 00:07:08,466 Na, da sagte ich mir: "Na, wir fahren zur Arbeit nach Deutschland, ganz klar." 65 00:07:08,467 --> 00:07:17,832 Und interessant ist, dass ich die Kirchen und Gebäude von Dresden noch ganz gesehen habe. 66 00:07:17,833 --> 00:07:24,732 Später, als wir aus Freiberg wegfuhren, sah ich von diesen Gebäuden nur noch Ruinen. 67 00:07:24,733 --> 00:07:30,132 IV: Sie haben erwähnt, dass Sie damals nach Freiberg kamen. 68 00:07:30,133 --> 00:07:32,766 Wie sah es dort aus, als Sie ankamen? 69 00:07:32,767 --> 00:07:39,232 EŠ: Anfangs wohnten wir direkt in der Fabrik, in der wir arbeiteten. 70 00:07:39,233 --> 00:07:47,099 Was den Vorteil hatte, dass es dort warm war und dass wir keine Zeit mit dem Marsch zur Arbeit verloren. 71 00:07:47,100 --> 00:08:01,332 Aber andererseits war es schrecklich, denn dort war es voller Wanzen und Flöhe, so dass wir überhaupt nicht schlafen konnten. 72 00:08:01,333 --> 00:08:06,066 IV: Sie haben erwähnt, dass Sie dort in einer Fabrik gearbeitet haben. Was haben Sie dort hergestellt? 73 00:08:06,067 --> 00:08:17,766 EŠ: Es war eine Fabrik. Sie hieß Freia, weil sie in Freiberg war, aber sie gehörte zu einem Flugzeugkonzern. 74 00:08:17,767 --> 00:08:24,499 Und wir haben dort Flügel hergestellt, aber eher so kleine Flügel. 75 00:08:24,500 --> 00:08:30,466 Ich weiß nicht, ob sie für Jagdflugzeuge oder Raketen bestimmt waren, aber die Flügel waren klein. 76 00:08:30,467 --> 00:08:36,532 Und ich habe in einer Werkstatt gearbeitet, wo ich diese Flügel genietet habe. 77 00:08:36,533 --> 00:08:39,299 IV: Wieviele Stunden mussten Sie täglich arbeiten? 78 00:08:39,300 --> 00:08:45,766 EŠ: Zuerst 14 und später 12, eine Woche Nachtschicht und eine Woche Tagschicht. 79 00:08:45,767 --> 00:08:48,899 IV: Wieviele waren Sie ungefähr in Freiberg? 80 00:08:48,900 --> 00:08:52,599 EŠ: In Freiberg waren sehr sehr viele Menschen. 81 00:08:52,600 --> 00:09:03,066 Da waren sowjetische Kriegsgefangene und westliche Kriegsgefangene, Italiener waren da. Äh, das war .. Da gab es große Lager. 82 00:09:03,067 --> 00:09:11,566 Aber in dem Lager, in dem ich war, waren 1000 Frauen – 500 Polinnen und 500 Tschechinnen. 83 00:09:11,567 --> 00:09:14,632 IV: Und wie sah die Versorgung dort aus? 84 00:09:14,633 --> 00:09:21,832 EŠ: Nun, zum einen wurde sie immer schlechter, nicht wahr, die Zuteilungen wurden gekürzt. 85 00:09:21,833 --> 00:09:35,666 Aber zumindest am Anfang gab es morgens einen halben Liter von irgendeiner heißen Flüssigkeit, die sich Kaffee oder Tee nannte. Ich weiß nicht, was das für ein Aufguss war. 86 00:09:35,667 --> 00:09:44,999 Äh und mittags gab es entweder zwei Kartoffeln in der Schale oder wieder einen halben Liter von dieser seltsamen Flüssigkeit. 87 00:09:45,000 --> 00:09:50,199 Einmal war Hirse drin, ein anderes Mal, manchmal Steckrüben. 88 00:09:50,200 --> 00:09:54,432 Ich weiß nicht, jedesmal schwamm irgendetwas darin herum. 89 00:09:54,433 --> 00:10:07,032 Und zum Abendessen gab es Brot, ich weiß nicht, ob es 200 Gramm waren oder .. Ungefähr zwei Scheiben wurden daraus. 90 00:10:07,033 --> 00:10:14,266 Na, die meisten aßen das Brot gleich ganz auf. Einmal habe ich versucht – 91 00:10:14,267 --> 00:10:21,832 und das war unglaublich schwer, denn wir hatten keine Messer, nicht war, das war nicht erlaubt, also konnte man das Brot nicht schneiden. 92 00:10:21,833 --> 00:10:30,832 Nun, ich habe versucht, es in eine Abend- und eine Morgenportion zu teilen, damit ich etwas zu dieser Flüssigkeit zum Frühstück hatte. 93 00:10:30,833 --> 00:10:35,199 Aber das versuchte ich nur einmal und dann habe ich es aufgegeben. 94 00:10:35,200 --> 00:10:36,666 IV: Es ging nicht. 95 00:10:36,667 --> 00:10:38,599 EŠ: Es ging nicht. 96 00:10:38,600 --> 00:10:43,232 IV: Und wie haben sich dort die Aufseher und Aufseherinnen Ihnen gegenüber verhalten? 97 00:10:43,233 --> 00:10:45,766 Gab es unter ihnen irgendwelche Unterschiede? 98 00:10:45,767 --> 00:10:58,999 EŠ: Das war immer unterschiedlich. Der eine versuchte, seine Minderwertigkeitskomplexe zu heilen, indem er uns schlecht behandelte. 99 00:10:59,000 --> 00:11:03,632 Der andere verhielt sich indifferent und erfüllte seine Pflicht. 100 00:11:03,633 --> 00:11:15,432 Na, und die SS-lerinnen, die waren schrecklich, nicht wahr. Das waren einfach Frauen, die sich zur SS gemeldet hatten. Da ist kein weiterer Kommentar nötig. 101 00:11:15,433 --> 00:11:21,299 Vielleicht sollte man noch den Meister erwähnen, bei dem ich gearbeitet habe. 102 00:11:21,300 --> 00:11:28,766 Das war ein Deutscher aus dem Rheinland, der in Sachsen in der Fabrik eingesetzt war. 103 00:11:28,767 --> 00:11:37,532 Wahrscheinlich war er froh, dass er dort eingesetzt war und nicht an die Front musste, denn er war ursprünglich Friseur. 104 00:11:37,533 --> 00:11:41,999 Na, und hier arbeitete er auf einmal in der Schwerindustrie, würde ich sagen. 105 00:11:42,000 --> 00:11:50,266 Also, ganz am Anfang, da hat er mir nur Anweisungen gegeben, einfach was ich zu tun habe. 106 00:11:50,267 --> 00:11:54,332 Na, und ich habe es dann gewagt, ihn anzusprechen. 107 00:11:54,333 --> 00:12:00,466 Als er merkte, dass ich ganz gut Deutsch sprach, staunte er. 108 00:12:00,467 --> 00:12:07,999 Na, und dann haben wir uns ein wenig unterhalten, dass heißt, ich habe mich darum bemüht. 109 00:12:08,000 --> 00:12:17,999 Ich habe gefragt – das war dann aber schon später, als wir uns etwas kennen gelernt hatten – habe ich ihn gefragt, 110 00:12:18,000 --> 00:12:25,832 warum sie denn noch weiterkämpfen. Da gab es schon die Luftangriffe und jeden Mittag waren tausende Flugzeuge über uns, nicht wahr. 111 00:12:25,833 --> 00:12:31,666 Warum sie weiterkämpfen, warum sie nicht aufgeben und er sagte: 112 00:12:31,667 --> 00:12:40,132 "Na, weil wenn die Russen kommen, dann hacken sie uns die rechte Hand ab, mit der wir den Hitlergruß gemacht haben.“ 113 00:12:40,133 --> 00:12:42,999 Und ich sagte: "Das glauben Sie?" 114 00:12:43,000 --> 00:12:45,132 Und er sagte: "Ja, natürlich." 115 00:12:45,133 --> 00:12:50,432 Na, aber er hatte auf jeden Fall Angst, mit mir zu sprechen, nicht wahr, das war im Verborgenen. 116 00:12:50,433 --> 00:12:57,832 Na, ich würde sagen, er hat mir weder geschadet, noch geholfen, er hatte einfach Angst. 117 00:12:57,833 --> 00:13:00,932 IV: Sie haben die Bombardements erwähnt. 118 00:13:00,933 --> 00:13:05,332 Was konnten Sie eigentlich tun, wenn Bombardements gemeldet wurden? 119 00:13:05,333 --> 00:13:15,332 EŠ: Jeden Mittag flogen Hunderte, aber wirklich Hunderte Flugzeuge der Alliierten über uns und unsere Fabrik. 120 00:13:15,333 --> 00:13:22,032 Die SS-Leute schlossen uns immer in der obersten Halle ein, da war ein Flachdach. 121 00:13:22,033 --> 00:13:27,799 Dort schlossen sie uns ein und selbst liefen sie in den Luftschutzkeller, na, und uns ließen sie dort. 122 00:13:27,800 --> 00:13:32,532 Und weil das eine verglaste Halle war, sahen wir den Himmel. 123 00:13:32,533 --> 00:13:42,666 Na, und wir freuten uns unglaublich, denn wir sahen, dass die Flugzeuge darüberflogen, ohne dass überhaupt versucht wurde einzugreifen. 124 00:13:42,667 --> 00:13:48,766 Da sagten wir uns: "Das ist prima. Sie können einfach nicht mehr, das Ende ist nah." 125 00:13:48,767 --> 00:13:53,432 Na, ob wir dieses Ende erleben würden oder nicht, das war eine andere Geschichte, nicht wahr. 126 00:13:53,433 --> 00:14:01,999 Sie hätten auch über uns abwerfen können, weil wir ja damals Waffen gegen sie produzierten, ungewollt freilich. 127 00:14:02,000 --> 00:14:09,432 Und wir haben aber auch versucht, dass unsere Flügel manchmal ihren Dienst versagten, wenigstens das, nicht wahr. 128 00:14:09,433 --> 00:14:19,432 Ich habe zum Beispiel die Nietenschablone falsch herum angelegt oder so, nicht wahr, damit wir wenigstens auch einen Beitrag leisteten. 129 00:14:19,433 --> 00:14:26,899 IV: Sie haben erwähnt, dass Sie am Anfang auf dem Fabrikgelände untergebracht waren, wo haben Sie später gewohnt? 130 00:14:26,900 --> 00:14:38,766 EŠ: Später bauten sie äh über, bis Februar .. Im Februar kamen wir in die gerade fertig gestellten Baracken im Lager. 131 00:14:38,767 --> 00:14:46,266 Dort bauten sie weitere Baracken für uns, es war so ein Lager am Rande von Freiberg. 132 00:14:46,267 --> 00:14:54,232 Also hatten wir es weiter zur Arbeit, aber wir liefen immer im Finstern hin, nicht wahr, damit uns niemand sieht. 133 00:14:54,233 --> 00:15:05,366 Und die Baracken waren fürchterlich, weil man sie eben im Winter fertiggestellt hatte, die waren feucht, ungeheizt. 134 00:15:05,367 --> 00:15:16,999 Und über Mittag, wenn auf den Flachdächern der Schnee taute, tropfte das alles rein auf unsere Pritschen. 135 00:15:17,000 --> 00:15:21,932 Wenn wir also von der Arbeit kamen, fanden wir völlig durchnässte Decken vor. 136 00:15:21,933 --> 00:15:30,566 Im März tropfte das Wasser einfach oft herein und häufig auch, während wir schliefen. 137 00:15:30,567 --> 00:15:33,432 IV: Das war wohl nicht sonderlich angenehm. 138 00:15:33,433 --> 00:15:38,566 EŠ: Die Wärme, die in der Fabrik herrschte, hatten wir da nicht. 139 00:15:38,567 --> 00:15:45,966 Aber die Ungeziefer haben wir da wahrscheinlich eingeschleppt, die waren dort wieder. 140 00:15:45,967 --> 00:15:52,532 IV: Sie haben auch erwähnt, dass Sie quer durch die ganze Stadt marschieren mussten. 141 00:15:52,533 --> 00:15:59,199 Hatten Sie irgendwelche Kontakte oder haben Sie irgendwelche Reaktionen der deutschen Zivilbevölkerung wahrgenommen? 142 00:15:59,200 --> 00:16:05,666 EŠ: Nein, nein, auch später, als wir zurückkamen, haben wir danach gefragt. 143 00:16:05,667 --> 00:16:09,466 Vielleicht hat jemand etwas geahnt, das vielleicht. 144 00:16:09,467 --> 00:16:16,999 Als einzige hat uns nach dem Krieg eine Frau gesagt, dass ihr Vater in der Fabrik gearbeitet hat. 145 00:16:17,000 --> 00:16:22,399 Und dass er uns irgendwie erwähnt hat, aber sonst nichts. 146 00:16:22,400 --> 00:16:32,599 IV: Freiberg war aber nicht Ihre letzte Station auf Ihrer Irrfahrt durch die Kriegszeit. 147 00:16:32,600 --> 00:16:44,499 Was geschah eigentlich, als die Front näher kam, damit endeten wahrscheinlich auch die Lieferungen an die Fabrik und .. 148 00:16:44,500 --> 00:16:52,599 EŠ: Im April 1945 war schon zu sehen, dass alles zusammenbricht. 149 00:16:52,600 --> 00:16:58,999 Da waren die Luftangriffe auf Dresden auch schon vorrüber, die uns aus nächster Nähe betrafen, 150 00:16:59,000 --> 00:17:07,466 denn das war sehr sehr nah, auch die Flüchlinge aus Dresden kamen im Grunde genommen aus Freiberg. 151 00:17:07,467 --> 00:17:14,399 Und tatsächlich hörten wir schon Anfang April auf zu arbeiten. 152 00:17:14,400 --> 00:17:25,132 Und am 14. April – aber das weiß ich erst im Nachhinein aus den Unterlagen, damals haben wir die Zeit natürlich nicht so wahrgenommen – 153 00:17:25,133 --> 00:17:34,432 da verluden sie uns erneut in Waggons und dieses Mal ging es in Richtung Flossenbürg. 154 00:17:34,433 --> 00:17:38,566 Denn wir waren eigentlich ein Außenlager von Flossenbürg. 155 00:17:38,567 --> 00:17:41,299 IV: Woher wussten Sie das? 156 00:17:41,300 --> 00:17:50,832 EŠ: Das wussten wir irgendwie, wahrscheinlich weil wir Nummern hatten, und das waren Flossenbürger Nummern. 157 00:17:50,833 --> 00:17:53,866 IV: Und wie sahen diese Nummern aus? 158 00:17:53,867 --> 00:18:00,999 EŠ: Die waren auf unserer Kleidung aufgenäht. Oder darauf, was man als Kleidung bezeichnete. 159 00:18:01,000 --> 00:18:11,732 Nun, dieses Mal fuhren wir also in offenen Waggons, in solchen, in denen Kohle oder Holz transportiert wird. 160 00:18:11,733 --> 00:18:19,399 Und wir fuhren in die Richtung zu unserer Grenze, die wir dann auch überquerten. 161 00:18:19,400 --> 00:18:29,566 Das waren die Sudeten, nur wir dachten noch immer, dass wir eben in der Tschechoslowakei sind. Wir fühlten uns, als seien wir zu Hause. 162 00:18:29,567 --> 00:18:43,266 Na, und dann fuhren wir da lang, unterhalb des Erzgebirges, wir waren in Most, in Tře.., Třebech.., Třebechovice heißt das oder Třebonice oder so. 163 00:18:43,267 --> 00:18:43,632 IV: Třebušice. 164 00:18:43,633 --> 00:18:49,299 EŠ: Třebušice. Dort erlebten wir zu allem Überfluss noch einen Luftangriff. 165 00:18:49,300 --> 00:18:57,032 Und über Chomutov kamen wir dann also nach Pilsen. 166 00:18:57,033 --> 00:19:04,632 Dort verlud man uns aus diesen Waggons in Viehwaggons, aus irgendeinem Grund. 167 00:19:04,633 --> 00:19:09,399 Aber weiter in Richtung Flossenbürg sind wir nicht gekommen. 168 00:19:09,400 --> 00:19:15,432 Wir wussten nicht genau warum, es wurde halt erzählt, nicht wahr, es gab Gerede. 169 00:19:15,433 --> 00:19:23,332 Entweder, weil uns die Partisanen nicht durch den Böhmerwald lassen oder weil in Flossenbürg schon die Amerikaner sind. 170 00:19:23,333 --> 00:19:33,232 Wir wussten einfach, dass wir nicht nach Flossenbürg fahren. Das merkten wir, denn wir hatten die Karte der Republik noch im Kopf, nicht wahr. 171 00:19:33,233 --> 00:19:37,832 Und dann fuhren wir über Domažlice, Klatovy, Nýrsko. 172 00:19:37,833 --> 00:19:44,232 Na, aber das Beste war Horní Bříza {nachdrücklich}. In Horní Bříza hielten wir an. 173 00:19:44,233 --> 00:19:52,699 Die Leute dort bekamen es irgendwie heraus und es verbreitete sich, dass dort tschechische Gefangene stehen. 174 00:19:52,700 --> 00:19:55,266 Und die Leute kamen mit Essen. 175 00:19:55,267 --> 00:20:01,132 Sie kochten uns Suppe und brachten sogar ein paar Buchteln und so. 176 00:20:01,133 --> 00:20:10,532 Na, die SS-Leute wollten das anfangs gar nicht zulassen, na, aber dann haben sie das Essen ganz schlau geordert. 177 00:20:10,533 --> 00:20:13,899 Das bessere behielten sie für sich, aber sie gaben uns auch etwas. 178 00:20:13,900 --> 00:20:24,432 Darum ist Horní Bříza in unseren Erinnerungen einfach ein Eldorado mit wahnsinnig netten Menschen, denn sie brachten Essen. 179 00:20:24,433 --> 00:20:30,632 Wir waren schon, ich weiß nicht wie lang auf Reisen und hatten nichts gegessen, nicht wahr, Sie können es sich vorstellen. 180 00:20:30,633 --> 00:20:36,466 Na, und schließlich erreichten wir České Budějovice. 181 00:20:36,467 --> 00:20:42,499 Na, und von České Budějovice ging es weiter nach Süden, bis wir in Mauthausen ausstiegen. 182 00:20:42,500 --> 00:20:46,999 Dort trieben sie uns aus den Waggons. 183 00:20:47,000 --> 00:20:54,999 Das heißt, statt nach Flossenbürg kamen wir nach Mauthausen. Ende April war das. 184 00:20:55,000 --> 00:21:02,066 Na, und der Bahnhof von Mauthausen ist unten im Tal, das Lager ist oben. 185 00:21:02,067 --> 00:21:09,199 Das heißt der Weg aus dem Tal auf die Anhöhe war qualvoll. 186 00:21:09,200 --> 00:21:12,532 Ich wundere mich bis heute, dass ich das überhaupt laufen konnte, 187 00:21:12,533 --> 00:21:20,366 denn ich hatte diese schwere Mittelohrentzündung mit vierzig Grad Fieber. 188 00:21:20,367 --> 00:21:24,666 Na, aber ich habe es geschafft, die Mädchen haben mich gestützt {ergriffen}. 189 00:21:24,667 --> 00:21:41,366 Na, und sonst hatte Mauthausen einen fürchterlich schlechten Ruf, nicht wahr, das war bekannt, denn aus Mähren gingen die meisten Gefangenentransporte aus dem Kolleg, dem äh.. 190 00:21:41,367 --> 00:21:42,966 IV: Kounic.. 191 00:21:42,967 --> 00:21:46,432 EŠ: Aus dem Kaunitz-Kolleg nach Mauthausen und so.. 192 00:21:46,433 --> 00:21:57,199 Ich selbst wusste, dass aus unserer Prager Gruppe, äh.. dass eines unserer Mitglieder in Mauthausen umgekommen war. 193 00:21:57,200 --> 00:22:04,299 Das heißt also, als ich die Aufschrift auf dem Bahnhof sah und meinen Zustand und die Festung da oben, 194 00:22:04,300 --> 00:22:09,832 da habe ich damals, glaube ich, nicht groß daran geglaubt, dass ich es überstehe. 195 00:22:09,833 --> 00:22:14,932 Aber ich habe mir gesagt: „Mädel, du musst.“ {ergriffen} 196 00:22:14,933 --> 00:22:19,666 Na, und wir kamen ins Lager und .. 197 00:22:19,667 --> 00:22:27,232 Na, dort mussten wir wie üblich, nicht wahr, in Fünferreihen stehen, wir standen, standen und warteten. 198 00:22:27,233 --> 00:22:42,699 Na und hier hat mir, das vergesse ich nie zu erwähnen, sehr geholfen .. 199 00:22:42,700 --> 00:22:50,332 Können wir .. Ich muss mir wieder ein wenig die Tränen abwischen. 200 00:22:50,333 --> 00:22:54,899 IV: {unverständlich} 201 00:22:54,900 --> 00:23:01,766 EŠ: Nicht wahr. Aber ich muss mich dafür wappnen. 202 00:23:01,767 --> 00:23:03,666 IV: {unverständlich} 203 00:23:03,667 --> 00:23:11,066 EŠ: Nein, nein, es ist gut. Ich erinnere mich jetzt an diesen einen Mann und dann ist es wieder in Ordnung. 204 00:23:11,067 --> 00:23:20,966 Er kam zu mir, wie wir da so standen, da kam ein Häftling zu mir, nicht wahr, in diesem gestreiften Anzug. 205 00:23:20,967 --> 00:23:25,632 Und er sprach mich auf Deutsch an. 206 00:23:25,633 --> 00:23:33,466 Er fragte mich, woher ich komme, wer ich bin, wie alt ich bin, na, er hat einfach Kontakt aufgenommen. 207 00:23:33,467 --> 00:23:38,299 Und er sagte zu mir: „Na, ich bin Deutscher.“ 208 00:23:38,300 --> 00:23:41,566 Ich glaube, aus Hamburg, aber ich weiß es nicht mehr sicher. 209 00:23:41,567 --> 00:23:48,499 "Und ich sitze schon 12 Jahre. Und wenn ich schon 12 Jahre sitze und das überstanden habe, 210 00:23:48,500 --> 00:23:54,999 dann wirst du diese Weile, diese maximal 12 Tage auch überstehen, das musst du überstehen." 211 00:23:55,000 --> 00:23:59,832 "Wenn ich es so lang überstanden habe, dann wird du das Ende auch überstehen." 212 00:23:59,833 --> 00:24:03,899 Na, möglicherweise hat er mir ein Stück Brot gegeben, das weiß ich nicht mehr genau. 213 00:24:03,900 --> 00:24:11,799 Ich denke, das Brot war in diesem Moment nicht so wichtig wie die Tatsache, dass es jemand 12 Jahre in so etwas aushalten kann. 214 00:24:11,800 --> 00:24:17,732 IV: Das war sicher eine große Hilfe und eine moralische Stütze. 215 00:24:17,733 --> 00:24:22,699 Aber Sie waren ja ernsthaft krank, wie ging das weiter? 216 00:24:22,700 --> 00:24:38,599 EŠ: Nun, ich war so schlecht dran, dass meine Freundin aus dem Transport zufällig unter den tschechischen Häftlingen, 217 00:24:38,600 --> 00:24:41,632 die schon mehrere Jahre in Mauthausen waren 218 00:24:41,633 --> 00:24:53,166 und die bei der Ankunft, gleich nachdem man uns aus den Duschen gelassen hatten und uns irgendwo unterzubringen versuchte – 219 00:24:53,167 --> 00:24:59,799 denn in Mauthausen waren nur Männer, das war ein Männerlager und auf einmal kamen Frauen dorthin – 220 00:24:59,800 --> 00:25:11,599 da erkannte sie unter diesen Häftlingen einen ihrer ehemaligen Komplizen, den sie vom Verhör in Pankrác {d. h. aus dem Gefängnis Prag-Pankratz} kannte. 221 00:25:11,600 --> 00:25:19,932 Dem zeigte sie mich und sagte, ich sei krank und ob er mir nicht irgendwie helfen könne. 222 00:25:19,933 --> 00:25:29,366 Na, und am nächsten Morgen oder noch am gleichen Abend, denn das alles spielte sich abends und nachts ab, also ich weiß es nicht mehr, 223 00:25:29,367 --> 00:25:38,732 schickte er einen tschechischen Freund, einen Arzt, zu mir und der schaute sich das an. 224 00:25:38,733 --> 00:25:53,332 Wahrscheinlich hat er nichts zu mir gesagt, ich weiß es nicht, aber am nächsten Tag oder noch am gleichen Tag, das .. Die zeitlichen Sachen habe ich einfach nicht mehr im Kopf. 225 00:25:53,333 --> 00:26:03,266 Ich wurde also sofort, wahrscheinlich so schnell es möglich war, von einem russischen Häftling weggebracht. 226 00:26:03,267 --> 00:26:12,699 Sie nannten ihn Pfleger, ein Krankenpfleger, der im Revier beschäftigt war. Das Revier war das Krankenhaus. 227 00:26:12,700 --> 00:26:23,566 Also brachte er mich ins Häftlings.., also Krankenhaus zu Professor Podlaha {Prof. Josef Podlaha, Chirurg, später Dekan der medizinischen Fakultät der Masaryk-Universität in Brünn}. 228 00:26:23,567 --> 00:26:35,166 Professor Podlaha {lacht} hat zuerst mit ihm geschimpft, weil er mich nicht rasiert hinbrachte – wir waren ja ganz kahlgeschoren. 229 00:26:35,167 --> 00:26:42,132 Aber bei mir waren die Haare schon wieder ein bisschen gewachsen, ich hatte schon wieder zwei, drei Zentimeter auf dem Kopf. 230 00:26:42,133 --> 00:26:47,499 Und er hatte mir nur die Hälfte des Kopfes rasiert. 231 00:26:47,500 --> 00:26:55,932 Da, wo ich diese Mittelohrentzündung hatte. Er sagte: "In ein paar Tagen ist es vorbei, du bist ein Mädchen." 232 00:26:55,933 --> 00:27:01,566 Ich hatte in Theresienstadt unter anderem auch Russisch gelernt, so konnte ich jetzt ein wenig mit ihm reden. 233 00:27:01,567 --> 00:27:10,499 Also er sagte: „Du bist ein Mädchen, bist rasiert, da sollst du wenigstens auf der einen Hälfte Haare haben.“ {lacht} 234 00:27:10,500 --> 00:27:17,132 Und Professor Podlaha warf ihn hinaus und sagte: „Und was passiert mit der anderen Hälfte?" 235 00:27:17,133 --> 00:27:20,799 "Wer schneidet das? Du musst sie vollständig rasieren.“ {lacht} 236 00:27:20,800 --> 00:27:27,766 Na, und so rasierte er mir ganz mitleidig auch noch die andere Hälfte, er war so feinfühlig. 237 00:27:27,767 --> 00:27:29,866 Und er sagte: "Was soll man machen." 238 00:27:29,867 --> 00:27:36,666 Na, und ich lachte und sagte mir: „Nun, ob mit Haaren oder ohne {lacht}, Hauptsache am Leben.“ 239 00:27:36,667 --> 00:27:44,799 Und dann empfing uns Professor Podlaha. Er war sehr nett zu mir. 240 00:27:44,800 --> 00:27:49,166 Na, und dann, ich weiß nicht mehr wie, hat man mir irgendwie eine Narkose gegeben .. 241 00:27:49,167 --> 00:28:00,299 Na, auf jeden Fall wachte ich mit einem riesigen Verband auf dem Kopf auf, nicht wahr, den ganzen Kopf hatte ich verbunden. 242 00:28:00,300 --> 00:28:07,499 Aber mit Strümpfen an den Füßen, und das weiß wahrscheinlich nur ein ehemaliger Häftling, was das bedeutet, Strümpfe zu haben. 243 00:28:07,500 --> 00:28:11,366 Denn wir hatten nur diese Holzschuhe und höchstens noch ein paar Lappen. 244 00:28:11,367 --> 00:28:21,066 Na, und ich weiß, dass, bevor ich einschlief, Professor Podlaha zu mir sagte: 245 00:28:21,067 --> 00:28:26,666 „Na, und jetzt ist bald alles vorbei, alles wird gut. Du wirst sehen, dass du gesund zurück kommst.“ 246 00:28:26,667 --> 00:28:35,666 Na, und dann wachte ich dann irgendwie schon wieder auf dem Revier auf, in einem Bett. 247 00:28:35,667 --> 00:28:39,866 Ich weiß, dass ich um mich herum die Mädchen reden hörte: 248 00:28:39,867 --> 00:28:44,166 „Schaut mal, sie lebt, sie lebt.“ Sie haben sich sehr gewundert. 249 00:28:44,167 --> 00:28:53,499 Dann hörte ich irgendwelche Detonationen und Schüsse, und da wusste ich nicht, ob ich phantasierte oder ob es wahr war. 250 00:28:53,500 --> 00:28:58,232 Aber es war wahr, denn rund um Mauthausen wurden schon gekämpft. 251 00:28:58,233 --> 00:29:05,799 Die Amerikaner kamen, und es gab Kämpfe zwischen den SS-lern und den Amerikanern. 252 00:29:05,800 --> 00:29:13,932 Nun, und dann eines Tages, das war schon der 5. Mai, kamen die Mädchen zu mir. 253 00:29:13,933 --> 00:29:17,499 Da ging es mir noch schlecht, aber die Mädchen kamen und sagten: 254 00:29:17,500 --> 00:29:24,666 „Ein amerikanischer Panzer war da. Er ist zwar gleich wieder gefahren, aber wir sind frei.“ 255 00:29:24,667 --> 00:29:29,632 Und das, diese Nachricht .. Da übernahmen die Häftlinge das Lager. 256 00:29:29,633 --> 00:29:34,832 Es stand dort eine illegale Widerstandsorganisation bereit. 257 00:29:34,833 --> 00:29:41,332 Und die übernahm augenblicklich und begann sich um den Lagerbetrieb zu kümmern. 258 00:29:41,333 --> 00:29:56,066 Und ich wurde eines Tages aus dem Gefängniskrankenhaus, wie es da üblich war, in die ehemaligen SS-Baracken verlegt, die man zu einem Krankenhaus umfunktioniert hatte. 259 00:29:56,067 --> 00:30:06,032 Na, und nach der Operation lag ich dann äh unter einer Decke, bezogen, auf einem Kissen, in einem normalen Bett. 260 00:30:06,033 --> 00:30:08,066 IV: Das muss ja fast ein Paradies gewesen sein. 261 00:30:08,067 --> 00:30:10,999 EŠ: Aber sicher. 262 00:30:11,000 --> 00:30:17,532 IV: Und wie ging es dann weiter? Ich nehme mal an, dass es wahrscheinlich Ihr größter Wunsch war, nach Hause zu kommen. 263 00:30:17,533 --> 00:30:23,299 EŠ: Der Transport nach Hause wurde vorbereitet, er sollte am 19. Mai abfahren. 264 00:30:23,300 --> 00:30:29,532 Und mein Problem war, dass ich noch bettlägerig war. Ich lag im Bett. 265 00:30:29,533 --> 00:30:44,999 So habe ich schnell .. Es sollte eine Gesundheitskommission kommen und auswählen, wer gleich im ersten Transport nach Hause fährt und wer aus gesundheitlichen Gründen noch da bleiben muss. 266 00:30:45,000 --> 00:30:55,932 Da habe ich schnell aus einer alten SS-Uniform irgendwelche Kleider genäht und versucht, durch das Zimmer zu laufen. 267 00:30:55,933 --> 00:31:00,199 Na, das ist mir geglückt. Ich habe gelernt zu gehen. 268 00:31:00,200 --> 00:31:07,799 Und als die Kommission kam, habe ich gezeigt, dass ich laufen kann, und so kam ich in den ersten Transport nach Hause. 269 00:31:07,800 --> 00:31:16,999 Der Transport bestand aus mehreren Lastwagen, die die Jungs organisiert und in Ordnung gebracht hatten, und einem Bus. 270 00:31:17,000 --> 00:31:22,199 Dieser Bus war für die Schwächeren gedacht wie eben ich es war. 271 00:31:22,200 --> 00:31:25,866 Also fuhr ich mit dem Bus. Wir fuhren nach Budějovice. 272 00:31:25,867 --> 00:31:36,166 Auf der Fahrt mussten wir anhalten, denn bei uns war auch eine junge Mutter, bei der die Wehen einsetzten. 273 00:31:36,167 --> 00:31:37,199 IV: Und ist alles gut gegangen? 274 00:31:37,200 --> 00:31:42,466 EŠ: Alles ist gut gegangen, in Budějovice ließen sie sie zusammen mit dem Kind in der Klinik. 275 00:31:42,467 --> 00:31:53,766 Und diese heute 60-jährige Frau lebt bis heute und ist sehr hübsch. {lacht} 276 00:31:53,767 --> 00:31:55,832 IV: Und wie sind Sie dann von Budějovice aus weitergefahren? 277 00:31:55,833 --> 00:32:05,632 EŠ: In Budějovice sind wir umgestiegen, nach der Begrüßung auf dem Platz mit Brot und Salz und vielen Ehren. 278 00:32:05,633 --> 00:32:12,466 Wir stiegen in einen extra vorbereiteten Zug um und dieser Zug brachte uns bis nach Prag. 279 00:32:12,467 --> 00:32:16,766 Also, ich fuhr bis nach Prag. Wie die Nichtprager weiterfuhren, weiß ich nicht mehr. 280 00:32:16,767 --> 00:32:21,766 Aber unser Zug brachte uns nach Prag zum Hauptbahnhof. 281 00:32:21,767 --> 00:32:30,099 Und ich weiß, dass wir über den Bahnhof Vršovice fuhren. Dort liefen schon Leute herum und riefen Namen, ob nicht jemand angekommen ist. 282 00:32:30,100 --> 00:32:37,899 Denn offenbar fuhren die Züge schon wieder und die Leute kehrten zurück, und so suchte jeder seine Verwandten. 283 00:32:37,900 --> 00:32:42,799 IV: Und was haben Sie getan, als Sie auf dem Hauptbahnhof ausgestiegen sind? 284 00:32:42,800 --> 00:32:50,432 EŠ: Ich hatte in Prag eine Cousine, und so bin ich natürlich sofort zu ihr gegangen. 285 00:32:50,433 --> 00:32:54,732 Sie wohnte in Karlín, ich stieg also in die Straßenbahn. 286 00:32:54,733 --> 00:32:58,732 Ich stellte fest, dass ich kein Geld habe, dass ich nichts habe. 287 00:32:58,733 --> 00:33:04,732 Aber damals kamen noch Schaffner durch, und so hab' ich zum Schaffner gesagt: 288 00:33:04,733 --> 00:33:10,499 „Entschuldigen Sie, ich habe nichts, ich komme aus dem Konzentrationslager, nehmen Sie mich mit.“ 289 00:33:10,500 --> 00:33:19,166 Und so nahm er mich mit. Ich kam in Karlín an, schon abends nach zehn, nicht wahr. 290 00:33:19,167 --> 00:33:23,132 Das Haus war verschlossen, ich klingelte beim Hausmeister. 291 00:33:23,133 --> 00:33:30,032 Und ich weiß, dass man immer fünf Kronen hergab, und so habe ich mich entschuldigt, dass ich nicht mal diese fünf Kronen habe, 292 00:33:30,033 --> 00:33:36,332 aber dass ich zu Fräulein Žádková will und dass ich ihre Verwandte bin. 293 00:33:36,333 --> 00:33:38,832 Na, und er ließ mich dann wirklich zu ihr. 294 00:33:38,833 --> 00:33:49,432 Na, und ich kam also so spät an dem Abend zu meiner Cousine, bei der ich dann eine Weile wohnte. 295 00:33:49,433 --> 00:33:56,699 Na, und vor allem musste ich .. In die Wohnung meiner Eltern bin ich nicht gegangen. 296 00:33:56,700 --> 00:34:04,832 Na, ich musste mich umsehen, was ich mit mir anfangen wollte, um es mal so auszudrücken, nicht wahr. 297 00:34:04,833 --> 00:34:15,766 Na, und ich habe eine Möglichkeit gefunden, aufs Lehrerinstitut zu kommen. Damals dauerten die Lehrerinstitute vier Jahre. 298 00:34:15,767 --> 00:34:26,532 Ich sagte mir, das ist gut, da bin ich nach den vier Jahren Lehrerinstitut in der Lage mich zu ernähren, nicht wahr. 299 00:34:26,533 --> 00:34:30,999 Ich musste mir etwas suchen, womit ich mich schnell ernähren konnte. 300 00:34:31,000 --> 00:34:35,232 An irgendein langes Studium konnte ich keinen Gedanken verschwenden. 301 00:34:35,233 --> 00:34:45,332 Also bin ich da hin, das habe ich mir ausgesucht, und sie sagten mir die Bedingungen, unter denen sie mich nehmen. 302 00:34:45,333 --> 00:34:51,699 Ich glaube, sie gaben mir Bücher und Material, mit dem ich lernen konnte. 303 00:34:51,700 --> 00:34:57,699 Na, und dass ich im September zur Aufnahmeprüfung kommen sollte. 304 00:34:57,700 --> 00:00:00,000 Und so habe ich den ganzen Sommer lang gelernt.