1 00:00:07,167 --> 00:00:11,799 IV: In Prag haben Sie die Revolution erlebt, die Tage der Befreiung, die waren sicher glücklich. 2 00:00:11,800 --> 00:00:23,099 Erinnern Sie sich an die Tage kurz nach der Befreiung, als diese Gräueltaten passierten, auch an der deutschen, teilweise auch unschuldigen Bevölkerung? 3 00:00:23,100 --> 00:00:25,499 Haben Sie derartige Dinge auch in Prag erlebt? 4 00:00:25,500 --> 00:00:30,332 FW: Na, es gab einen solchen, harten Moment. Da waren meine Mutter und ich zu Hause. 5 00:00:30,333 --> 00:00:36,632 Und auf einmal war auf der Straße fürchterlicher Lärm und Geschrei zu hören, einfach Menschen, als würde dort eine große Menschenmenge gehen. 6 00:00:36,633 --> 00:00:40,199 Und so sind wir beide ans Fenster gegangen. Meine Mutter stand näher. 7 00:00:40,200 --> 00:00:45,332 Und sie begann zu schreien, nicht wahr: „Fanoušek, bleib weg." Was habe ich gesehen? 8 00:00:45,333 --> 00:00:56,632 Äh sie führten dort die Deutschen entlang, die nach den äh, nach den Barrikaden die Straße pflasterten und einen trugen sie auf einer Bahre. 9 00:00:56,633 --> 00:01:01,999 Er war voller Blut und meine Mutter wollte mir wohl diesen Anblick ersparen. 10 00:01:02,000 --> 00:01:07,432 Denn sie wusste nicht, was ich erlebt hatte, ich habe nicht mit ihr darüber gesprochen. 11 00:01:07,433 --> 00:01:13,999 Na und dabei war mir äh auch nicht gut. 12 00:01:14,000 --> 00:01:27,499 Denn die Dinge, die sich in Prag abspielten und schließlich auch im Grenzgebiet, nicht wahr, das stellte meinem Volk oder einem Teil davon kein gutes Zeugnis aus. 13 00:01:27,500 --> 00:01:38,366 Ich bin dafür zu bestrafen, aber man muss auch untersuchen und nur den wirklich Schuldigen angemessen bestrafen. Nicht so etwas. 14 00:01:38,367 --> 00:01:47,999 Ich habe dann.. Ich war im, im Büro, da wo wir in den Klub gingen, im Klub der Touristen. 15 00:01:48,000 --> 00:01:59,332 Und man brachte mir beispielsweise, ich weiß nicht, fünf oder sieben deutsche Frauen. Sie sollten dort sauber machen und die Fenster putzen und ich weiß nicht was. 16 00:01:59,333 --> 00:02:05,566 Und sie kamen, ich habe sie gar nicht bemerkt. Eine fragte mich, wo sie Wasser herbekommen könnte. 17 00:02:05,567 --> 00:02:09,632 Also habe ich ihr auf Deutsch geantwortet, wo das Wasser ist, das sie nehmen kann. 18 00:02:09,633 --> 00:02:14,432 Ich habe sie in Ruhe arbeiten lassen. Dann haben sie sich bedankt und sind gegangen. 19 00:02:14,433 --> 00:02:24,466 Nicht eine habe ich schräg angeschaut oder ihr zugesetzt. Weil das, das wäre Rache gewesen und die steht mir nicht zu. 20 00:02:24,467 --> 00:02:32,432 IV: Wie lange hat es gedauert, sich nach der Rückkehr aus dem Gefängnis wieder ins normale Leben zu integrieren? 21 00:02:32,433 --> 00:02:37,666 FW: Na, unsere Fabrik hat ja de facto nicht gearbeitet. 22 00:02:37,667 --> 00:02:42,066 Dort wurde im Prinzip nichts getan, als ich wiederkam. Dann kam sie unter die nationale Verwaltung 23 00:02:42,067 --> 00:02:49,099 Und im Grunde wurde nichts getan, also war ich mehr im Klub der Touristen, als dass ich dort gearbeitet hätte. 24 00:02:49,100 --> 00:02:58,832 Denn da war eigentlich nur die Arbeit vor Ort in den Lagerhallen und so weiter. Erst später bin ich dann zu einer, zu einer anderen Firma. 25 00:02:58,833 --> 00:03:06,732 Und natürlich begannen wir wieder mit der Pfadfinderei, wir begannen zu arbeiten. Das alles war im Mai zu Ende 26 00:03:06,733 --> 00:03:17,899 Und schon am ersten Juli waren wir an der Sázava. Da hatten wir halt eine Schulung, wo neue junge Leiter für die einzelnen Pfadfindereinheiten ausgebildet wurden. 27 00:03:17,900 --> 00:03:20,499 Und da haben wir uns sofort eingebracht. 28 00:03:20,500 --> 00:03:24,099 IV: In welchem Fachgebiet waren Sie nach dem Krieg tätig? 29 00:03:24,100 --> 00:03:32,332 FW: In meinem alten Bereich, weil das internationaler Verkehr war, also Speditionswesen, nicht wahr, deshalb Deutsch, deshalb auch Englisch. 30 00:03:32,333 --> 00:03:45,399 Denn man sagt, Deutsch sei die Sprache der Spediteure, Englisch die Sprache der Matrosen. Das war also eine wichtige (???) Angelegenheit. 31 00:03:45,400 --> 00:03:51,999 Vielleicht würde ich noch an eine Sache erinnern.. Aber das war dann schon in den fünfziger Jahren. 32 00:03:52,000 --> 00:04:00,799 Da waren wir einmal in der Altstadt bei der Synagoge Altenei, der Altneusynagoge in der Pariser Straße. 33 00:04:00,800 --> 00:04:05,066 Und dort war eine Touristengruppe und das waren Deutsche. 34 00:04:05,067 --> 00:04:13,599 Auf einmal schaue ich und sehe dort ein bekanntes Gesicht. Einen groß gewachsenen, kräftigen Mann. 35 00:04:13,600 --> 00:04:18,599 Und es war Herr Gall. Wie sein richtiger Name lautete, weiß ich nicht, das war ein Deckname. 36 00:04:18,600 --> 00:04:24,966 Das war der Prager Gestapo-Mann, der mich geschlagen hatte. 37 00:04:24,967 --> 00:04:32,932 Und beide haben wir uns gesehen, wir haben einander kurz angesehen und er wurde ganz fürchterlich rot im Gesicht. 38 00:04:32,933 --> 00:04:40,632 Ich habe mich umgeschaut, kein Polizist, zum Glück. Denn wie ich sage, da hätte ich mich gerächt und das ist nicht gut. 39 00:04:40,633 --> 00:04:44,832 Es reichte völlig aus, die Angst dieses Menschen zu sehen. 40 00:04:44,833 --> 00:04:51,332 Und das dauerte ein paar Minuten. Und es war für mich eine große Genugtuung. 41 00:04:51,333 --> 00:04:56,832 Ansonsten begannen wir ganz normal zu arbeiten.. 42 00:04:56,833 --> 00:05:02,166 IV: Nach dem Krieg, nach dem Krieg haben Sie beschlossen, ein Studium aufzunehmen. 43 00:05:02,167 --> 00:05:04,699 Wann haben Sie damit begonnen? Was hat Sie dazu gebracht? 44 00:05:04,700 --> 00:05:11,899 FW: Na, das war keine Entscheidung, wissen Sie, das sind solche Situationen, die das Leben eben mit sich bringt. 45 00:05:11,900 --> 00:05:24,132 Ich.. hier.. Ich war in so einer Kommission, die darüber entscheiden oder empfehlen sollte, ob hier ein Forschungsinstitut für Verpackungstechnik gegründet wird oder nicht. 46 00:05:24,133 --> 00:05:36,899 Und als man dann beschloss, dass es passieren sollte, fragte ich meinen künftigen Direktor, ob er jemanden für Exportverpackungen hat. 47 00:05:36,900 --> 00:05:39,999 Und er sagte: „Nein, habe ich noch nicht, wissen Sie nicht jemanden?“ 48 00:05:40,000 --> 00:05:43,999 Und ich sage: „Und ich wäre nichts für Sie?“ Und da war ich dann schon drin, nicht war, mit einem Schlag. 49 00:05:44,000 --> 00:05:50,432 Na, und dann dieser Betreffende, der war zwar in der Partei, ist aber dann nach Frankreich abgehauen. 50 00:05:50,433 --> 00:05:58,932 Und von diesem nächsten Direktor habe ich dann das Mechaniklabor übernommen. 51 00:05:58,933 --> 00:06:04,132 Ich sagte: „Schau, ich würde mir gern ein paar Sachen anlesen.“ 52 00:06:04,133 --> 00:06:09,399 Er sagte: „Was machst du denn? Du bist vom Außenhandel, dann mach doch den kompletten Außenhandel.“ 53 00:06:09,400 --> 00:06:13,666 Und so kam ich an die Hochschule. 54 00:06:13,667 --> 00:06:22,366 IV: Ich möchte noch fragen, ob Sie nach dem Krieg irgendwelche gesundheitliche Beschwerden hatten, die aus der Zeit Ihrer Inhaftierung stammten? 55 00:06:22,367 --> 00:06:27,232 FW: Das waren nur Kleinigkeiten, das war nichts Ernsthaftes. 56 00:06:27,233 --> 00:06:35,499 IV: Und dann habe ich noch so eine vorwitzige Frage. Wenn Sie heute darüber nachdenken könnten, würden Sie wieder in den Widerstand gehen? 57 00:06:35,500 --> 00:06:40,299 Würden Sie diesselbe Sache wieder tun, die dann zu Ihrer Verhaftung führte? 58 00:06:40,300 --> 00:06:48,499 FW: Äh ich würde es vielleicht so sagen: Das ist abhängig von der Situation und ergibt sich aus der ganzen Lebensphilosophie. 59 00:06:48,500 --> 00:06:58,999 Wenn man an so eine Gruppe gerät wie die, die Pfadfinderbewegung, dann reißt sie das komplett mit. 60 00:06:59,000 --> 00:07:08,999 Sie haben irgendeine Funktion, eine gewisse Pflicht, Sie haben Grundsätze, Sie haben ein bestimmtes moralisches Fundament. 61 00:07:09,000 --> 00:07:13,432 Also da gibt es keinen, da gibt es keinen Ausweg. 62 00:07:13,433 --> 00:07:20,466 Natürlich gab es Leute, die dem ein bisschen ausgewichen sind oder so, aber das waren sehr sehr wenige. 63 00:07:20,467 --> 00:07:25,332 Meistens, zumindest was ich weiß und was auch heute unsere Geschichte sagt.. 64 00:07:25,333 --> 00:07:32,732 Letzten Endes, wie ich es erwähnt habe, an diesem Krematorium in Strašnice ist diese Dankestafel, 65 00:07:32,733 --> 00:07:41,832 und es sind viele ums Leben gekommen und haben ihre Gesundheit eingebüßt. 66 00:07:41,833 --> 00:07:51,766 IV: Haben Sie Ihren Nächsten, Ihrer Familie, Ihren Freunden, die das nicht erlebt haben, von Ihrem Schicksal im Krieg erzählt? Haben Sie irgendwann darüber gesprochen? 67 00:07:51,767 --> 00:08:01,499 FW: Nein, Details überhaupt nicht, die Dinge, die ich heute von, von irgendwelchen Verhören und so erzählt habe. Ich habe keinerlei Details erzählt. 68 00:08:01,500 --> 00:08:09,966 Und ich bin zum Beispiel froh, dass meine Mutter oder meine Tante mich nicht danach gefragt haben, denn warum auch? 69 00:08:09,967 --> 00:08:14,499 Das sind wirklich unübertragbare Ergeignisse. 70 00:08:14,500 --> 00:08:18,899 Es gibt zwei Meinungen dazu. Eine ist die, die ich gesagt habe. 71 00:08:18,900 --> 00:08:29,832 Die andere vertreten meine Kameraden aus Flossenbürg, aus Lengenfeld, dass man darüber sprechen muss, dass man es der jungen Generation sagen muss. 72 00:08:29,833 --> 00:08:37,332 Ich glaube gerade gestern kam im Fernsehen, dass irgendein Buch heraus gekommen ist, in dem es heißt, dass es eigentlich keine Lager gab. 73 00:08:37,333 --> 00:08:47,166 Und dass wir, die wir das erlebt haben, mehr oder minder geschult wurden, damit wir das erzählen und dabei sei es gar nicht wahr. 74 00:08:47,167 --> 00:08:53,399 So nicht. Das sollte wirklich mit den härtesten Strafen geahndet werden, denn es ist eine Gefahr für die Menschheit. 75 00:08:53,400 --> 00:08:57,499 Aber wie es weitergeht, weiß ich nicht. 76 00:08:57,500 --> 00:09:10,499 Die, die moralische Messlatte, die liegt heute niedrig, wenn es überhaupt eine gibt. 77 00:09:10,500 --> 00:09:20,332 IV: Ich möchte gern noch fragen, seit wann Sie mit Ihren ehemaligen Kameraden aus der Zeit der Haft in Kontakt stehen, ob Sie mit ihnen in Kontakt stehen? 78 00:09:20,333 --> 00:09:28,499 Und ich weiß, dass Sie regelmäßig die Gedenkstätte Flossenbürg besuchen. Wenn Sie uns noch etwas dazu sagen könnten. 79 00:09:28,500 --> 00:09:32,032 FW: Ich fahre heute gern nach Flossenbürg. 80 00:09:32,033 --> 00:09:38,332 Weil das nicht mehr das Flossenbürg ist, das über mich kam, als ich damals dort war. 81 00:09:38,333 --> 00:09:42,532 Heute ist das.. Sie sagen ein Dorf, aber eigentlich ist es so eine Art Marktflecken. 82 00:09:42,533 --> 00:09:52,132 Es ist schon ganz schön hergerichtet, es ist angenehm und vom Lager sind nur noch sehr wenige Dinge geblieben. 83 00:09:52,133 --> 00:10:04,166 Äh was ich.. Wohin ich nicht gehe, das ist das Museum. Es ist aber keine Frage von Desinteresse. 84 00:10:04,167 --> 00:10:17,132 Aber dort bekommen die Erinnerungen eine solche Farbe und eine solche Tiefe, nicht wahr. Das wurde alles schon mal durchlebt und ich schaue nach vorn. 85 00:10:17,133 --> 00:10:25,332 Gottbewahre, dass das, was damals passiert ist, noch mal passiert. 86 00:10:25,333 --> 00:10:29,999 Obgleich, wenn Sie sich heute die Welt ansehen, dann.. 87 00:10:30,000 --> 00:10:41,032 Wissen Sie, was interessant ist? Dass wir heute eigentlich in der Zeit der Globalisierung leben, der wirtschaftlichen, der politischen. 88 00:10:41,033 --> 00:10:48,332 Und ich weiß nicht, ob ich rechthabe, als mir aufgefallen ist, dass sich sowohl das Gute als auch das Böse globalisieren. 89 00:10:48,333 --> 00:10:56,632 Aber das Böse mit einer etwas höheren Geschwindigkeit. Es globalisiert sich schneller als das Gute. 90 00:10:56,633 --> 00:11:03,766 IV: Ich weiß, dass Sie vor Jahren einen Antrag auf Entschädigung aus der deutschen Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gestellt haben 91 00:11:03,767 --> 00:11:10,299 und möchte fragen, ob der Betrag für Sie angemessen war, 92 00:11:10,300 --> 00:11:15,866 was Sie im Grunde von diesem Gedanken halten und ob Ihnen das irgendwie geholfen hat? 93 00:11:15,867 --> 00:11:19,999 FW: So betrachte ich die Sache nicht. 94 00:11:20,000 --> 00:11:24,499 Äh man hat uns was gegeben, Gott sei Dank dafür. 95 00:11:24,500 --> 00:11:32,499 Einen Teil habe ich meinen Kindern gegeben, mit einem Teil haben meine Frau und ich unseren Lebensunterhalt aufgebessert und jetzt liegt das hinter mir. {nachdrücklich} 96 00:11:32,500 --> 00:11:36,632 Ich analysiere nicht gern die alten Dinge 97 00:11:36,633 --> 00:11:43,832 Und ich werte ungern, was sehr gut ist, denn die Methoden sind nicht genau. 98 00:11:43,833 --> 00:11:55,799 IV: Wenn ich es recht verstehe, dann ist Ihr Verhältnis zur heutigen deutschen Gesellschaft oder zur heutigen jungen deutschen Generation offen und positiv. Ist das so? 99 00:11:55,800 --> 00:11:59,666 FW: Wissen Sie, ich habe über diese Frage schon lange nachgedacht. 100 00:11:59,667 --> 00:12:10,966 Und als ich, als ich sie mir ganz unumwunden gestellt habe, wie ich die, die Deutschen als Volk sehe, 101 00:12:10,967 --> 00:12:14,866 da habe ich mich gefragt: Aber wen meine ich denn damit, wen schließt das ein? 102 00:12:14,867 --> 00:12:24,166 Meine ich damit auch den Deutschen, den sie damals geschlagen haben, als er ins Lager kam und der dort in seinem Blut lag? 103 00:12:24,167 --> 00:12:30,999 Ist damit auch der SS-Mann gemeint, den man nur deshalb erschossen hat, weil er diesem einen Gefangenen ein Stück Brot gegeben hat? 104 00:12:31,000 --> 00:12:33,832 Welche Deutschen meine ich damit? 105 00:12:33,833 --> 00:12:43,799 Und wenn Sie so wollen, dann ist es völlig egal, ob Sie für das „X“ einen Deutschen, einen Tschechen, einen Franzosen oder einen beliebigen anderen einsetzen. 106 00:12:43,800 --> 00:12:48,699 Aber eine Frage bleibt, Gut und Böse. 107 00:12:48,700 --> 00:12:56,832 Also die Nationalität ist egal, entweder ist man ein guter Mensch oder ein schlechter. 108 00:12:56,833 --> 00:13:01,932 IV: Ich danke Ihnen vielmals für das schöne, angenehme und bereichernde Interview. 109 00:13:01,933 --> 00:00:00,000 FW: Danke.