1 00:00:00,100 --> 00:00:13,832 IV: Heute ist der 9. November 2013. Wir befinden uns in Zlín, in der Villa von Herrn Miroslav Zikmund, geboren am 14. Februar 1919. 2 00:00:13,833 --> 00:00:27,999 Mein Name ist Pavla Plachá. Ich werde mit Herrn Zikmund über seine Begegnung mit Häftlingen aus dem Konzentrationslager Flossenbürg sprechen, zu der es in Rokycany nach der Befreiung des Lagers kam. 3 00:00:28,000 --> 00:00:35,766 Herr Zikmund, ich würde Sie gerne fragen, auf welche Weise sie mit der Gruppe der tschechischen Gefangenen in Kontakt gekommen sind? 4 00:00:35,767 --> 00:00:40,932 Wie ist es überhaupt dazu gekommen, wie hat die ganze Geschichte eigentlich angefangen? 5 00:00:40,933 --> 00:00:53,266 MZ: Frau Plachá, es begann im Grunde genommen mit der unseligen Bombardierung Pilsens durch die Amerikaner ganz zu Ende des Krieges 6 00:00:53,267 --> 00:01:06,732 als wir eigentlich nur noch darauf gewartet haben, wann die Patton-Armee, die in den Ardennen auf große Schwierigkeiten gestoßen war, auf tschechoslowakisches Gebiet gelangt. 7 00:01:06,733 --> 00:01:09,832 Dann gab es verschiedene Vereinbarungen .. 8 00:01:09,833 --> 00:01:18,332 Ich korrigiere, dann gab es verschiedene Vermutungen, ob daran das Wetter schuld war oder schlechte Orientierung. 9 00:01:18,333 --> 00:01:30,566 Tatsache war, dass mehrere der vernichtenden Bomben sogar über dem zivilen Teilen Pilsens niedergingen, in der Gegend, wo meine Eltern wohnten. 10 00:01:30,567 --> 00:01:33,066 Ich war zu dieser Zeit in Prag angestellt. 11 00:01:33,067 --> 00:01:37,332 Als ich also davon gehört habe, bin ich so schnell wie möglich nach Pilsen gefahren. 12 00:01:37,333 --> 00:01:45,499 Und wir hatten Bekannte in Liblín unweit von Rokycany und dorthin ist die ganze Familie umgezogen. 13 00:01:45,500 --> 00:01:51,632 Dann auf einmal.. Wir haben selbstverständlich Rundfunk gehört. 14 00:01:51,633 --> 00:01:59,099 Am 5. Mai hörten wir, wie Prag um Hilfe ruft, über den Rundfunk. 15 00:01:59,100 --> 00:02:06,232 Und Miroslav Zikmund, dem Sokol-Turner, ist natürlich nichts besseres eingefallen, als sich zu Fuß auf den Weg zu machen. 16 00:02:06,233 --> 00:02:17,466 Und das auch noch gegen die vorrückenden oder vielmehr sich zurückziehenden Truppen der Schörner-Armee, 17 00:02:17,467 --> 00:02:25,032 die versucht haben, in Pilsen hinter der Demarkationslinie in die amerikanische Gefangenschaft zu kommen. 18 00:02:25,033 --> 00:02:30,832 Ich fuhr, oder besser gesagt ich kam zu Fuß in Rokycany an. 19 00:02:30,833 --> 00:02:41,499 Und da habe ich mich bei der neu gebildeten Garnisonskommandantur gemeldet. Das waren Offiziere, noch aus den Zeiten der Republik. 20 00:02:41,500 --> 00:02:45,366 Der eine hat mich gefragt: "Kannst Du irgendwelche Sprachen?" 21 00:02:45,367 --> 00:02:49,132 Da habe ich sie ihm aufgezählt, so fünf oder sechs. Und er darauf: "Na, das ist ja fabelhaft!" 22 00:02:49,133 --> 00:02:55,432 "Du wirst hier Dolmetscher machen zwischen den Sowjets und den Amerikanern, wenn es soweit ist ..." 23 00:02:55,433 --> 00:02:58,499 Dazu ist es dann auch wirklich gekommen. 24 00:02:58,500 --> 00:03:12,499 Zugleich haben sie mich.. Und zu der Zeit kamen gerade Gefangene aus verschiedenen Konzentrationslagern durch Rokycany. 25 00:03:12,500 --> 00:03:16,332 Und weil ich immer meinen Fotoapparat dabei hatte, 26 00:03:16,333 --> 00:03:23,632 erhielt ich, nachdem die Verhandlungen zwischen Sowjets und Amerikanern zu Ende waren, 27 00:03:23,633 --> 00:03:39,666 von diesem Kommandanten in Rokycany den Auftrag, zwei Lastwagen zu begleiten.. Nein, es war nur ein Lastwagen. 28 00:03:39,667 --> 00:03:50,732 Ich erinnere mich sogar noch, dass er mit einem Holzvergaser fuhr. Das kennen Sie heute höchstens vielleicht noch aus der Geschichte. 29 00:03:50,733 --> 00:04:00,499 Weil es nämlich kein Benzin mehr gab. Das ging komplett in die Versorgung der Armee, der deutschen Armee, versteht sich. 30 00:04:00,500 --> 00:04:03,566 Also ist man mit Holzgas gefahren. 31 00:04:03,567 --> 00:04:09,499 Auf dem Foto, das ich habe, auf einem der Fotos, die ich da dann aufgenommen habe, 32 00:04:09,500 --> 00:04:19,499 ist sogar noch dieser Kessel zu sehen, was für heutige Autofahrer völlig unvorstellbar ist. 33 00:04:19,500 --> 00:04:28,066 Ich habe die "KZ-ler".. Ich nehme das Wort nicht gern in den Mund, aber sie haben sich tatsächlich selbst so genannt. 34 00:04:28,067 --> 00:04:33,132 Sie trugen die unterschiedlichste Kleidung. Wenn ich mir dieses Foto jetzt ansehe.. 35 00:04:33,133 --> 00:04:39,999 Vor allem hatten sie eine tschechoslowakische Fahne, die sie stolz getragen haben in diesem.. 36 00:04:40,000 --> 00:04:49,432 Und ich kann mir vorstellen, dass sie nach all den Jahren, die sie in diesem wahnwitzigen Umfeld verbracht haben, stolz darauf waren. 37 00:04:49,433 --> 00:04:57,599 Einer von ihnen hat hier offenbar eine deutsche Militärmütze auf dem Kopf. 38 00:04:57,600 --> 00:05:03,299 Die anderen sind eigentlich alle ohne jegliche Kopfbedeckung. 39 00:05:03,300 --> 00:05:14,166 Einfach in den Monturen, die sie irgendwo zusammengeklaubt hatten, quetschten sie sich also gerade so auf die Ladefläche dieses Lastwagens. 40 00:05:14,167 --> 00:05:19,132 Und alle haben gestanden. Weil es dort keinen Platz gab. 41 00:05:19,133 --> 00:05:24,999 Ich glaube, es waren so etwa 18 oder 20. Das kann man später noch genau zählen. 42 00:05:25,000 --> 00:05:27,532 Dieser Zug war ziemlich.. 43 00:05:27,533 --> 00:05:37,399 Ich habe den Auftrag bekommen, den Transport nach Tábor zu eskortieren. 44 00:05:37,400 --> 00:05:41,699 Denn der Großteil der Häftlinge war aus Südböhmen. 45 00:05:41,700 --> 00:05:51,766 Das war ziemlich schwierig, denn zu dieser Zeit wurde zwischen Příbram und, ich glaube Milín, noch gekämpft. 46 00:05:51,767 --> 00:05:56,366 Obwohl das war.. Dieses Foto habe ich am 10. Mai gemacht. 47 00:05:56,367 --> 00:05:59,999 Aber erst am Zwölften, glaube ich, wurden die Gefechte definitiv eingestellt. 48 00:06:00,000 --> 00:06:10,166 Also selbst einige Tage nach Unterzeichnung des Waffenstillstandes gab es noch Kämpfe zwischen der Wlassow-Armee und den Resten der abziehenden deutschen Truppen. 49 00:06:10,167 --> 00:06:15,999 Wir mussten also einen weiten Bogen über Příbram machen, dann zurück nach Prag. 50 00:06:16,000 --> 00:06:21,066 Und dann sind wir über Jince schließlich nach Tábor gekommen. 51 00:06:21,067 --> 00:06:28,466 Und da habe ich mich dann von meinen Schützlingen verabschiedet. 52 00:06:28,467 --> 00:06:31,166 Seither habe ich keinen von ihnen wiedergesehen. 53 00:06:31,167 --> 00:06:39,499 Aber bemerkenswert war, ich habe allen versprochen, dass ich ihnen die zwei Fotos schicke, die ich dort aufgenommen habe. 54 00:06:39,500 --> 00:06:49,799 Allerdings: Ich bin dann nach Prag zurückgekehrt, das muss so um den 15. Mai gewesen sein. 55 00:06:49,800 --> 00:07:00,832 Und dann begann eine hektische Zeit, denn nach den sechs Jahren, in denen die Hochschulen geschlossen gewesen waren, war unser primäres Interesse 56 00:07:00,833 --> 00:07:08,632 zu Ende zu studieren, also von mir und Jiří Hanzelka, mit dem ich damals schon die Weltreise geplant habe. 57 00:07:08,633 --> 00:07:12,532 Die Schließung der Hochschulen hatte uns im dritten Semester überrascht. 58 00:07:12,533 --> 00:07:18,499 Und nun musste ich also alle Sachen umziehen. 59 00:07:18,500 --> 00:07:26,966 Meine Bibliothek und alles habe ich aus dem ausgebombten Pilsen nach Prag geholt. 60 00:07:26,967 --> 00:07:35,666 Und die Liste der 18 KZ-Häftlinge, die mir handschriftlich Herr Sivera gegeben hat .. 61 00:07:35,667 --> 00:07:42,132 Das war .. Er hieß František, erinnere ich mich. Er war der Bürgermeister von České Velenice. 62 00:07:42,133 --> 00:07:45,499 Kurzum, ich habe die Liste irgendwo verloren. 63 00:07:45,500 --> 00:07:56,032 Und erst nach vielen Jahren, als ich mein Archiv und meine Bibliothek und so geordnet habe, da ist sie wieder aufgetaucht. 64 00:07:56,033 --> 00:08:05,232 Das war 1975, also genau 30 Jahre nach den Geschehnissen. 65 00:08:05,233 --> 00:08:12,666 Sie können sich vorstellen, dass ich davon ausgehen musste, dass eine Reihe von denen, die damals dabei waren, entweder schon nicht mehr am Leben ist 66 00:08:12,667 --> 00:08:19,932 oder dass sie gesundheitlich in einem solchen Zustand sind, der es ihnen nicht erlauben würde, auf den Brief vielleicht auch nur zu antworten. 67 00:08:19,933 --> 00:08:25,066 Also habe ich 18 oder 20 Durchschläge angefertigt. 68 00:08:25,067 --> 00:08:31,932 Denn zu einem Vervielfältigungsgerät hatte ich damals keinen Zugang, zu dieser Zeit. 69 00:08:31,933 --> 00:08:39,099 Wir dürfen nicht vergessen, das war bereits die strenge Zensur unter Husák, nicht wahr, die sogenannte Normalisierung. 70 00:08:39,100 --> 00:08:42,632 Also habe ich die Durchschläge gemacht, so, dass es noch lesbar war. 71 00:08:42,633 --> 00:08:48,032 Und zusammen mit den zwei Fotografien habe ich das an jeden Teilnehmer geschickt. 72 00:08:48,033 --> 00:08:54,666 Dann war ich.. Das war einfach unglaublich, wie viele Antworten ich bekommen habe. 73 00:08:54,667 --> 00:09:01,232 Hier habe ich alle abgeheftet. Sie haben sie zur Verfügung. Sie können Sie einscannen, auch die Umschläge. 74 00:09:01,233 --> 00:09:15,932 Das waren menschliche Schicksale, wo die Leute zum einen überrascht waren, dass sich nach dreißig Jahren jemand bei ihnen meldet, auch noch mit Fotos, auf denen sie selbst waren. 75 00:09:15,933 --> 00:09:27,199 Leider waren es in vielen Fällen auch traurige Briefe, denn sie schrieben: Der Großvater lebt nicht mehr, er starb dann und dann. 76 00:09:27,200 --> 00:09:31,666 Und trotzdem haben sie mir gedankt, dass ich mich daran erinnert habe. 77 00:09:31,667 --> 00:09:46,832 Und dass sie überhaupt ein Beleg hatten, wie ihr Verwandter, manchmal der Vater, manchmal gar der Großvater, ausgesehen hat, als er in diesem erbärmlichen Zustand aus dem Konzentrationslager zurückkam. 78 00:09:46,833 --> 00:09:51,866 Das ist also in Kürze die ganze Geschichte. 79 00:09:51,867 --> 00:10:01,166 Ich denke, dass diese Schicksale der Menschen, die solche schrecklichen Leiden durchgemacht haben.. 80 00:10:01,167 --> 00:10:11,766 Das wissen wir aus Vergleichen mit anderen Konzentrationslagern, mit Dachau und ähnlichen, dass, dass sie sich mehrheitlich gar nicht mehr erinnern wollten. 81 00:10:11,767 --> 00:10:25,532 Ich selbst habe das bei einem Mitschüler erlebt, der als Student nach der Schließung der tschechischen Universitäten im Jahr 1939 eingesperrt war. 82 00:10:25,533 --> 00:10:31,566 Er ist zurückgekehrt, und obwohl wir enge Freunde waren, wollte er nichts darüber erzählen. 83 00:10:31,567 --> 00:10:45,332 Zum Einen, das hat er mir später in einem vertraulichen Augenblick anvertraut, weil er den Gestapo-Aufsehern schwören musste, dass er niemals darüber sprechen wird. 84 00:10:45,333 --> 00:10:51,432 Denn in dem Moment, in dem sie etwas verraten hätten, würden sie sie finden und dann würde kurzer Prozess gemacht. 85 00:10:51,433 --> 00:10:57,999 Das hat in den Leuten fortgewirkt. Viele haben bis zu ihrem Tod gelitten. 86 00:10:58,000 --> 00:11:10,199 Einfach an diesen, diesen nicht vermittelbaren Erlebnissen, die ein Mensch kaum glauben mag, der sie nicht mit eigener Haut erfahren hat. 87 00:11:10,200 --> 00:11:14,166 Das ist in Kürze alles, was ich Ihnen dazu sagen kann. 88 00:11:14,167 --> 00:11:23,499 IV: Wenn Sie erlauben, würde ich gerne nochmals zum Mai 1945 zurückkommen, als sie zum ersten Mal zu dem Lastwagen mit den Häftlingen gekommen sind. 89 00:11:23,500 --> 00:11:30,332 Könnten Sie noch etwas zu der Reise sagen? Wie sie abgelaufen ist, wie lange sie überhaupt gedauert hat? 90 00:11:30,333 --> 00:11:37,332 Wie haben Sie mit den Häftlingen gesprochen, haben Sie Ihnen zum Beispiel etwas darüber erzählt, was mit ihnen geschehen ist? 91 00:11:37,333 --> 00:11:41,999 MZ: Frau Plachá, wissen Sie, dass ist eine Sache, bei der ich Ihnen nur schwer.. 92 00:11:42,000 --> 00:11:46,999 Zum Einen standen die meisten von ihnen, nein, nicht die meisten, alle standen auf der Ladefläche. 93 00:11:47,000 --> 00:11:49,866 Ich saß neben dem Fahrer dieses Lastwagens. 94 00:11:49,867 --> 00:11:54,932 Manchmal wurde mir bewusst: du bist ein junger Kerl und gesund. 95 00:11:54,933 --> 00:12:04,332 Also habe ich, wenn es ab und zu diese, naja, unvermeidlichen Halte gab, einige von ihnen aufgefordert, sich zu setzen. 96 00:12:04,333 --> 00:12:09,366 Dass ich an ihrer Stelle stehe, damit sie sich ausruhen können. 97 00:12:09,367 --> 00:12:12,966 Es ist interessant, dass das alle abgelehnt haben. 98 00:12:12,967 --> 00:12:17,066 Sie sagten: "Wir sind froh, dass wir nach Hause zurückkehren." 99 00:12:17,067 --> 00:12:25,199 "Wir haben weitaus Schlimmeres überstanden. Das ist für uns ein Spaziergang, dass wir stehen können und dass es nach Hause geht." 100 00:12:25,200 --> 00:12:38,999 Trotzdem habe ich vielleicht zwei- oder dreimal, wenn ich gesehen habe, dass jemand erschöpft ist und sich an der Ladefläche festhält, mit ihm Platz getauscht. 101 00:12:39,000 --> 00:12:45,999 Aber dafür, dass es Zeit gegeben hätte, sich etwas zu erzählen, dafür war in diesem Moment einfach keine Zeit. 102 00:12:46,000 --> 00:12:47,466 IV: Wie haben die Leute ausgesehen? 103 00:12:47,467 --> 00:13:06,366 MZ: Also, dafür, dass sie solche Leiden hinter sich hatten, mussten sie, und das ist mir jetzt eher beim Betrachten der Fotos bewusst geworden, einen unglaublichen Lebenswillen haben. 104 00:13:06,367 --> 00:13:18,266 Nicht wahr, sie waren alle, alle waren selbstverständlich abgemagert, erschöpft. Aber diese Energie, die sie geschöpft hatten durch.. 105 00:13:18,267 --> 00:13:27,766 Einer hat mir dann erzählt, als sie die Grenze überschritten hatten, wie sie sich hingekniet und den Boden geküsst haben, einfach weil sie auf einmal wieder zu Hause waren. 106 00:13:27,767 --> 00:13:33,232 Das sind so meine kleinen Erinnerungen. 107 00:13:33,233 --> 00:13:40,432 Aber dafür, dass ich sie irgendwie be.., befragte hätte, oder sogar irgendwelche Notizen gemacht hätte.. 108 00:13:40,433 --> 00:13:46,232 Das war eigentlich meine Angewohnheit, ich führe seit meiner Schulzeit bis heute Tagebuch. 109 00:13:46,233 --> 00:13:54,532 Aber ich sage es nochmals. Das war so eine angespannte Zeit, dass für solche Dinge, solche Details einfach keine Zeit war. 110 00:13:54,533 --> 00:14:06,899 Na, und jetzt verstehen Sie sicher, dass seither, wieviele Jahre sind es, 45, 55, 68 Jahre vergangen sind, wenn ich richtig rechne. 111 00:14:06,900 --> 00:14:21,099 In meinem Kopf sind seitdem so viele andere Erlebnisse dazugekommen, dass die Einzelheiten aus diesen Tagen nur noch schwache Erinnerungen sind. 112 00:14:21,100 --> 00:14:26,866 Denn ich habe ja in der Zwischenzeit mit Jirka Hanzelka die beiden Reisen gemacht. 113 00:14:26,867 --> 00:14:31,699 Und die mussten wir dann literarisch und filmisch verarbeiten.. 114 00:14:31,700 --> 00:14:40,932 Also, die detaillierten Erinnerungen an diesen zeitlich weit entfernten Abschnitt sind logischerweise verblasst. 115 00:14:40,933 --> 00:14:48,299 IV: Erinnern Sie sich denn noch wenigstens ungefähr, wie lange die Reise gedauert hat und ob es eventuell einige Schwierigkeiten gab, die sie überwinden mussten? 116 00:14:48,300 --> 00:14:53,999 Hatten Sie vielleicht Probleme mit Treibstoffmangel oder etwas in dieser Art? 117 00:14:54,000 --> 00:15:05,166 MZ: Äh dieser Holzvergaser funktionierte, würde ich sagen, so zuverlässig, dass wir einfach angehalten haben, wenn der Treibstoff ausging. 118 00:15:05,167 --> 00:15:11,866 Dieser Fahrer, der hatte schon Erfahrung damit. Er hatte eine Axt und eine Säge dabei. 119 00:15:11,867 --> 00:15:20,266 Also hat er im Wald irgendwo trockene Äste zusammengesucht. Die hat er in den Kessel geladen und nach einer Stunde ging es weiter. 120 00:15:20,267 --> 00:15:28,632 Das ist heute, wenn Sie das jemandem erzählen, der es gewohnt ist, an einer der unzähligen Tankstellen zu halten, 121 00:15:28,633 --> 00:15:36,999 und sich aussucht, welche Sorte Benzin er braucht, also dann ist das einfach unglaublich, aber so waren damals die Zeiten. 122 00:15:37,000 --> 00:15:43,766 Daran erinnere ich mich noch ganz deutlich, dass wir irgendwo bei einem Wald angehalten haben und der Fahrer ist rausgesprungen. 123 00:15:43,767 --> 00:15:51,399 Und immer, wenn er nach einem Halt gesucht hat, dann konnten sich die Transportierten körperlich erleichtern, nicht wahr. 124 00:15:51,400 --> 00:15:58,766 Und er ist immer hergekommen und hat einige von ihnen gebeten, ihm zu helfen. 125 00:15:58,767 --> 00:16:04,566 Denn allen lag daran, dass der Transport so kurz wie möglich dauert. 126 00:16:04,567 --> 00:16:08,932 Also sind immer einige von ihnen rausgesprungen und haben im Wald trockenes Holz gesammelt. 127 00:16:08,933 --> 00:16:13,366 Es konnte . Frisches Holz durfte es nicht sein, das hätte nicht gebrannt, nicht wahr. 128 00:16:13,367 --> 00:16:21,266 Dann hat er im Kessel eingeheizt, das Holz aufgelegt und wenn genug Gas entstanden war, sagte er: "Und weiter geht´s!" 129 00:16:21,267 --> 00:16:23,999 Also daran erinnere ich mich noch ganz lebendig. 130 00:16:24,000 --> 00:16:25,599 IV: Sind Sie auch nachts gefahren? 131 00:16:25,600 --> 00:16:30,966 MZ: Wir haben angehalten, denn, wissen Sie, jetzt weiß ich es nicht einmal.. 132 00:16:30,967 --> 00:16:37,699 Ja, ich weiß, dass wir über Nacht in Příbram geblieben sind. 133 00:16:37,700 --> 00:16:42,099 Dort war zu der Zeit schon die sowjetische Armee. 134 00:16:42,100 --> 00:16:49,199 Also dort habe ich zum ersten Mal die siegreichen russischen Soldaten getroffen. 135 00:16:49,200 --> 00:16:55,999 Und weil ich sehr gut russisch gesprochen habe, waren die ganz glücklich und wir haben erzählt und uns fotografiert. 136 00:16:56,000 --> 00:16:58,466 Ich habe hier auch ein paar Fotografien aus der Zeit. 137 00:16:58,467 --> 00:17:03,666 Da haben wir also übernachtet, ich glaube, das war irgendeine Turnhalle oder so.. 138 00:17:03,667 --> 00:17:10,499 Da war das schon so eingerichtet, dass sie da solche tragbaren Feldbetten hatten. 139 00:17:10,500 --> 00:17:19,832 Solche zum Ausklappen, was für die KZ-ler natürlich ein luxuriöses Nachtlager war. 140 00:17:19,833 --> 00:17:29,932 Dann mussten wir zurück über Jince, weil wie gesagt da wurde noch gekämpft und es war gefährlich da.. 141 00:17:29,933 --> 00:17:34,666 Dort haben sie uns gewarnt: "Fahrt nicht weiter, denn da kämpfen sie noch." 142 00:17:34,667 --> 00:17:39,832 Also mussten wir zurück und sind dann erst nach drei Tagen nach Tábor gekommen. 143 00:17:39,833 --> 00:17:42,399 Und da habe ich mich von ihnen verabschiedet. 144 00:17:42,400 --> 00:17:48,832 IV: Waren Sie Zeuge davon, wie die Häftlinge zum Beispiel von jemandem aus der Familie begrüßt wurden, oder.. ? 145 00:17:48,833 --> 00:17:54,632 MZ: Nein. Nein. Die meisten von ihnen waren wie gesagt aus Südböhmen. 146 00:17:54,633 --> 00:17:59,932 Und in Tábor, da war quasi.. Dort endete meine Pflicht. 147 00:17:59,933 --> 00:18:13,632 Da hatte ich quasi diese, diesen Befehl des Kommandanten erfüllt. Was heißt Kommandant, das war irgendein Kapitän aus der ersten Republik, nicht wahr. 148 00:18:13,633 --> 00:18:19,499 Also bin ich dann zurückgekehrt. Ich machte ihm formell die Meldung. 149 00:18:19,500 --> 00:18:24,432 Er hat mir eine Bescheinigung ausgestellt, dass ich in dieser Zeit.. 150 00:18:24,433 --> 00:18:29,432 Die habe ich sogar hier im Archiv, wenn Sie Interesse haben, kann ich sie vielleicht heraussuchen. 151 00:18:29,433 --> 00:18:33,332 Was auch interessant ist, er hat mir das von selbst angeboten. 152 00:18:33,333 --> 00:18:43,299 Er hat gesagt: "Wenn du irgendwann mal einen Beleg brauchst, was du unmittelbar nach dem Krieg gemacht hast, bringt es dir vielleicht was." 153 00:18:43,300 --> 00:18:53,832 Er hat mich natürlich geduzt, weil ich damals.. wie alt war ich? Na, sechsundzwanzig. 154 00:18:53,833 --> 00:18:58,132 IV: Und als Sie sich von ihnen verabschiedet haben, sind Sie dann mit dem gleichen Wagen zurückgefahren? 155 00:18:58,133 --> 00:19:01,799 MZ: Ich bin zurückgefahren und habe ihn abgegeben. 156 00:19:01,800 --> 00:19:06,499 Wissen Sie, ich weiß es nicht einmal.. Ich denke, ich bin damals.. 157 00:19:06,500 --> 00:19:11,832 Also dieses Auto, ich weiß nicht, wem es gehörte. 158 00:19:11,833 --> 00:19:18,866 Das kann ich Ihnen jetzt gar nicht sagen, da müsste ich suchen. Aber womöglich ist das nicht mal im Tagebuch, dafür war keine Zeit. 159 00:19:18,867 --> 00:19:23,366 Denn ich habe mich schon beeilt, dass ich so schnell wie möglich nach Prag komme, nicht wahr. 160 00:19:23,367 --> 00:19:31,666 Also vielleicht habe ich ihn dagelassen, so als Kriegsbeute, denn irgendwo mussten sie ihn ja herhaben. 161 00:19:31,667 --> 00:19:45,966 Sie haben da mit Kalk oder irgendeiner Ölfarbe draufgeschrieben: Konzen.., nochmal, Konzentrationslager Flossenbürg. 162 00:19:45,967 --> 00:19:50,866 Also das kann ich Ihnen nicht mehr genau sagen. Da müsste ich, da müsste ich mir etwas ausdenken. 163 00:19:50,867 --> 00:19:57,832 Entweder habe ich den Wagen da gelassen, was wahrscheinlicher ist, weil ich mich gar nicht gekümmert habe. 164 00:19:57,833 --> 00:20:03,466 Ich bin einfach auf dem kürzest möglichen Weg zurück nach Rokycany. 165 00:20:03,467 --> 00:20:11,166 Da habe ich Meldung gemacht, wie sich das gehört, und dann schnell schnell, Hurra nach Prag. 166 00:20:11,167 --> 00:20:15,666 IV: Haben Sie damals zum ersten Mal vom KZ Flossenbürg gehört? 167 00:20:15,667 --> 00:20:18,932 MZ: Zum ersten Mal. Zum ersten Mal. Ich habe.. 168 00:20:18,933 --> 00:20:36,299 Verstehen Sie, die heutigen Historiker oder die so genannten Historiker in Anführungszeichen, gehen oft davon aus, dass sie die Entwicklung von diesem Moment bis heute kennen. 169 00:20:36,300 --> 00:20:38,999 Was ich ihnen übel nehme. 170 00:20:39,000 --> 00:20:47,499 Es ist schwer, sich in eine Situation zu versetzen, die vom Augenblick bestimmt ist. 171 00:20:47,500 --> 00:20:59,499 Ich bin oft in Gesprächen mit Menschen darauf gestoßen, die mich gefragt haben, ob die Abschiebung der Deutschen gerecht war oder nicht. 172 00:20:59,500 --> 00:21:09,932 Jemand, der nicht diese sechs Kriegsjahre erlebt hat, diese Erniedrigung, diese unaufhörliche.. 173 00:21:09,933 --> 00:21:12,499 Ich sage Ihnen das an einem konkreten Beispiel. 174 00:21:12,500 --> 00:21:22,666 1942, als ich noch angestellt war im Böhmisch-mährischen Verband für Milch, Fett und Eier. 175 00:21:22,667 --> 00:21:31,499 Das waren halt so genannte Verbände, die für die Versorgung mit Lebensmitteln und die Distribution zuständig waren. 176 00:21:31,500 --> 00:21:38,366 Angefangen von Mehl, Fleisch bis hin zu – jetzt werden Sie vielleicht lachen – Kunsthonig. 177 00:21:38,367 --> 00:21:44,232 Für die Distribution von Kunsthonig gab es eine eigene Organisation. 178 00:21:44,233 --> 00:21:52,132 Der wurde aus allen möglichen Chemikalien hergestellt, nur Honig war nicht drin, echter Bienenhonig. 179 00:21:52,133 --> 00:22:02,666 Also, wenn mir so eine Frage gestellt wurde, dann ist mir immer mein {Arbeits-}Weg eingefallen. Ich habe damals in Nusle gewohnt. 180 00:22:02,667 --> 00:22:16,999 Und ich lief zu Fuß eine Viertelstunde, zwanzig Minuten bis in die damalige Lützowstraße, die war an der Ecke vom Wenzelsplatz und der heutigen Opletalová-Straße. 181 00:22:17,000 --> 00:22:28,666 Im Jahr '42 nach der Heydrichiade musste ich auf meinem Weg an mehreren Lautsprechern vorbei. 182 00:22:28,667 --> 00:22:44,999 Aus denen war jeden Tag eine stereotype Stimme zu hören: "Es wurde verhaftet ...". Dann kam der Name: "... und nach Standrecht hingerichtet." 183 00:22:45,000 --> 00:22:48,666 Das waren endlose Ansagen. 184 00:22:48,667 --> 00:23:01,632 Und jetzt, wenn Sie noch die Erniedrigung von uns Studenten dazunehmen, die wir schnell unser Studium abschließen wollten, um.. 185 00:23:01,633 --> 00:23:06,466 Denn wir stud.., sowohl Jirka als auch ich studierten an der Höheren Handelsschule. 186 00:23:06,467 --> 00:23:20,932 Die Absolventen waren sogenannte Handelsingenieure, die nach dem Examen in die Welt hinausgingen, aus ihnen wurden.. Sie arbeiteten an den unterschiedlichsten Orten. 187 00:23:20,933 --> 00:23:32,499 Und diesen Plan hatten wir im Kopf seit der Zeit, als wir uns im Jahr '38 nach dem Abitur bei der Einschreibung an der Handelshochschule kennengelernt hatten. 188 00:23:32,500 --> 00:23:51,999 Also die Sudentendeutschen, die „Sudeťáci“, wie man sie nannte, die hatten das Motto „Heim ins Reich“ und das hat sich schließlich erfüllt für sie. 189 00:23:52,000 --> 00:23:58,499 Ich weiß, dass es eine Sache war, die man heute als Genozid bezeichnen könnte. 190 00:23:58,500 --> 00:24:05,499 Aber wenn sie in Betracht ziehen, dass das Leute waren, die die Republik zerschlagen hatten, 191 00:24:05,500 --> 00:24:17,832 dann blieb den Beteiligten dieser Ereignisse nichts anderes übrig als zu sagen: Jetzt sollen sie das kriegen, was sie gewollt haben. 192 00:24:17,833 --> 00:24:30,699 Im Rückblick muss ich zugeben und einräumen und es ist so, dass das grausam war und dass es keine Kollektivschuld gibt. 193 00:24:30,700 --> 00:24:38,399 Aber das Ganze hat sich auf einen Akt gestützt, den die Alliierten abgesegnet haben. 194 00:24:38,400 --> 00:24:47,766 Das war das Potsdamer Abkommen zu Ende des Krieges, als sowohl die Briten wie auch die Franzosen und Amerikaner ihre Zustimmung gegeben haben. 195 00:24:47,767 --> 00:24:58,032 Also ganz legal eigentlich, nach den Beneš-Dekreten war das ein Akt, der im Einklang mit dem damaligen internationalen Recht stand. 196 00:24:58,033 --> 00:25:00,366 Das ist alles, was ich dazu sagen kann. 197 00:25:00,367 --> 00:25:03,766 IV: Kann ich nochmals auf Flossenbürg zurückkommen? 198 00:25:03,767 --> 00:25:08,999 Äh sind Sie selbst irgendwann einmal dort gewesen oder haben Sie diesen Ort besucht? 199 00:25:09,000 --> 00:25:11,166 MZ: War ich nicht. War ich nicht. Dafür fehlte bereits die Zeit. 200 00:25:11,167 --> 00:25:16,632 Weil von den Konzentrationslagern gab es.. Bis heute bin ich nicht einmal in Lidice gewesen. 201 00:25:16,633 --> 00:25:19,499 Weil, verstehen Sie, wir waren.. 202 00:25:19,500 --> 00:25:27,599 Ich fasse das mal ganz kurz: Mai '45 – Eröffnung der tschechischen Hochschulen. 203 00:25:27,600 --> 00:25:35,999 Jirka {Hanzelka} und ich haben beide im Studentenverband gearbeitet, wir hatten also organisatorische Aufgaben. 204 00:25:36,000 --> 00:25:47,566 Im Mai sind wir.. Da öffneten die Hochschulen. 205 00:25:47,567 --> 00:26:05,566 Und im Sommersemester, als wir fertig waren, sind wir sofort beide nach Sušice, wo Jirka Hanzelka irgendeinen entfernten Verwandten hatte. Der hatte eine Autowerkstatt. 206 00:26:05,567 --> 00:26:16,632 Und wir haben das genutzt und haben zwischen dem Ersten und Zweiten Staatsexamen den Lastwagen gefahren, der ihm gehörte. 207 00:26:16,633 --> 00:26:19,299 Außerdem haben wir da in der Werkstatt gearbeitet. 208 00:26:19,300 --> 00:26:31,166 Ganz verschmiert haben wir da im Arbeitsoverall herumgewühlt, haben Autos der unterschiedlichsten Marken repariert. 209 00:26:31,167 --> 00:26:34,699 Und das war eine ausgezeichnete Vorbereitung, die uns dann auf den Reisen zugute gekommen ist, nicht wahr. 210 00:26:34,700 --> 00:26:41,832 Und zugleich hat uns der Besitzer, David hat er geheißen, der Verwandte, das weiß ich noch bis heute. 211 00:26:41,833 --> 00:26:52,999 Der hat gesagt: "Jungs, wenn ihr hier schon an den zerlegten Maschinen herumfingert, dann wäre es gut, wenn ihr auch gleich den Führerschein macht." 212 00:26:53,000 --> 00:27:07,999 Also hat er organisiert, dass wir in der örtlichen Molkerei, die im Böhmerwald die Milch zu den Sammelstellen gefahren hat, dass wir da immer mit dem Fahrer mitfahren konnten. 213 00:27:08,000 --> 00:27:20,499 Der hat uns ans Lenkrad gelassen und wir haben in der ganzen Zeit, die wir dort waren, 14 Tage oder drei Wochen waren das, Fahrpraxis mit dem Lastwagen gesammelt. 214 00:27:20,500 --> 00:27:30,732 Und als es zu Ende war, hat dieser Herr David den örtlichen Prüfungskommissar angerufen. 215 00:27:30,733 --> 00:27:33,999 Der ist bei uns eingestiegen und hat gesagt: "Jetzt fahrt mal!" 216 00:27:34,000 --> 00:27:45,832 "Und jetzt haltet hier am Berg an und zeigt, wie ihr mit dem Wagen ohne Ruckeln anfahrt. Nicht zurück und nicht nach vorn." 217 00:27:45,833 --> 00:27:53,666 "Umdrehen, zurückfahren." Der hat uns einfach ganz normal geprüft, als hätten wir eine ganz normale Fahrschule hinter uns. 218 00:27:53,667 --> 00:28:05,899 Und das war viel anspruchsvoller als es dieser theoretische Unterricht heute meistens ist, wo der Fahrer seinen Lappen kriegt 219 00:28:05,900 --> 00:28:16,832 und dabei findet er sich kaum im Verkehr zurecht, ich weiß nicht, im normalen Gelände, geschweige denn in Prag oder Brünn. 220 00:28:16,833 --> 00:28:23,832 Also haben wir uns mit frischen Führerscheinen aus Sušice verabschiedet. 221 00:28:23,833 --> 00:28:28,499 Das war also sehr nützlich, also ein ausgesprochen nützlicher Ferienjob. 222 00:28:28,500 --> 00:28:34,266 Einerseits als Mechaniker und zugleich sind wir mit dem Führerschein nach Prag zurückgekommen. 223 00:28:34,267 --> 00:28:40,499 IV: Im Jahr 1938, wenn ich nochmals darauf zurückkommen darf, sind Sie in Prag auf die Hochschule gekommen? 224 00:28:40,500 --> 00:28:41,266 MZ: Ja. 225 00:28:41,267 --> 00:28:49,499 IV: Könnten Sie kurz zusammenfassen, wie Sie die ganze Kriegs- und Besatzungszeit erlebt haben, bevor Sie zu Kriegsende.. 226 00:28:49,500 --> 00:28:54,566 MZ: Ja. Als sie die Universitäten geschlossen haben, da galt selbstverständlich.. 227 00:28:54,567 --> 00:29:06,232 Da haben die Deutschen sehr intensiv daran gearbeitet, denn ihr systematisches Vorgehen, ihre Ordnungsliebe in Anführungszeichen ging so weit.. 228 00:29:06,233 --> 00:29:09,166 Da warst du verdächtig, wenn du keine Arbeit hattest. 229 00:29:09,167 --> 00:29:14,499 Und dann haben sie dich entweder zur Arbeit nach Deutschland geschickt oder ins KZ. 230 00:29:14,500 --> 00:29:26,366 Gleich an dem Tag, als ich aus Prag nach Pilsen gefahren bin, geschah es, dass die Gestapo die Studentenwohnheime durchkämmt hat. 231 00:29:26,367 --> 00:29:35,299 Und neun Studenten – das wissen Sie bestimmt – wurden noch am gleichen Abend, am 17. November hingerichtet. 232 00:29:35,300 --> 00:29:42,166 Das war also eine gezielte Einschüchterung. 233 00:29:42,167 --> 00:29:59,732 Und Hunderte, Hunderte – die Zahl weiß ich nicht, aber in den Dokumenten, die heute zur Verfügung stehen, lässt sich das sicher finden – haben sie aus den Wohnheimen geholt und ins KZ geschickt. 234 00:29:59,733 --> 00:30:03,499 Das war der Terror, in dem wir gelebt haben. 235 00:30:03,500 --> 00:30:08,332 Meine erste Sorge war, so schnell wie möglich irgendeine Arbeit zu finden. 236 00:30:08,333 --> 00:30:12,299 Wissen Sie, was meine erste Anstellung war? 237 00:30:12,300 --> 00:30:18,766 Schlachter im Pilsener Schlachthof. 238 00:30:18,767 --> 00:30:24,732 Weil ich dafür natürlich keine Papiere hatte, dafür musste man gelernt sein.. 239 00:30:24,733 --> 00:30:31,532 Darum war ich also so ein Gehilfe, ich habe, zum Beispiel habe ich die Aufgabe bekommen wenn.. 240 00:30:31,533 --> 00:30:48,832 Denn die Rinder oder Schweine, Bagauer-Schweine, die haben sie entweder erschossen, dafür gab es spezielle Waffen. 241 00:30:48,833 --> 00:30:59,366 Oder was heißt Waffen, das waren Bolzenschussgeräte. Da tat es einen Schlag und schon ging der Stier oder die Kuh in die Knie. 242 00:30:59,367 --> 00:31:05,066 Bei den angelieferten Bagauner-Schweinen, da haben wir uns immer einen Spaß gemacht, nicht wahr. 243 00:31:05,067 --> 00:31:09,999 Wenn die den Schuss gekriegt haben, sind sie noch ein Weilchen herumgelaufen, als würde ihnen das gefallen. 244 00:31:10,000 --> 00:31:15,432 Ich spreche wohl ein wenig unangemessen darüber, aber das waren meine ersten Eindrücke. 245 00:31:15,433 --> 00:31:22,732 Ich habe also die Aufgabe bekommen, Schafe, Schafsböcke und Zicklein zu schlachten, das war fürchterlich. 246 00:31:22,733 --> 00:31:34,866 Da gab es so einen Bock, darauf musste man die Tiere legen und mit dem Messer musste man {Geste Kopf ab} und das Blut ist geflossen. 247 00:31:34,867 --> 00:31:40,066 Ich habe das zum ersten Mal im Leben gesehen, das heißt, das war meine erste praktische Arbeitserfahrung. 248 00:31:40,067 --> 00:31:51,932 Aber dann habe ich.. Das war im Jahr '39, und dann haben sie im Frühling '40 begonnen, all diese "Verbände für ..." einzurichten. 249 00:31:51,933 --> 00:31:56,399 Und dann kam immer die Bezeichnung für die verschiedenen.. {Warengruppen} 250 00:31:56,400 --> 00:31:58,999 So bin ich dann nach, nach Prag gekommen. 251 00:31:59,000 --> 00:32:10,299 Auf dem Schlachthof habe ich vorher noch in der Sammelstelle gearbeitet, das war auch schon so eine Protektoratserfindung, eine Sammelstelle für Schmalz und Talg. 252 00:32:10,300 --> 00:32:15,366 Und mit dieser Qualifikation bin ich dann im Prager Verband angenommen worden. 253 00:32:15,367 --> 00:32:19,866 Da habe ich etwa zwei Jahre gearbeitet bis ins Jahr '42. 254 00:32:19,867 --> 00:32:36,899 Aber weil ich gewusst habe, dass fortlaufend immer wieder Mitarbeiter aussortiert werden mussten, die, sagen wir, nicht besonders fleißig oder erfindungsreich waren, 255 00:32:36,900 --> 00:32:40,632 also, die haben sie zur Arbeit ins Reich geschickt. 256 00:32:40,633 --> 00:32:49,066 Also habe ich mir in der Vorahnung, dass mir das drohen könnte, '42 eine neue Arbeit gesucht. 257 00:32:49,067 --> 00:32:55,832 Und da bin ich dann bis ins Jahr '45 geblieben. 258 00:32:55,833 --> 00:33:07,499 Das ist in Kürze die Geschichte von Miroslav Zikmund, dem ehemaligen und erneuten Hochschulstudenten. 259 00:33:07,500 --> 00:33:13,966 IV: Danke. 260 00:33:13,967 --> 00:33:17,899 MZ: Jetzt haben Sie hier aber einen ganzen Stapel Dokumente. 261 00:33:17,900 --> 00:33:21,999 Das müssten Sie wohl mal in Ruhe durchschauen. 262 00:33:22,000 --> 00:33:30,999 Sie haben hier zwei Fotografien mitgebracht, die im Format A4 vervielfältigt sind. 263 00:33:31,000 --> 00:33:33,666 Das sind Reproduktionen. 264 00:33:33,667 --> 00:33:41,732 Aber der Autor dieser Fotografien, die sie wohl aus diesem Museum bekommen haben, ist Miroslav Zikmund. 265 00:33:41,733 --> 00:33:44,166 Hier haben Sie die Originale und hier ist sogar.. 266 00:33:44,167 --> 00:34:01,899 Ich habe hier das Negativ davon, das liegt aber schon im Archiv des Süd.., Südostmährischen Museums in Zlín. 267 00:34:01,900 --> 00:34:15,999 Und hier habe ich auch die Originale von der Liste, die der Bürgermeister František Sivera auf meine Bitte angefertigt hat. 268 00:34:16,000 --> 00:34:30,632 Und als wir uns dann verabschiedet haben, gab er mir zum Andenken.. Es nennt sich „Prämienschein über eine deutsche Reichsmark“. 269 00:34:30,633 --> 00:34:33,432 Den habe ich mir hier ins Album geklebt. 270 00:34:33,433 --> 00:34:38,299 Er hat mir dann gesagt, dass die in einer Stückzahl von etwa einer Million herausgegeben worden sind. 271 00:34:38,300 --> 00:34:44,832 Und dass die Häftlinge sie von Zeit zu Zeit erhalten haben, für irgendwelche außergewöhnlichen Verdienste in der Arbeit. 272 00:34:44,833 --> 00:34:52,932 Sie konnten sich dafür Sachen kaufen, die auf diesem jämmerlichen Markt im KZ zu bekommen waren. 273 00:34:52,933 --> 00:34:56,899 Für mich hat das einen ganz besonderen Wert, denn das ist für mich ein Dokument. 274 00:34:56,900 --> 00:35:02,599 Ich bin nun mal so ein Dokumentarist, also gehört auch das zu dieser, zu dieser Liste. 275 00:35:02,600 --> 00:35:10,166 Hier haben Sie die originalen Zettelchen, die Herr Sivera aus irgendeinem Block gerissen hat. 276 00:35:10,167 --> 00:35:15,699 Das war offensichtlich ein ehemaliger Lehrer. Das hat er so zwischendurch im Gespräch erwähnt. 277 00:35:15,700 --> 00:35:19,599 Deshalb ist das in so einer schönen, schönen, geübten Schrift. 278 00:35:19,600 --> 00:35:24,832 Nur sind mir die Zettel eben dann in dem ganzen Durcheinander für viele Jahre verloren gegangen. 279 00:35:24,833 --> 00:35:33,699 Bis 1975, als ich sie wiedergefunden habe. Erst dann habe ich die Briefe an alle Teilnehmer geschickt. 280 00:35:33,700 --> 00:35:36,666 Die Originale sind hier, die können Sie einscannen. 281 00:35:36,667 --> 00:35:40,066 IV: Dieser Herr Sivera hat die Gruppe damals geleitet? 282 00:35:40,067 --> 00:35:41,499 MZ: Ja, das war der Leiter. 283 00:35:41,500 --> 00:35:45,999 Hier ist er auf dem Foto. 284 00:35:46,000 --> 00:35:54,999 Er hat so eine Art Barett und steht hier gleich neben der tschechoslowakischen Fahne. 285 00:35:55,000 --> 00:36:01,099 Sie mussten immer einen Anführer auswählen. 286 00:36:01,100 --> 00:36:08,099 Und zum Glück war das so ein intelligenter Mensch, der auch organisatorische Fähigkeiten hatte, also.. 287 00:36:08,100 --> 00:36:14,599 Offenbar haben sie ihn gewählt, aber das weiß ich nicht, diese ganzen Einzelheiten sind mir schon längst aus dem Gedächtnis entfallen. 288 00:36:14,600 --> 00:36:16,999 IV: Also haben Sie vor allem mit ihm kommuniziert? 289 00:36:17,000 --> 00:36:25,566 MZ: Mit ihm, ja. Wenn ich mir heute das, dieses Foto anschaue 290 00:36:25,567 --> 00:36:35,232 und mir bewusst wird, wie viele Jahre das schon zurückliegt, dann denke ich, dass kaum jemand mehr am Leben sein wird. 291 00:36:35,233 --> 00:36:39,466 Aber Achtung, es gibt da noch eine Geschichte. 292 00:36:39,467 --> 00:36:45,499 Und das ist die Geschichte von Herrn Jan Přidal, der nicht auf diesem Foto ist. 293 00:36:45,500 --> 00:37:13,832 Er ist der Neffe, Přidal heißt er, von Professor Antonín Přidal und meiner Partnerin, geborene Marie Přidalová, damals Macalíková. 294 00:37:13,833 --> 00:37:20,966 Und einmal war ich in Vřesovice, wo dieser Jan lebt, und da ist auf einmal.. 295 00:37:20,967 --> 00:37:33,966 Das war so eine Sokol-Feier zum 28. Oktober, und auf einmal habe ich im Gespräch das Wort Flossenbürg gehört. 296 00:37:33,967 --> 00:37:38,666 Und das ist, diesen Namen hat eben Jan Přidal ausgesprochen. 297 00:37:38,667 --> 00:37:43,499 Da bin ich aufmerksam geworden und habe gesagt: „Wie bitte?“ 298 00:37:43,500 --> 00:37:47,232 Wir haben uns geduzt, schließlich sind wir ja im Grunde genommen Verwandte. 299 00:37:47,233 --> 00:37:55,966 Und so habe ich erfahren, dass auch er Teilnehmer.. 300 00:37:55,967 --> 00:38:04,499 Oder besser gesagt Häftling in Flossenbürg war. Bei diesem Transport war er nicht dabei. 301 00:38:04,500 --> 00:38:07,932 Dann haben wir diese Fotos ausgetauscht. 302 00:38:07,933 --> 00:38:11,766 Er hat gesagt: "Einige von denen kenne ich, aber bei weitem nicht alle." 303 00:38:11,767 --> 00:38:18,499 Denn Sie können sich vorstellen, wenn da 18 oder 20 Leute waren, dort {im Lager} waren Hunderte oder wohl eher Tausende. Ich weiß es nicht. 304 00:38:18,500 --> 00:38:28,066 Also das ist ein Mensch, der Ihnen.. Der ist Jahrgang 1921. 305 00:38:28,067 --> 00:38:37,266 Also ist er 92 Jahre alt und wohl einer der wenigen, die noch am Leben sind. 306 00:38:37,267 --> 00:38:43,666 Ich gebe Ihnen sein Adresse und seine Telefonnummer und empfehle Ihnen, sich zu ihm aufzumachen. 307 00:38:43,667 --> 00:38:48,966 Von ihm werden Sie mit Sicherheit viel mehr erfahren als von mir. 308 00:38:48,967 --> 00:38:53,999 Denn meine Erlebnisse betreffen nur diese kleine Gruppe. 309 00:38:54,000 --> 00:39:01,632 Aber was er durchgemacht hat, das kann Ihnen Jan Přidal ganz authentisch berichten. 310 00:39:01,633 --> 00:39:05,832 CM: Wann haben Sie von Herrn Přidal davon erfahren? 311 00:39:05,833 --> 00:39:06,466 MZ: Bitte? 312 00:39:06,467 --> 00:39:08,666 CM: Wann haben Sie von Herrn Přidal davon erfahren? 313 00:39:08,667 --> 00:39:20,832 MZ: Das war irgendwann.. Soweit ich weiß, muss das sicher schon nach 1990 gewesen sein. 314 00:39:20,833 --> 00:39:30,266 Sagen wir, das war so um 1992, 1993, also nach der Revolution. 315 00:39:30,267 --> 00:39:32,732 Vor dieser Zeit kannten wir uns nicht. 316 00:39:32,733 --> 00:39:37,599 Das war also lange nach dem Ende der sogenannten Normalisierung. 317 00:39:37,600 --> 00:39:45,866 Ein Jahr oder zwei, als wir uns des Kommunismus entledigt hatten. 318 00:39:45,867 --> 00:39:51,732 Ich empfehle Ihnen also, zu ihm zu fahren. Er ist ein ausgezeichneter Erzähler. 319 00:39:51,733 --> 00:39:58,499 Er hat nur ein Handicap, damit müssen Sie klarkommen, er ist schwerhörig. 320 00:39:58,500 --> 00:40:03,899 Man muss entweder laut reden oder ihn dazu kriegen, dass er das Hörgerät nimmt. 321 00:40:03,900 --> 00:40:06,166 Fragen Sie ihn und Sie werden Antworten bekommen. 322 00:40:06,167 --> 00:40:12,499 Wenn er es nicht aufgeschrieben hat, was aber wahrscheinlich ist. Ich würde sogar sagen, dass er sie bestimmt aufgeschrieben hat, seine Erinnerungen. 323 00:40:12,500 --> 00:00:00,000 Dann werden Sie authentische Erinnerungen eines Beteiligten haben, ich sage es nochmals, von einem der wenigen oder vielleicht sogar vom einzigen, der heute noch lebt.